Scheitert der „Synodale Weg“ an Rom oder Rom am „Synodalen Weg“?

Eigentlich wollte ich nicht mehr über den „Synodalen Weg“ schreiben, den Diskussionsprozess, der durch die deutschen Bischöfe angeregt wurde. Mir war weniger wichtig, was wann und wo von wem zu den aktuellen Entwicklungen in der katholischen Kirche in Deutschland gesagt wird. Ich wollte mich auf das konzentrieren, was an konkreten Maßnahmen aus dem Synodalen Weg umgesetzt wird, wie die kürzlich erfolgte liberalisierte Anpassung des kirchlichen Arbeitsrechts.[1] Die aktuellen Entwicklungen aber haben meine Neugier, aber auch meine Sorge wieder neu geweckt. Ein veritabler Streit zwischen Rom und dem deutschen Katholizismus ist mittlerweile entbrannt, der sich in verschiedenen Äußerungen von Papst Franziskus niederschlägt, beim „Ad Limina“-Besuch der deutschen Bischöfe zu beobachten war oder auch jetzt wieder angesichts der letzten Vollversammlung der Bischofskonferenz zum Tragen kam, als der apostolische Nuntius die römische Linie noch einmal verteidigte.[2] Der Nuntius bekräftigte in seiner Ansprache zum einen noch einmal die Absage an eine Öffnung des Weiheamtes für Frauen und warnte vor einer Überstrukturisierung und Verbürokratisierung der Kirche, eine Gefahr, die er den Ergebnissen des Synodalen Wegs entnahm. Rom setzt derzeit auf eine weltweite synodale Bewegung, die in einer außerordentlichen Bischofskonferenz zum Thema „Synodalität“ münden soll. Darauf hat Papst Franziskus in seiner Botschaft zur Fastenzeit noch einmal hingewiesen.[3] Bei der europäischen Versammlung im Zuge dieses Prozesses verspürten die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer deutlichen Gegenwind für ihre Reformvorhaben. Die deutlichen Warnungen vor nationalen Sonderwegen hatten die Bischofskonferenz bereits im letzten Jahr aus anderen Bischofskonferenzen erreicht.

Die deutschen Bischöfe stecken in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite möchten sie (zumindest ein großer Teil von ihnen) den Reformbestrebungen entgegenkommen, die insbesondere von den Laienverbänden wie dem ZdK vorgebracht werden. Auf der anderen Seite müssen sie versuchen, das Band der Einheit mit Rom, aber auch mit anderen Teilkirchen nicht nachhaltig zu schädigen. So hat sich eine Rhetorik herausgebildet, die sich, etwa beim Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, zum Synodalen Weg und seinen Ergebnissen bekennt, zugleich aber die Stoppzeichen aus Rom im Sinne einer „Bestätigung“ oder „Ermutigung“ uminterpretiert. Diese Position dürfte so jetzt nicht mehr zu halten sein. Die Zeichen aus Rom nehmen an Deutlichkeit zu und verlassen die sonst übliche diplomatische Kommunikation. In einem Interview vom 25. Januar äußerte der Papst klare Worte. Er sagte, ihm sei der deutsche Synodale Weg zu elitär, da er nicht das Produkt des gesamten Gottesvolkes repräsentiere und zudem zu ideologisch.[4]

In solchen und ähnlichen Aussagen spiegelt sich mehr als nur die zunehmende Ungeduld über die deutschen Bischöfe. Sie weisen zudem auch auf drei Webfehler hin, die der Synodale Weg offensichtlich von Beginn an in sich getragen hat und die nun immer belastender für den weiteren Weg werden.

Der erste Fehler betrifft die Frage der Repräsentanz. Die synodale Versammlung ist nur ein Ausdruck eines tiefergehenden, langjährigen Problem der katholischen Kirche in Deutschland. Sie ist extrem milieuverengt. Dies betrifft die Personen, die am kirchlichen Leben noch teilnehmen, viel mehr aber die kirchliche Gremienstruktur. Die Einführung von Beratungs- und Entscheidungsgremien auf der pfarrlichen Ebene und der Bistumsebene war eine Frucht der nachvatikanischen Entwicklung. Im positiven Sinne versuchte man, das kirchliche Leben zunehmend auch durch die Mitentscheidung der „ganz normalen“ Christen im Sinne eines „Apostolats“ zu stärken. Dieses an sich gute Anliegen setzte eine gute Zusammenarbeit von Laien und Klerikern voraus.

Zunehmend gab es aber auch Tendenzen, die so wahrscheinlich nicht intendiert gewesen waren. So verschob sich der Fokus vom „Apostolat“ im Sinne einer „Heiligung der Welt“ auf den binnenkirchlichen Raum. Als Ausweis für ein gelingendes kirchliches Leben galt eher, was „in der Gemeinde“ oder „im Bistum“ geschah, nicht aber, was das Christentum nach außen in die Familien, Betriebe, die Werke der Nächstenliebe, die Politik und Gesellschaft tragen konnte. Es bildete sich ein stärker binnenkirchlich orientiertes Milieu heraus, das als Funktionsträger im Ehrenamt und vor allem in den Gremien den Ort des kirchlichen Lebens fand. Diese Entwicklung hatte für die Gemeinden Vorteile und war im Sinne einer „Attraktivität“ der Kirche durchaus fruchtbar. Zunehmend gab und gibt es aber in nicht unerheblichen Teilen das Problem, dass das „engagierte Christentum“ nur noch Teile der Gesellschaft repräsentiert. Dies hat die sog. MHG-Studie der 2000er Jahre deutlich gemacht. Weite Teile der Bevölkerung und damit auch der Kirchenmitglieder nehmen gar nicht mehr oder nur noch sporadisch am kirchlichen Leben teil. Dies ist sicher nicht nur den binnenkirchlichen Entwicklungen anzulasten, kann aber auch nicht ohne sie betrachtet werden. Die in Gremien und Erwachsenenverbänden organisierten katholischen Christen sind im Durchschnitt heute tendenziell höheren Alters, akademisch gebildet und kirchenpolitisch eher liberal eingestellt. Diese Aussage kann ich nicht belegen, aber sie scheint mir aus Stichproben heraus plausibel zu sein. Die Gremien spiegeln damit häufig nur einen Teilausschnitt des kirchlichen Lebens wider. In den Gremien heute fehlen meist vor allem junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund (die aber gerade in Städten einen erheblichen Teil der Gottesdienstbesucher ausmachen), Menschen mit nicht-akademischen Berufen, kirchlich-konservativ eingestellte Christen, vor allem aber Vertreter der 70-80% jeder Pfarrei, die nie oder nur selten am kirchlichen Leben Anteil nehmen.

Wenn Papst Franziskus davon spricht, dass der Synodale Weg „elitär“ sei, spielt er wohl auf die soziale Zusammensetzung der Gremien in Bistümern und der Synodalversammlung an. Man muss diese Einschätzung nicht teilen, schließlich bilden auch die Abgeordneten eines gewählten Parlaments die durchschnittliche Bevölkerung soziologisch nicht ab. Ob allerdings in den kirchlichen Gremien alle Anliegen der „ganz normalen“ Christen in ihrer Vielfalt berücksichtigt werden, ist zumindest eine unangenehme Frage an das Gremienwesen. Dieser Zustand soll durch die Einrichtung von sog. „Synodalräten“ (wohl nach Vorbild der evangelischen Synoden) nach dem Willen des „Synodalen Wegs“ noch einmal erweitert werden. Das Vorhaben scheint zumindest nicht ganz realistisch, da es in der praktischen Erfahrung schon jetzt vielerorts schwierig wird, die bestehenden pfarrlichen und diözesanen Gremien überhaupt zu besetzen.

Der zweite Webfehler ist der der mangelhaften Abstimmung mit Rom. Die Bischöfe sind von sich aus den Synodalen der Versammlung, teils auch aufgrund eigener Überzeugung weit entgegengekommen. Es entstand der Eindruck, man könne über viele kirchenpolitische Fragen, aber auch über Fragen der Lehre und Moral eigenständig entscheiden. Dies ist in bestimmten Feldern (s. Arbeitsrecht, Prävention, Personalführung, Beratungsgremien) auch in der Verantwortung der einzelnen Bistümer möglich. Zudem hat Papst Franziskus in Pastoralen Fragen durchaus zum Finden eigener Wege ermöglicht und Spielraum gegeben. Zum offenen Konflikt allerdings kommt es dort, wo gesamtkirchliche Fragen berührt werden. Erste Warnsignale, etwa der Brief des Papstes zu Beginn des Synodalen Weges wurden (so erscheint es von außen) offenbar nicht ernst genommen.[5] Auch der vom Vatikan eingeleitete weltweite „synodale Prozess“ ist nicht als Chance begriffen worden. Es mag sein, dass die Gespräche, die im Hintergrund stattgefunden haben, zu einer Entspannung der Lage, etwa, dass man sich mit Rom auf Ermessensspielräume verständigt hätte, scheinbar nicht beitrugen. Dies ist ein schwieriges Feld. Denn zur Erfahrung der Synodalen gehört auch, dass die Korrespondenz mit Rom schwierig ist, weil bestimmte Bischöfe oder auch vatikanische Mitarbeiter den offenen Dialog erschwert haben mögen und (wie es heißt) Spitzenvertreterinnen des Synodalen Weges keine Möglichkeit bekommen haben sollen, persönlich in Rom vorzusprechen.

Der dritte Webfehler ist ein theologischer. Was der Papst in seinem Interview mit dem bösen Wort der „Ideologie“ bezeichnete, scheint offensichtlich. Die Theologie des „Synodalen Weges“ folgt einer Grundlinie, die sich als liberal-kritisch kennzeichnen lässt. Sie bemüht sich vor allem darum, neue Freiheitsräume im Sinne der aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen zu erschließen und theologisch zu fundieren. Dies betrifft insbesondere die Sexualmoral, aber auch die Fragen des Amtes und der Mitbestimmung. Der freiheitliche Impuls trifft zwar auf weite Zustimmung und zeigt damit auch auf wichtige Felder kirchlicher Weiterentwicklung unter den Bedingungen der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, er kappt aber auch die römische Traditionslinie. Es ist schwierig, mit Rom einen Dialog über lehramtliche Fragen führen zu wollen, wenn man die die römische Lehrtradition dabei außen vor lässt. Dies ist zumindest beim Entwurf zu dem (nicht verabschiedeten) Grundlagenpapier zur Sexualmoral deutlich geworden.[6] Die Schlussfolgerungen dieses Papiers stammten, so mein Eindruck, aus soziologischen und philosophischen Quellen, die mit etwas Mühe dann biblisch gerechtfertigt wurden. Die Auseinandersetzung mit dem Lehramt der letzten 50 Jahre fiel allerdings weitgehend aus. Wenn es nicht gelingt, Brücken der Tradition zu schlagen, wird eine lehramtliche Entwicklung, die schließlich auch gesamtkirchlich neue Impulse tragen soll, eher verhindert als ermöglicht. Dieser Crash-Kurs kann auf kürzere Sicht nur schaden. Ob daraus in späterer Zeit eine gesamtkirchliche Entwicklung (ähnlich wie der vor dem II. Vaticanum) entstehen kann, bleibt offen.

Auf der rein praktischen und seelsorglichen Seite ergibt sich eine große Schwierigkeit. Der Synodale Weg und die römische Gegenreaktion sorgen für eine immense Verunsicherung. Die Frage ist „Was gilt denn jetzt?“ Als Pfarrer sehe ich mich zunehmend in der Schwierigkeit, dass Menschen mit bestimmten Erwartungen kommen, die ich offiziell wieder zurückweisen muss. Das Kirchenrecht und der Katechismus sind unverändert. Von den Enzykliken der letzten Päpste ist keine widerrufen oder in der Lehre fortschreitend angepasst worden. Universalkirchliche Vorgaben und bischöfliche Absichtserklärungen, die noch nicht in geltendes Recht umgesetzt wurden, widersprechen sich teilweise. Ganz konkret: Darf es eine Segensfeier für homosexuelle Paare geben? Der synodale Weg wünscht dies und viele Bischöfe haben sich dafür ausgesprochen. Es gibt aber bis jetzt keine verbindlichen Aussagen. Wie ist es mit widerverheiratet Geschiedenen? Laut geltendem Recht sind sie von den Sakramenten ausgeschlossen. Welche Antwort soll ich ihnen geben, wenn sie mich danach fragen? Dürfen Nicht-Kleriker in der Heiligen Messe predigen? Offiziell ist das untersagt. Können Laien Pfarreien leiten? Das Kirchenrecht verbietet es. Können evangelische Christen zur Kommunion gehen? Nein, offiziell nicht. Der Synodale Weg, aber nicht nur er allein, haben bei einigen Gemeindemitgliedern den Anschein erweckt, dass all dies jetzt oder bald möglich ist. De facto findet es ja auch im Zwielicht des „Halb-Legalen“ statt. Unter dem Vorrang der Seelsorge, zu dem Papst Franziskus ja durchaus immer wieder ermutigt, ist vieles denkbar. Priester werden für „Vergehen“ wohl kaum noch mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen dürfen. Der Klerus, aber auch die Gemeinden sind gespalten.

Dieser Zustand hat sich unter Papst Franziskus, aber auch im Zuge des Synodalen Wegs verstärkt. Denn ein Weiteres ist hinzugekommen. Der innerkirchliche Diskurs beschränkt sich zunehmend auf Machtfragen. Nicht nur der einzelne Priester, sondern das amtliche Priestertum insgesamt steht unter Verdacht. Durch die Ausweitung der Diskussion über sexuellen Missbrauch auf Fragen des geistlichen Missbrauchs oder klerikalen Machtmissbrauchs sind viele Priester zunehmend eingeschüchtert. Was dürfen sie noch tun oder sagen, ohne, dass es ihnen als missbräuchliches Verhalten ausgelegt wird? Die Bischöfe sind in einer ähnlichen Lage. Die Entwicklung in Deutschland scheint nur eine Richtung zu kennen: die, der fortschreitenden und umfänglichen Liberalisierung. Dass diese von einem weiten Teil der aktiven Gläubigen auch gewünscht ist, dürfte als gegeben angenommen werden.

Ich möchte es nicht so darstellen, als wolle ich alle priesterlichen Funktionen und die aktuelle Kirchenordnung in Ewigkeit so weiter fortschreiben. Allein der Nachwuchsmangel wird in den nächsten Jahrzehnten dazu führen, dass es nach derzeitigem Stand kaum noch Priester (und andere seelsorglich Hauptamtliche) geben wird. Ich möchte aber meine Sorge darüber äußern, dass derzeit ein Teil der Priester, aber auch der Gläubigen innerlich heimatlos wird. Die Gespräche, die ich mit Mitbrüdern führe, sind teilweise deprimierend. Einige weisen bereits Tendenzen zu einer inneren Emigration auf. Sie haben den Eindruck, in einer Kirche zu arbeiten, die sie eigentlich nicht mehr haben möchte. Dies betrifft übrigens nicht bloß „Konservative“. Diese Tendenz ist gefährlich, weil sie das Ausweichen in separate „heile“ Glaubensmilieus fördert, während der „normale“ pfarrliche Dienst immer unbeliebter wird.

Der Synodale Weg ist an dieser Entwicklung nicht schuld, aber er verstärkt sie. Es braucht langsam wieder etwas mehr feste Standpunkte und Orientierungen. Die Frage „Was gilt denn jetzt?“ ist an die Synodalversammlung, aber auch an die Bischöfe zu richten. Derzeit erscheint die katholische Kirche in Deutschland eher als Experimentierfeld. Meine Befürchtung ist nur, dass angesichts der anhaltenden Streitigkeiten dieses Experimentierfeld nicht zu konkreten Ergebnissen führen wird. Die großen Belastungen des derzeitigen Status für den Dienst an einer „Einheit der Kirche“ (universal, innerdiözesan, pfarrlich) sind zumindest nicht unendlich tragbar, ohne dass alle Seiten Schaden nehmen werden.          


[1] Apostolat und Vorschrift – Die Katholische Kirche reformiert ihr Arbeitsrecht – Sensus fidei

[2] Grußwort von Erzbischof Dr. Nikola Eterović, Apostolischer Nuntius: Deutsche Bischofskonferenz (dbk.de)

[3] Fastenzeit 2023: Askese in der Fastenzeit, ein synodaler Weg | Franziskus (vatican.va)

[4] Papst über Synodalen Weg: „Eher elitär” – Vatican News

[5] Was kann der „Synodale Weg“ leisten? – Sensus fidei

[6] Woher die Ablehnung? – Zum Grundlagenpapier des Synodalen Wegs zur Sexualmoral – Sensus fidei

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