Der Frankfurter Dom erlebt in diesen Tagen große Aufmerksamkeit. Nicht nur, dass die alte Kathedrale als ehemaliger Krönungsort der Kaiser Anziehung auf die zahlreichen Besucher der Stadt ausübt, vielmehr richtet sich auch die innerkirchliche Aufmerksamkeit auf das Gebäude. Die Kirche lebt in schweren Zeiten. Frankfurt als Stadt bringt das zum Ausdruck. War der Dom mit seinem hohen Turm einmal das größte Gebäude der Stadt, so ist dieser Rekord schon längst überholt worden. Die Frankfurter Skyline wird, wie bekannt, von den großen Zentralen der Banken dominiert. Der Frankfurter Domturm wirkt daneben klein und eher unbedeutend. Das Bild der Stadt Frankfurt spiegelt die derzeitigen Kräfteverhältnisse wider. In der Gesellschaft hat die Kirche ihre dominierende Kraft längst verloren. Sie steht als eine von mehreren Institutionen in der Mitte der beherrschenden Kathedralen des Marktes, der Wirtschaft, der Kultur, und des gesellschaftlichen Diskurses. Wie die Kirche in dieser neuen Ordnung dennoch Bedeutung und Zulauf behalten oder gewinnen möchte, ist die Frage vieler innerkirchlicher Reformbestrebungen.
In Frankfurt startet dazu am 30. Januar ein neues Experiment. Mit dem sogenannten „Synodalen Weg“[1], auf den sich die Bischofskonferenz und das ZdK (Zentralkomitee der deutschen Katholiken) verständigt haben, soll eine strukturelle und inhaltliche Erneuerung in der katholischen Kirche in Deutschland beginnen. Die Erwartungen sind hoch. Das zentrale Thema heißt „Glaubwürdigkeit“. Die Idee des „Synodalen Weges“ entstand vor oder während der Vollversammlung der Bischofskonferenz in Lingen im März 2019. Diese war von massiven Protesten einiger Gruppen begleitet worden, die angesichts der Missbrauchsfälle grundlegende Reformen in der Kirche anmahnten. Als Reizthemen wurden in der Folge vier Felder benannt, die für das Thema der Glaubwürdigkeit und der Erneuerung nach Ansicht von Bischöfen und ZdK von zentraler Bedeutung sind: „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, „Fragen der Sexualmoral“, „Priesterliche Lebensform“, „Frauen in den Diensten und Aufgaben der Kirche“. Man könnte mit Blick auf die Themen sagen, dass es sich um die Bereiche handelt, an denen die katholische Kirche im Verhältnis zur Gesellschaft die größte „Reibungshitze“ erzeugt. In einer Zeit, die besonders die Fragen von Demokratie und Mitbestimmung (Partizipation) diskutiert, ist die bestehende Leitungsarchitektur der Kirche, die keine Gewaltenteilung kennt und die wichtigsten Leitungsämtern Klerikern vorbehält eine ständige Herausforderung. Ebenso sind im Umfeld einer weitgehenden sexuellen Liberalisierung (man denke nur an das Thema der homosexuellen Partnerschaften) die Grundaussagen der katholischen Sexualmoral mehr als anstößig. Der immer wieder postulierte Mangel an Priestern hat ein altes Thema, nämlich das nach den Voraussetzungen zur Weihe, neu aufkommen lassen, zudem aber auch die Frage nach Machtmissbrauch und Klerikalismus, die durch die Missbrauchsfälle verschärft gestellt wurde. Ein weiteres Thema, das der Gleichberechtigung der Geschlechter, wird gesellschaftlich ebenso immer bedeutsamer. Hier ist die katholische Kirche aus der Sicht einer liberalen Gesellschaft völlig ins Hintertreffen geraten. Es wird die Hoffnung vieler sein, die am Synodalen Prozess teilnehmen, einen Fortschritt im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung innerhalb der Kirche zu erreichen.
Allerdings ist die Frage, ob der Synodale Prozess dies überhaupt leisten kann. In seinem Brief an die deutschen Katholiken hat Papst Franziskus schon deutlich gemacht, dass die Anstrengungen des Synodalen Weges den Grundsätzen des Glaubens und der Kirche verpflichtet bleiben müssen.[2] Ziemlich deutlich beanstandete der Papst, dass Synodalität nicht mit einem politischen oder parlamentarischen Verfahren zur Ermittlung von Mehrheiten verwechselt werden dürfe. Jede Reform der Kirche habe zuerst der Neuevangelisierung zu dienen. Die deutschen Bischöfe haben diesen Impuls so aufgegriffen, dass sie betonten, auch die geistliche Dimension dürfe während der Beratungen nicht zu kurz kommen. Tatsächlich weist die Tagesordnung des Eröffnungsveranstaltung in Frankfurt immer wieder geistliche Unterbrechungen auf.[3] Den fundamentalen Einwänden, die im päpstlichen Schreiben zum Ausdruck kamen, dürfte damit sicher noch nicht genuggetan sein, aber ein Anfang ist gemacht.
Streitigkeiten hatte es im Vorfeld darum gegeben, was der „Synodale Weg“ eigentlich ist. Das Attribut „synodal“ hatte Erinnerungen an die Möglichkeit einer gemeinsamen Synode der Bistümer hervorgerufen. Eine solche Synode fand für die Bistümer der alten BRD zwischen 1971 und 1975 in Würzburg statt, für die DDR gab es zwischen 1973 und 1975 eine Pastoralsynode in Dresden. Rechtlich hatte man hier etwas gewagt. Das Kirchenrecht sieht die Möglichkeit einer Diözesansynode vor, wie sie vor ein paar Jahren etwa im Bistum Trier stattgefunden hat. Laut kirchlichem Gesetzbuch hat die Diözesansynode den Auftrag dem Diözesanbischof „hilfreiche Unterstützung“ zu gewähren (can 460 CIC). Gleichzeitig wird aber auch festgelegt: „Einziger Gesetzgeber in der Diözesansynode ist der Diözesanbischof, während alle anderen Teilnehmer der Synode nur beratendes Stimmrecht haben; allein er selbst unterschreibt die Erklärungen und Dekrete der Synode, die nur Kraft seiner Autorität veröffentlicht werden dürfen.“ Eine Synode ist somit nur ein beratendes Gremium. Bei der Würzburger Synode wandte man die Synodenregeln auf alle Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland gleichmäßig an. Es handelte sich also nicht um eine „deutsche Synode“, sondern um eine Synode der deutschen Bistümer. Auch diese Synode hatte nur beratenden Charakter, wenn auch die Ergebnisse der Diskussionen teilweise so konkret waren, dass sie in allen Bistümern auch umgesetzt werden konnten. So gab es z.B. einen Synodenbeschluss zur kirchlichen Bildungsarbeit. Dieser fasste in einem ersten Teil den Diskussionsstand zur Bildung und dem kirchlichen Auftrag in ihr zusammen und formulierte eine Positionsbestimmung. Daraus wurden für die einzelnen Bildungsbereiche konkrete Empfehlungen gegeben. So empfahl die Synode z.B. zur Kleinkinderziehung, darauf hinzuwirken, dass mindestens ein Elternteil nicht auf „außerhäusliche Erwerbstätigkeit“ angewiesen ist, sondern ein Erziehungsgeld bekommt, damit die Kinder in den ersten Jahren zu Hause von den Eltern erzogen werden können. Ab dem dritten Jahr sollte auch die Kirche dafür sorgen, dass es angemessene „Einrichtungen zur Kleinkindpädagogik“ gibt, da ein Kind ab dem vierten Lebensjahr „gruppenfähig“ geworden sei. Außerdem sollten die Bischöfe mit den Hochschulen dafür Sorge tragen, dass im Pädagogikstudium die Religionspädagogik für Kleinkinder Lerninhalt werden sollte und zudem in der gymnasialen Oberstufe das Fach „Erziehungslehre“ verankert werden möge. Die Beschluss der Würzburger Synode zeigt also konkrete Maßnahmen auf, von denen einige im Rückblick gesehen auch verwirklicht werden konnten. Ob dies nun immer ursächlich mit dem Synodenbeschluss zusammenhängt oder mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, muss hier nicht geklärt werden.
Der „Synodale Weg“ ist keine Synode. Diese „Rechtsform“ hatten man bewusst umgangen, um nicht an die strengen kirchenrechtlichen Regeln für die Zusammensetzung der Synode gebunden zu sein, die einen überproportionalen Anteil an Klerikern vorgesehen hätte. Gleichzeitig scheint mir dies allerdings nicht von großer Bedeutung zu sein. Zwar wird einer Synode ein höherer Verbindlichkeitsgrad zugemessen, zugleich aber ist deutlich geworden, dass auch eine Synode lediglich einen beratenden Charakter hat. Im letzten liegt es immer an dem oder den Bischöfen, Empfehlungen der Versammlung umzusetzen oder nicht. Rechtlich können die Bischöfe weder bei der Synode, noch beim „Synodalen Weg“ dazu gezwungen werden. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung der Würzburger Synode aber, dass dort gefällte Beschlüsse dann eine bestimmte Wirksamkeit hatten, wenn sie möglichst konkrete Maßnahmen vorschlugen. Dies dürfte analog auch für den „Synodalen Weg“ gelten. Konkrete Maßnahmen können allerdings nur dort vorgeschlagen werden, wo ihre Umsetzung auch möglich ist. Die an den Synodalen Weg geknüpften Erwartungen sind bei vielen ja, dass dieser die Grenzen des universalen Kirchenrechts und der kirchlichen Lehre überschreiten könnte, also etwa für die Freiwilligkeit des priesterlichen Zölibats sorgen, oder ein kirchliches Amt für die Frauen einführen könnte. Dazu allerdings haben weder die „Synodalen“ noch die Bischöfe eines Landes die Möglichkeit. Die Entscheidungen dazu liegen auf weltkirchlicher Ebene. Dies gilt auch für kirchenrechtliche Fragen, wie etwa die Leitung der Diözese durch den Bischof oder der Pfarrei durch den Pfarrer. Ebenso wenig könnte der „Synodale Weg“ einfach die geltenden ethischen Normen verändern und etwa eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft mit der Ehe gleichstellen. Die Gefahr des „Synodalen Weges“ besteht darin, über den Austausch von Positionen nicht die Fragen zu beantworten, die wirklich umgesetzt werden können. So wäre es denkbar, in der Frage der besseren Beteiligung von Frauen an der Leitung der Kirche den Bistümern empfehlen, darauf zu achten, dass alle nicht dem geistlichen Amt vorbehaltenen Leitungsstellen im Generalvikariat, auf regionaler Ebene, in Bildungs- und Caritasverbänden oder -einrichtungen zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern zu besetzen sind. Man könnte vorschlagen, dass die Vorstände in pfarrlichen und diözesanen Gremien nach Möglichkeit immer mit mindestens einer Frau zu besetzen sind. Je konkreter die Vorschläge, desto realistischer die Umsetzung.
Bei aller Debatte um strukturelle und kirchenpolitische Fragen bleibt es aber wichtig, die zentrale Warnung von Papst Franziskus im Ohr zu behalten. In dem Augenblick, in dem es der Kirche nur um ihre Attraktivität, ihren Fortbestand oder ihre Mitgliederzahl geht, ist sie eigentlich auf dem falschen Weg. In den Zeiten, in denen der Traditionsabbruch maßgeblich zum Schwinden der Mitgliederzahlen beiträgt, kann es nicht allein darum gehen, diese oder jene interne Vereinbarung zu treffen, um Gesellschaft und Kirche wieder stärker „auf einen Nenner“ zu bringen. Das Christentum der Zukunft wird noch stärker als bisher davon abhängen, dass sich Menschen zur Teilhabe am Glauben und der Glaubensgemeinschaft entschließen. Dabei hängt es davon ab, dass dieser Glaube auch in anziehender Weise ausstrahlen kann. Nicht Papiere, deren Inhalt nach einer gewissen Zeit auch an Aktualität verloren haben, besitzen Anziehungskraft, sondern die Begegnungen mit glaubhaften Zeuginnen und Zeugen des Glaubens. Derzeit ist doch zu beobachten, wie interne Strukturdebatten, die Kraft für ein evangelisierendes Handeln absorbieren. Dabei geht es weniger um die Inhalte der Debatten, als vielmehr um die enormen Zeit- und Arbeitsressourcen, die für solche Prozesse aufgewandt werden.
Der Frankfurter Dom hat den modernen Kathedralen des Marktes eines voraus: Er steht seit hunderten von Jahren. Sein Turm wird auch dann noch zu sehen sein, wenn so manches modernes Hochhaus schon wieder abgerissen wurde. Die Kirche zeichnet eine bestimmte Beharrlichkeit, aber auch eine bestimmte Langsamkeit aus. Ihre Attraktivität liegt manchmal auch darin, dass sie eben nicht wie ein modernes Hochhaus aussieht. Ihre Unzeitgemäßheit ist aus meiner Erfahrung ein Anziehungskriterium. Der Spagat zwischen einer Wahrung der Tradition und einer Kompatibilität mit einer modernen Kultur wird dabei wahrscheinlich immer schwerer. Der Rückzug in „konservative“ oder „liberale“ Filterblasen ist nicht nur gesellschaftlich, sondern auch kirchlich immer verstärkter zu beobachten. Der Ausgleich ist kaum möglich. Die Annahme, dass der synodale Weg innerhalb einer „liberalen Filterblase“ gegangen wird, dürfte angesichts der Auswahl der „Synodalen“ von Frankfurt nicht ganz gewagt sein. Man kann nur hoffen, dass sich die Risse innerhalb der Kirche durch den Synodalen Weg nicht noch vergrößern. Die Langsamkeit der Kirche in der Veränderung ist auf der einen Seite für viele schwer zu ertragen, die in einer permanenten Ungeduld eine „Heutigkeit“ der Kirche fordern, eine möglichst große Übereinstimmung von Kirche und Welt. Gleichzeitig gibt es auf der anderen Seite auch das Erfahrungswissen, dass so schnell nichts überstürzt wird. Lange Prozesse helfen auch, Fehler zu vermeiden. Der „Synodale Prozess“ wird sich in diese Dynamik einreihen. Er wird nur begrenzt zu einer Veränderung beitragen. Gleichzeitig könnte er im Rückblick allerdings auch ein Schritt auf einem langen Pilgerweg sein. Ich wäre dafür, ihn gelassen zu begleiten.
[2] S. dazu https://sensusfidei.blog/2019/06/29/ein-aufmunternder-klaps-und-eine-schallende-ohrfeige-papst-franziskus-schreibt-an-die-deutschen-katholiken/
[3] https://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/presse_2020/2020-SW003a-Programm-erste-Synodalversammlung.pdf
Lieber Georg,
Danke für diesen Blogpost und den Hinweis bzw. den Vergleich mit der Würzburger Synode. Könntest du mir bitte noch erläutern, was du mit diesem Halbsatz meinst: „In den Zeiten, in denen der Traditionsabbruch maßgeblich zum Schwinden der Mitgliederzahlen beiträgt,…“
Danke und liebe Grüße
Steffen
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Hallo Steffen, ich meine den Traditionsabbruch in der Vermittlung und Weitergabe des Glaubens inner halb der Familien. Ich merke das zur Zeit wieder besonders bei Beerdigungen. Während die ältere Generation sich noch eine kirchliche Berrdigung wünscht, ist in der nächsten Generation nur noch eine sehr lose Anbindung an die Kirche und eine gering ausgeprägte Glaubenspraxis zu sehen – eine Generation später ist es dann noch weniger…
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