Apostolat und Vorschrift – Die Katholische Kirche reformiert ihr Arbeitsrecht

Am 22. November haben die katholischen Bischöfe der Neuformulierung der Grundordnung für den kirchlichen Dienst zugestimmt.[1] Diese regelt die Grundlagen für eine Beschäftigung in den Bistümern und katholischen Einrichtungen, gilt also auch etwa für KiTas, Schulen, die Caritas oder Krankenhäuser. Was wie ein langweiliger Verwaltungsakt klingt, ist in Wirklichkeit ein weitreichender Schritt. Die Überarbeitung der Grundordnung war ein lange erhobene Forderung, die u.a. im „Synodalen Weg“ noch einmal verstärkt aufgekommen ist. Mit diesem Schritt liegt also ein konkretes Ergebnis der Beratungen von ZdK und Bischöfen in Frankfurt vor. Allerdings war die Erneuerung der Grundordnung auch aus anderen Gründen notwendig geworden: Mittlerweile hat die Personalkrise die Bistümer und Einrichtungen längst erreicht. Auch in traditionell katholischen Gegenden wird es zunehmend schwieriger, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Was in der Diaspora längst an der Tagesordnung ist, wird Stück für Stück in ganz Deutschland Realität. Für KiTas, Caritas, Krankenhäuser, aber auch für die Pfarreien und die bischöfliche Verwaltung gibt es immer weniger Mitarbeitende, die die nach alter Grundordnung gewünschten Voraussetzungen erfüllen. Sie sollen natürlich fachlich geeignet sein, nach Möglichkeit katholisch (dies gilt besonders für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) und im Privaten ein Leben nach den Grundsätzen der kirchlichen Morallehre führen. In der alten Grundordnung (Art. 5, 2, c und d) konnten etwa Beschäftigte, die eine nicht kirchlich anerkannte Ehe führten (also etwa Wiederverheiratet Geschiedene) oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen waren aus diesem Grund der Lebensführung aus dem kirchlichen Dienst entlassen werden. Dies geschah zwar in den letzten Jahren zunehmend weniger, jedoch gab die Arbeitsgerichtsbarkeit im Klagefall mittlerweile häufig den Klägern recht. Im Arbeitsrecht wurden zwar kirchliche Besonderheiten für bestimmte Berufsgruppen (z.B. Religionslehrer, Gemeindereferentinnen, Priester und Ordensleute) bestätigt, in verkündigungsfernen Berufen, etwa bei Ärzten, Sekretärinnen oder Pflegekräften wurden die Auflagen immer weniger akzeptiert, da sie dem Anti-Diskriminierungsgrundsatz nach Ansicht der Gerichte entgegenliefen. Zuletzt hatte die Kampagne „Out in Church“, bei der sich Nicht-heterosexuelle kirchliche Beschäftigte offen zu ihrer Sexualität bekannten, auf ihre angesichts des kirchlichen Arbeitsrechts unsichere Position aufmerksam gemacht.

Es gab also unterschiedliche Anstöße zur Reform der Grundordnung. Die jetzt verabschiedete Fassung bedeutet auf jeden Fall eine deutliche Revision und hat, wie nicht anders zu erwarten, geteilte Reaktionen ausgelöst. Die Bischöfe sind in der Tat sehr weit gegangen. Künftig soll die persönliche Lebensführung für das Dienstverhältnis in vielen Bereichen keine Rolle mehr spielen. Der Text bekennt sich zum Anti-Diskriminierungsgrundsatz. Lediglich für die Kernbereiche der Verkündigung und für leitende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bleibt die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche erforderlich. Ansonsten gilt: Privat ist Privat, dienstlich ist dienstlich. Man fühlt sich an den Ausspruch „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ aus dem Evangelium erinnert (Mk 9,39), mit dem Jesus die Weitergabe des Glaubens durch ihm fremde Personen kommentiert. Damit gleicht die Katholische Kirche ihr Arbeitsrecht an das weltliche Arbeitsrecht an. Viele haben sich das so gewünscht. Die Erfahrung kirchlicher Organisationen ist: Allein die formale Kirchenzugehörigkeit sagt noch nichts über die Qualität der geleisteten Arbeit aus. Es gibt Mitarbeitende, die auch ohne Kirchenzugehörigkeit das christliche Profil einer Einrichtung fördern, ebenso wie solche, die in ihrer Lebensführung nicht den bisherigen Idealen entsprachen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich die Sorge, dass eine zunehmend nicht-katholische Mitarbeiterschaft das kirchliche Profil einer Einrichtung nicht mehr mittragen könnte. Um dem entgegenwirken zu können, wir in der neuen Grundordnung festgelegt, dass der Dienstgeber, also das Bistum oder die katholische Einrichtung die Pflicht hat, für den Erhalt des kirchlichen Profils, etwa durch Schulung der Beschäftigten Sorge zu tragen. Die Bischofskonferenz spricht folglich auch davon, dass man von einem personenbezogenen auf institutionsbezogenes kirchliches Profil übergegangen sei.

In diesem Schritt liegt eine kaum erkennbare, aber entscheidende Veränderung des Kirchenbildes, die ich hier kurz nachzeichnen möchte. Ende des 19. Jahrhunderts trägt der Katholizismus sehr rechtlich-formelle Züge. Gebote und Vorschriften regeln den kirchlichen Verhaltenskodex. Wer sonntags zur Messe geht, sich an die 10 Gebote, die Dogmen und die Kirchengebote hält, wer einen „erlaubten“ Lebensstand gewählt hat, der befindet sich in voller Einheit mit der Kirche. Anfang des 20. Jahrhunderts kommt durch die „Katholische Aktion“, die neuen geistlichen Gemeinschaften, die Jugendbewegungen, die Liturgische Bewegung und die katholischen Verbände, also durch Nicht-Kleriker, die aus dem Glauben heraus ihr „Apostolat“, ihre Sendung in die Welt verwirklichen möchten, Bewegung in das starre System. Zunehmend ist der oder die Gläubige persönlich gefragt. Aus einer „Regelwerkkirche“ soll immer mehr eine Kirche der persönlich Glaubenden werden. Beherrschend wurde das „sakramentale Denken“. Damit ist gemeint, dass auch die Betätigung der ganz normalen Gläubigen ganz als Verweis auf die Tätigkeit der Kirche und das Handeln Gottes in der Welt gelesen werden kann. Das II. Vatikanische Konzil bestätigt diesen Grundsatz in besonderer Weise. Die „Laien“ sollen an ihrem weltlichen Wirkungsort „Sauerteig zur Heiligung der Welt“ sein (Lumen gentium 31.). Weiter heißt es an dieser Stelle: „Ihre Aufgabe ist es also in besonderer Weise, alle zeitlichen Dinge, mit denen sie eng verbunden sind, so zu durchleuchten und zu ordnen, dass sie immer Christus entsprechend geschehen und sich entwickeln zum Lob des Schöpfers und Erlösers gereichen.“ Das Dekret über das Laienapostolat des Konzils führt dies für verschiedene Einzelbereiche aus. Unter anderem sollen die Laien mit dafür sorgen, die kirchliche Lehre und auch die sittliche Ordnung zu verteidigen (Apostolicam actuositatem 6). In dieser Logik erscheint es notwendig, gerade „vor der eigenen Haustür“, also in den eigenen Diensten solche Katholiken einzusetzen, die aus ihrer persönlichen katholischen Überzeugung heraus handeln und die kirchliche Ordnung durch ein „vorbildliches christliches Leben“ (etwa im Sinne der Tugendlisten der Paulusbriefe) auch durch den eigenen Lebensstil bezeugen. Eine Trennung in der Weise „dienstlich gehöre ich zur katholischen Kirche, privat nicht“ war sicher nicht vorgesehen.

Jetzt ist unbestritten, dass auch Nicht-Katholiken in solcher Weise persönlich „sakramental“ die Liebe Gottes zu den Menschen „darstellen“ können. Die neue Grundordnung für den Kirchlichen Dienst führt daher eine Veränderung ein. In der alten Fassung von 2015 hieß es Artikel 4,1:

„Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Im pastoralen und katechetischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre erforderlich; dies gilt in der Regel auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im erzieherischen Dienst.“

Hier wird für die Verkündigungs- und Leitungsdienste auf die „Katholische Glaubens- und Sittenlehre“ verwiesen. In der Neufassung der Grundordnung ist dieser Passus verschwunden. Man bezieht sich nun auf „die Botschaft Christi“ (Art. 2,1) und das „christliche Gottes- und Menschenbild“ (Art. 3,1). Die kirchliche Lehre wird nicht mehr genannt. Die nun gewählten Begriffe sind inhaltlich sehr dehnbar. Was etwa das christliche Menschenbild ist, lässt sich nicht eindeutig sagen.[2] Beim Lesen der neuen Grundordnung hat man den Eindruck, dass die Befolgung der gängigen Toleranz- und Gleichberechtigkeitsgrundsätze erster Ausdruck des christlichen Menschenbildes seien (was historisch erwiesenermaßen nicht zutrifft, inhaltlich natürlich nicht falsch, aber unvollständig ist).

Die Tätigkeit in einer Einrichtung der Katholischen Kirche wird also mehr zu einem „normalen“ Arbeitsverhältnis, für das persönliche Überzeugungen und Handlungen nur insofern von Bedeutung sind, als dass sie nicht „geschäftsschädigend“ wirken und zumindest im Dienst die kirchliche „Corporate Identity“ beachten. Das ist mit Blick auf diejenigen, die aufgrund ihrer Lebensführung arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten mussten, ein Fortschritt zu einer größeren Freiheit, birgt aber auch Risiken, die mitbedacht werden müssen.

Mit der Neufassung sind die Bischöfe einen weiten Schritt auf die Reformer zugegangen und haben ein eher funktional-technisches Kirchenbild übernommen. In gewisser Weise ist die alte „Rechtskirche“ in neuem Gewand und mit neuen Anforderungen zurück. Der kirchliche Mitarbeiter droht, zu einem durch das System lenkbaren zu werden. So wohlwollend die neue Grundordnung geschrieben ist, sie lässt immer weniger Spielraum für das, was das Konzil unter „Laienapostolat“ verstand. Es wird schwer werden, den in der Welt tätigen Gläubigen dieses Apostolat näherzubringen, wenn es für beruflich kirchliche Bereiche bedeuten sollte, sich vor allem bestimmten kirchlichen Positionen gegenüber zu „committen“, ob ich sie persönlich mittrage, oder nicht.

Die Bischöfe haben mit der neuen Grundordnung eine klare Entscheidung getroffen. Sie setzen auf den Erhalt der kirchlichen Institutionen in der bisherigen Form. Es wäre eine Möglichkeit gewesen, angesichts der schwindendenden kirchlichen Bindung unter den Gläubigen mitzuschrumpfen, also kleiner zu werden, weniger Einrichtungen unter der katholischen Flagge segeln zu lassen. Ob diese Möglichkeit erwogen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Welche Veränderungen die neue Grundordnung bringen werden, wird sich zeigen. Eine auf dem Papier beschriebene Nicht-Diskriminierung ist z.B. noch längst keine vollzogene, ein eingefordertes institutionelles katholisches Profil kann leicht zu einer bloßen Formalität werden. Ob die neue Grundordnung die Kirche real verändert, wissen wir noch nicht. Sie ist Teil eines großen Experiments.

Beitragsbild: Baustelle im Passauer Dom


[1] Die Texte zum Vergleich hier: Neue Grundordnung (2022): *Grundordnung-des-kirchlichen-Dienstes-22.-November-2022.pdf (dbk.de); alte Grundordnung (2015) vorübergehend noch hier: https://www.caritas.de/glossare/grundordnung-des-kirchlichen-dienstes.

[2] Ich habe an anderer Stelle einmal versucht, Grundzüge des christlichen Menschenbildes herauszuarbeiten: https://sensusfidei.blog/2018/10/25/christliches-menschenbild-teil-1/.

2 Kommentare zu „Apostolat und Vorschrift – Die Katholische Kirche reformiert ihr Arbeitsrecht

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s