Die Evangelien der diesjährigen Fastenzeit erzählen von entscheidenden Begegnungen, die Menschen mit Jesus haben. Jedes der Evangelien gibt eine Antwort auf die Frage, auf welche Weise Menschen zum Glauben an Jesus kommen können. In der letzten Woche waren die Jünger mit ihm auf den Berg der Verklärung gestiegen und hatten in der Verwandlung Jesu tief in das Geheimnis seines Lebens hineinschauen dürfen. In einem Akt der Betrachtung oder Kontemplation ist ihnen das Wesen Christi erschlossen worden.
Heute berichtet das Evangelium von einer Situation, die uns wahrscheinlich viel vertrauter und zugänglicher ist. Es erzählt von einem Gespräch, an dessen Ende die samaritanische Frau, aber auch viele andere Menschen aus ihrem Dorf zum Glauben an Jesus kommen. Ein Gespräch, dass eine solche gewaltige Wirkung hat, lohnt sich näher zu betrachten. Lassen Sie mich also versuchen, die Besonderheit und das Wesen dieses Gespräches vorzustellen.
Mit anderen zu sprechen, gehört zum täglichen Leben. Es ist ein Grundbedürfnis, sich anderen mitzuteilen. Wer niemand zum Reden hat, ist einsam. Tragischer allerdings ist vielleicht, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat. Wir machen hier einen sehr genauen Unterschied: Zu reden gibt es eigentlich immer etwas, ob dies mir noch etwas sagt, ob in der Rede etwas enthalten ist, das mich interessiert, bereichert, anregt und beschäftigt, ist eine andere Frage. Wir unterscheiden zwischen einer Unterhaltung, oder einem Small Talk und einem Gespräch sehr genau. Bei einem Gespräch geht es eben um Dinge, die mich selbst betreffen, die mich beschäftigen, bei denen ich die Meinung des anderen hören möchte und mich für die Rede des anderen öffne, ihn zu verstehen zu versuche und aus seinen Argumenten und Erfahrungen lernen möchte.
Das Gespräch ist ein Ort der Wahrheitsfindung. Einige Philosophen wie Jürgen Habermas oder Otto Apel gehen sogar so weit, zu sagen, wenn es um die Wahrheit geht, etwa in Fragen der Ethik, kann ich die Wahrheit auf keine andere Weise finden, als in einem Gespräch aller von dieser Frage Betroffenen. Sie nennen dies den „idealen Diskurs“. Die Wahrheit, so ist ihre Überzeugung ist nicht subjektiv, also etwa allein in meinem Gewissen zu finden, sondern immer nur kommunikativ. Ein solcher Ansatz, hat trotz aller möglichen Einwände etwas Überzeugendes, denn er erkennt aus der Beobachtung heraus den Menschen ganz richtig als ein Wesen mit einem begrenzten Wissen, einem begrenzten Horizont und einer begrenzten Erfahrung an. Daher ist es ein Anliegen dieser Philosophen, die begrenzten Horizonte zusammenzuführen und sie zu einer Gesamtsicht zu vereinigen.
Für uns Christen ist aber gerade charakteristisch, dass wir glauben, dass es in Gott jemanden gibt, der eben in seiner Sicht, in seinem Wissen und seiner Erfahrung nicht begrenzt, sondern bereits allumfassend ist. Deswegen ist Gott die Wahrheit selber und deswegen kann auch Jesus genau das von sich behaupten, denn er ist Gott, wie er uns in menschlicher Gestalt begegnet.
Was also im Evangelium am Jakobsbrunnen passiert, kommt einem „idealen Diskurs“ nahe, denn ein Mensch mit seinen Begrenzungen begegnet in Jesus dem Unbegrenzten, der Wahrheit selbst. Und wenn wir das Wort „Wasser“, das schließlich für den ersten Teil des Gespräches so wichtig ist durch das Wort „Wahrheit“ ersetzen, erschließt sich die Begegnung am Jakobsbrunnen leicht. „Gib mir zu trinken“, mit diesem Satz beginnt Jesus das Gespräch. „Teile mich dir mit, gib mir von der Wahrheit deines Lebens“. Die Frau reagiert abweisend „Wie kannst du mich um Wasser bitten, wo ich eine Samariterin bin? Wie kannst du für mich Interesse haben, wo unsere Volksgruppen doch verfeindet miteinander sind?“
Jesus darauf: „Wenn du wüsstest, wer dich hier um etwas zu trinken bittet, hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ „Wenn du wüsstest, wer ich bin, hättest du ihn schon längst gebeten, dir aus der Fülle des Lebens und aus der Fülle der Wahrheit zu geben“. „Woher…“, so fragt die Frau, „…woher kommt diese Wahrheit die, du mir geben möchtest? Steht sie etwa über der Autorität unseres Vaters Jakob?“ Aus seinem Brunnen habe ich bisher bezogen, was mir zum Leben notwendig schien. Jesus: „Wer davon trinkt, wird wieder Durst bekommen, wer aber sich von mir Wasser geben lässt, für den wird dieses Wasser im Inneren zu einem sprudelnden Quell, der immer neuen Reichtum und neue Kraft hervorbringt. Der ist auf keinen anderen Brunnen mehr angewiesen, weil er den Brunnen bereits in sich trägt“. Die Frau versteht: „Herr, gib mir von diesem Wasser, lass mich teilhaben an der Wahrheit Gottes, damit ich keinen Durst mehr habe.“
In diesem Augenblick ist der Moment des „idealen Diskurses“ erreicht. Die Frau am Jakobsbrunnen ist bereit, sich Jesus zu öffnen, ihn als Wahrheit ihres Lebens anzunehmen. Und Jesus nimmt sich seinerseits der Wahrheit dieses Lebens an. Die Frau gibt ihm zu trinken, indem sie ihn das Schicksal ihres Lebens erkennen lässt. Es ist eine keinesfalls bequeme Wahrheit. Aber sie kann in diesem Augenblick angenommen und verwandelt werden. Die Quelle des lebendigen Wassers beginnt in ihr zu sprudeln und sie erfährt die Wahrheit Gottes in ihrem Leben und kommt zum Glauben. Sie gehört zu denen, die zu Gott von nun an in Geist und Wahrheit beten werden. Im Geist, der sie in seine Gegenwart hineinnimmt und in der Wahrheit, die sie frei macht.
Das Gespräch Jesu mit der Frau hat dem Geist Raum geschaffen und Gottes Gegenwart wirksam werden lassen. Ich möchte abschließend dieses Gespräch mit unserem kirchlichen Leben verbinden, denn ich meine, es hat dort einen festen Platz. Ich stelle mir die Beichte als ein solches Gespräch am Jakobsbrunnen vor. Ich selbst trete mit Jesus in Kontakt. „Gib mir zu trinken“, sagt er. „Öffne dich mir. Erzähle mir die Wahrheit deines Lebens. Lass uns zusammen keinen Small Talk führen über belanglose Dinge, sondern erzähle mir, was dich im Innersten bewegt und beschäftigt. Denn dort, wo deine Wahrheit zum Vorschein kommt, werde ich dir von Gottes Wahrheit mitteilen. Du hast die Möglichkeit sie zu erfahren. Und Gottes Wahrheit heißt: Annahme, Vergebung und Liebe.“
Beichte heißt mehr, als Sünden auflisten, sondern sie ist eine Begegnung in Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, sie ist Raum der Wahrheit, der Wahrheit meines Lebens und der Wahrheit Gottes, die mir dort begegnet. Bleiben wir bei der Zusage Jesu: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals wird niemals mehr Durst haben. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“. Wer Jesus so als annehmendes und vergebendes Gegenüber erfährt, wird immer wieder zu ihm zurückkehren. Der Glaube, um den es hier geht entsteht aus der persönlichen Erfahrung, aus dem persönlichen Gespräch, ob in der Beichte, in der Betrachtung, im Gebet, in der Begegnung mit dem Nächsten. Glauben heißt: Der Wahrheit begegnen, gestärkt, aufgerichtet und versöhnt aus dieser Begegnung herauszugehen.
Beitragsbild: Brunnen im Innenhof des Kreuzgangs von Cadouin (Südfrankreich)
Danke für die Predigt. Sie hat mich gut auf den Sonntag vorbereitet. Herzlichen Gruß aus Johannesburg. Br. Benedikt
LikeLike
Lieber Benedikt, vielen Dank für die Grüße aus der weiten Welt. Ich wünsche Dir einen schönen, sommerlichen Sonntag!
LikeLike