Nach Corona – Wie die Krise das kirchliche Leben verändern könnte

24. Dezember – 31. Januar – 14. Februar: Das Ende der verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Ausbreitung hat sich schon mehrfach verzögert. Wie die Erfahrungen aus dem letzten Sommer zeigen, liegt die Schwierigkeit der Schutzmaßnahmen weniger in deren Verhängung, als vielmehr in deren langsamer Lockerung. Wie lange dauert es noch? Diese Frage wird zunehmend drängender und gereizter gestellt. Die Ungeduld hat nicht nur damit zu tun, dass der derzeitige Zustand zunehmend als unbefriedigend empfunden wird. Für das Drängen gibt es noch einen anderen Grund. Je länger die Einschränkungen dauern, desto schwerwiegender werden die Langzeitfolgen sein. Ein Bekannter, der sich mit Flugzeugtechnik auskennt, erläuterte mir dies vor Kurzem mit Bezug auf die Airlines: Ein geparktes Flugzeug, so sagte er, verursache bei den Betreibern nicht bloß wirtschaftliche Schäden, weil es keine Passagiere befördert. Es geht also um mehr als einen zeitweiligen Verdienstausfall. Ein Flugzeug kann nicht einfach abgestellt werden. Es ist darauf ausgelegt, in Bewegung zu sein. Durch langes Stehen nehmen die Turbinen und andere technische Teile Schaden. Zudem kann durch die mangelnde Belastung die Flugfähigkeit der Maschine insgesamt beeinträchtigt werden. Das Flugzeug ist nach einer langen Standzeit möglicherweise gar nicht mehr regulär einsatzfähig. Es entstehen also Schäden „zweiter Ordnung“, die gravierender als die unmittelbaren Schäden „erster Ordnung“ sind, also solche, die unmittelbar durch die Corona-Maßnahmen verursacht werden.

Das gilt sicher nicht nur für den Bereich der Wirtschaft. Auch für das gesellschaftliche Leben sind ähnliche Folgen, vielleicht auch langfristige Veränderungen zu erwarten. Schon jetzt melden Pädagogen, die im Bereich der Integrationshilfe tätig sind, dass der langfristige Ausfall von Begegnungs- und Betreuungsmaßnahmen etwa von Flüchtlingen zu einer massiven Verschlechterung der bereits erworbenen sprachlichen Fähigkeiten führt. An einigen Stellen, so die Prognose, könne man sicher wieder von vorne anfangen. Lehrkräfte machen sich aufgrund der derzeitigen Schulsituation nicht nur Sorgen, ob die Schülerinnen und Schüler den vorgesehenen Lernstoff bewältigen können, sondern auch darum, ob nach der langen Trennungszeit nicht auch die häufig mühsam erarbeitete Klassengemeinschaft, inklusive Lern- und Sozialverhalten schweren Schaden genommen hat. Personen, die über Monate keinen Besuch von Verwandten oder Freunden bekommen haben, freuen sich nicht einfach nur auf ein Wiedersehen, sondern müssen damit rechnen, dass die Corona-Zeit auch eine Entfremdung in den Beziehungen bewirken wird. Das Netz der Beziehungen wird dünner und rissiger.

Die erwarteten Schäden „zweiter Ordnung“ wecken Befürchtungen und Hoffnungen. Neben die Angst vor Abbrüchen und Verlusten tritt bei einigen die optimistische Erwartung von „Nachholeffekten“, die dabei helfen können, die eingetreten Schäden zu kompensieren. In vielen Bereichen hofft man aber auch auf einen langfristigen Wandel. So sehen Klimaschützer in der Corona-Zeit die Möglichkeit zu einem gesellschaftlichen Umdenken, so dass auch in Zukunft etwa mit viel weniger Reiseverhalten zu rechnen sein könnte. Ob dies wirklich langfristig eintritt, ist fraglich. Viel wahrscheinlich ist doch, dass das Reiseverhalten noch über Jahre durch gestiegene Preise, staatliche Einreisebeschränkungen und ein Verknappung des Angebots gedrosselt werden wird.

Wie werden sich Schäden „zweiter Ordnung“ auf das kirchliche Leben auswirken? Diese Frage wird derzeit intensiv diskutiert. Es mehren sich die Stimmen derer, die voraussagen, nach Corona werde auch die Kirche nicht mehr sein wie vorher. Das wird sich zeigen. Obwohl der kirchliche Bereich insgesamt weniger hart von den geltenden Regelungen betroffen ist, als etwa die Kulturszene oder der stationäre Einzelhandel, zeigt die lange Zeit der Einschränkungen doch deutliche Wirkungen. Offensichtlich ist das Ausbleiben von Gottesdienstbesuchern. Dieses hat nur zum Teil mit bestehenden Restriktionen zu tun, etwa mit einer Besucherobergrenze. Es geschieht häufig aus den besten Motiven. Gemeindemitglieder werden aufgrund ihrer persönlichen Situation vorsichtig und meiden Veranstaltungen und Ansammlungen von Personen. So manche Beerdigung wird in den letzten Monaten aus Angst vor Organisationshürden und Beschränkungen nicht mehr kirchlich gefeiert, Taufen und Trauungen werden auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Daneben stehen auch die Gemeindehäuser leer, weil es Gruppen nicht möglich ist, sich zu treffen. Es ist zu erwarten, dass einige von ihnen nach Corona nicht mehr zusammenkommen. Für so manchen kränkelnden Kirchenchor dürfte die lange Unterbrechung zugleich das Ende bedeuten. Ähnliches gilt für viele Aktivitäten, die vor der Corona-Zeit nur noch mühsam am Leben gehalten wurden. Der gesamte kirchliche Veranstaltungs- und Bildungsbereich, etwa zentrale Fortbildungen, geistliche Wochenenden, Gemeindefahrten und -feste, Engagiertentreffen, Freiwilligenarbeit oder Jugendevents fallen seit einem Jahr aus. Hinzu kommen die Meldungen über erwartete Einbrüche bei den Kirchensteuern und Kollekten. Dies ist ein logischer Folgeeffekt von abnehmender Bindung der Mitglieder und abnehmender Wirtschaftskraft.

Ein gewisser Nachholeffekt wird sicher auch hier zu erwarten sein. Schon jetzt schwenkt der interne kirchliche Diskurs mit Fähnchen der Hoffnung und schürt die Vorfreude auf den Moment, in dem die erste große Party wieder möglich ist. Wird es allerdings so kommen? Die Zeit spielt gerade gegen uns. Je länger der Lockdown, desto größer (wahrscheinlich) der Schaden an der bisherigen kirchlichen Struktur. Ich gehe davon aus, dass die für das gemeinschaftliche Leben entscheidende Einschränkung, nämlich die Einhaltung von Mindestabständen noch lange über den 14. Februar hinaus erhalten bleiben wird. Bei guten Infektions- und Impfzahlen könnte es vielleicht ab Pfingsten, vielleicht zum Sommer so weit sein, dass auch die letzte strenge Vorschrift fällt. Und dann? Die Erfahrungen der Gastronomie aus dem letzten Herbst zeigen, dass es auch danach noch Monate dauern kann, bis sich die Verhältnisse wieder stabilisieren. Einschränkend muss hinzugefügt werden: Sofern das bestehende Angebot noch nachgefragt ist.

Genau hier liegt aus meiner Sicht der erste Schritt auf dem Weg in den Nach-Corona-Zustand. Mit Blick auf unsere Pfarrei fallen mir einige Aktivitäten ein, die sicher mit großer Begeisterung wieder aufgenommen werden. Sie besitzen eine Attraktivität und verfügen über einen großen Unterstützerkreis, Faktoren, die genügend Kraft mitbringen, um sie wiederzubeleben. Mir fallen aber auch viele Formate ein, die ohnehin nur noch mit Mühe und viel gutem Willen Akzeptanz gefunden haben. Die Frage ist, ob wir den Mut haben werden, sie zu beenden oder ob wir viel Kraft und Überzeugung darein stecken werden, sie irgendwie wieder aufzubauen. Das wird kritisch zu prüfen sein. Auch wenn Corona eine deutliche Zäsur bedeutet, waren die letzten Monate ja keine erfahrungslose Zeit. Im Gegenteil: Erzwungene Veränderungen haben auch positive Effekte gehabt. Von ihnen, meine ich, können wir für die kommenden Jahre profitieren. Wie könnte sich das kirchliche Leben also verändern? Dazu einige Thesen:

1. Die Wiederentdeckung des „Kerngeschäfts“

Der Wegfall vieler „bunter“ gemeindlicher Aktivitäten hat eine Konzentration auf die zentralen kirchlichen Aufgaben bewirkt. Wo man vor Corona an einigen Stellen angesichts der Vermeldungen in so mancher Gemeinde den Eindruck hatte, die Kirche vor Ort definiere sich hauptsächlich über Sitzungen, Festen, Vorträge oder „alternativen“ Angebote, tritt jetzt wieder ihre wesentliche Gestalt zu Tage. Die Frage der Krise war ja: Welche Aufgaben sind auch in der Zeit der Einschränkungen unverzichtbar? Um welche müssen wir kämpfen. Dabei war sehr schnell klar: Der Gottesdienst ist das Herzstück des kirchlichen Lebens. Der Aufwand zur weiteren Durchführung besonders von Eucharistiefeiern war gerade am Anfang beträchtlich. Die Nachfrage bei den Gemeindemitgliedern richtete sich zumeist zuerst auch auf diesen Punkt. Die Tatsache, dass in der Zeit des Lockdowns vor allem Messfeiern gestreamt (und angeschaut) wurden, ist nicht einfach einer klerikalen Bevormundung geschuldet, wie einige Kommentatoren auf kirchlichen Internetportalen bemängelten, sondern entsprach auch dem Bedürfnis vieler regelmäßiger Gottesdienstbesucher. Hier wurde der zentrale Bezugspunkt zur Kirche, die gemeinsame Feier des sonntäglichen Gottesdienstes, in den Mittelpunkt gerückt. Wo das nicht möglich war, haben sich viele Gemeinden bemüht, Anregungen und Materialien für Haus- oder Gruppengottesdienste zu erstellen, um das gewohnte liturgische Angebot sinnvoll zu ergänzen. An zweiter Stelle, so meine Einschätzung, lag die Sorge für eine würdige Durchführung von Trauerfeiern. Das dritte Bedürfnis war die seelsorgliche Ansprechbarkeit, zudem auch die Nachfrage nach praktischer Hilfe, die in vielen Gemeinden, von der Caritas und kirchlichen Gruppen angeboten wurde (auch wenn hier Familie und Nachbarschaft eine weit größere Rolle spielten). Während Taufen und Trauungen als Familienfeste häufig verschoben wurden, fanden in den meisten Gemeinden Erstkommunion- und Firmfeiern statt. Hier gab es eine große Kreativität, um diese Feste möglich zu machen. Ähnliches gilt für den Religionsunterricht dort, wo er in den Gemeinde stattfindet. Bei der Durchsicht meines Kalenders bin ich auch auf die Tatsache gestoßen, dass ich im letzten Jahr (zu den Zeiten, wo dies möglich war) wesentlich mehr Hausbesuche gemacht habe, als im Vorjahr. Der Ausfall zahlreicher Abendtermine sorgte für Platz im Kalender, der auf diese Weise sinnvoll gefüllt werden konnte. Die Kirche, so könnte man sagen, machte das, was man im Kern von ihr erwartet. Diese Konzentration auf das Kerngeschäft, verbunden mit ausreichender Zeit, um Gottesdienste und Veranstaltungen gut vorzubereiten, stellt für mich noch einmal einen wichtigen Impuls dar. Geht es nicht auch ohne Beschränkungen darum, diesen Hauptaufgaben, Liturgie, Kasualien, Seelsorge, Caritas und Katechese eine zentrale Stellung einzuräumen? Ich frage das durchaus selbstkritisch. Wie häufig ist es mir gerade bei größeren kirchlichen Festen passiert, viel Zeit für praktische Organisationsfragen einzusetzen und dabei die inhaltliche, liturgische Gestaltung des zentralen Elements, des Gottesdienstes aus dem Blick zu verlieren? Dieses „noch mal schnell eine Predigt oder Fürbitten schreiben“ oder sich mit den liturgischen Diensten absprechen kennen wahrscheinlich viele. Der Wert, Zeit für wesentliche Dinge einzusetzen, sollte auch nach Corona erhalten bleiben.

2. Die Aufmerksamkeit für Beziehungen

Seelsorge, Pastoral und Gemeindeleben fußen auf Beziehungen. Das ist uns in den letzten Monaten noch einmal bewusst geworden. Dort, wo die sonst selbstverständlichen Begegnungen etwa nach dem Gottesdienst, bei Veranstaltungen oder Sitzungen ausbleiben, ist die Gefahr groß, sich aus dem Blick zu verlieren. Der Glaube lebt auch von der Gemeinschaft, vom Gespräch und von persönlichen Kontakten. Wer keine menschlichen Bindungen an Gruppen oder Einzelpersonen, auch an Seelsorger, Institutionen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt, findet häufig auch in einer Gemeinde keine Heimat. Die Gemeinden standen also in den letzten Monaten vor der großen Herausforderung, trotz der Beschränkungen alte Kontakte aufrecht zu erhalten oder auch neue zu knüpfen. Hier habe ich eine große Bandbreite von neuen Ansätzen erlebt. Von besonderem Wert waren dabei die elektronischen Medien, da sie auf kurzem Weg eine relativ große Reichweite ermöglichen und häufig interaktiv sind – und sei es nur, um einmal „von sich hören“ zu lassen. Ein Mitbruder aus einer anderen Pfarrei hatte sich z.B. über „Whatsapp“ innerhalb kurzer Zeit einen großen Verteiler aufgebaut, über den er an jedem Abend einen kleinen Abendimpuls versandte und darüber mit den Empfängern ins Gespräch kam. Dieser spirituelle Smalltalk war durchaus gemeinschaftsstiftend. Daneben haben sich aber auch andere „Kontaktaktionen“ bewährt, wie etwa die Verteilung von „Ostertüten“ mit kleinen Geschenken und Gebetsanregungen für das Osterfest zu Hause. Im Advent brachte der Versand eines Weihnachtsbriefes positive Reaktionen auch von Gemeindemitgliedern, die sich sonst am kirchlichen Leben nicht beteiligen. Nicht zuletzt brachte die zwischenzeitliche Möglichkeit und freie Zeit für Hausbesuche oder gemeinsame Spaziergänge die gute Gelegenheiten, mit einzelnen Gemeindemitgliedern vertiefter und ausführlicher zu sprechen. Gemeindemitglieder berichten von ähnlichen Erfahrungen, gerade weil man nicht in Gruppen, sondern nur im kleinen Kreis zusammenkommen konnte. Die Stärkung informeller Kontakte jenseits von Dienstverpflichtungen oder akutem Gesprächsbedarf sollte daher auch nach Corona weiter im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Möglichkeiten zur Aussprache und zum Besuch haben ihre Bedeutung noch einmal unterstrichen. Sie sind für die Gemeinden häufig das Rückgrat. Aus gelingenden Beziehungen kann häufig, so mein Eindruck, viel mehr entstehen, als durch geplante Aktionen und Projekte.

3. Private und familiäre Frömmigkeit

Was tut man eigentlich, wenn das gewohnte kirchliche „Angebot“ fehlt? Gerade in der Zeit der ersten Schließung während der Fasten- und Osterzeit im letzten Jahr wurde diese Frage für viele drängend. Zu den wichtigen positiven Erfahrungen dieser Wochen gehört es für mich, dass an vielen Stellen eine neue Aufmerksamkeit für das persönliche, aber auch familiäre Gebet entstanden ist. Die ständig wiederholte Phrase, dass der Glaube auch „im Alltag“ seinen Platz finden müsse, zeigt hier ihren wahren Gehalt. Zu häufig, so mein Eindruck, entsteht gerade auch durch ein vielfältiges pastorales Angebot in den Gemeinden der Eindruck, der Glaube müssen im kirchlichen Rahmen seine eigentliche Heimat finden. Die persönliche Glaubenspraxis wird leicht „professionalisiert“ oder „verkirchlicht“. In der Tat hat es in den letzten Jahrzehnten einen starken Rückgang traditioneller häuslicher Glaubensformen gegeben, angefangen vom Tisch- oder Abendgebet, über das Lesen in der Heiligen Schrift bis hin zum Rosenkranz oder Stundengebet. Es hat mich sehr ermutigt zu sehen, wie in der Krise alte Formen wiederbelebt, aber auch neue entstehen konnten. Für einige Gemeindemitglieder gehörte es in den Wochen des Shutdowns zum Tagesablauf, einmal am Tag in der Kirche für ein persönliches Gebet vorbeizuschauen. Andere haben am Sonntag im Familienkreis Andachten gefeiert, oder sich kleine Gebetszeiten freigehalten. Ein Ehepaar erzählte mir, wie sie sich mit den Nachbarn jeden Tag zu einer festen Uhrzeit an einem festen Ort getroffen und das Vater unser gebetet haben. Wieder andere begaben sich auf geistliche Spaziergänge, bei denen Stationen zur Schriftlesung und zum Gebet eingelegt wurden. Das sind nur einige Beispiele. Sie gelten sicher nur für einen Teil der Gemeindemitglieder. Aber trotzdem sind dies hoffnungsvolle Hinweise auf eine geistliche Alltagskultur, die vor der Pandemie weit weniger im Fokus stand. Es gehört, glaube ich, zu den wichtigen Erkenntnissen der letzten Monate, auf diesen Bereich mehr Aufmerksamkeit zu legen. Gerade wenn traditionelle Formen nicht mehr weitergegeben oder gepflegt werden, bleiben die Fragen: „Wie kann ich beten?“, „Was kann ich beten?“, „Was kann ich für meinen Glauben tun?“. In dieser Weise gehört es, meines Erachtens auch für die Zukunft zu den wichtigen Aufgaben in der Seelsorge, den Bereich der Alltagsspiritualität zu fördern und zu beleben.

4. Wiederbelebung der Caritas

Neben die Fragen des geistlichen Lebens tritt die Frage „Was kann ich tun“. Die Nächstenliebe ist sicher eine der schönsten Gebetsformen. Die Corona-Krise hat, wie andere Krisen auch bei vielen die Hilfsbereitschaft noch einmal gefördert. Als wir von der Pfarrei aus versuchten, ein Hilfsangebot, etwa zum Einkaufen auf die Beine zu stellen, meldete sich eine große Zahl von Personen, die ihre Bereitschaft zur Mitarbeit erklärten. Ähnliche Erfahrungen konnte die Caritas machen, die sich etwa in Schwerin besonders um die Unterstützung von Familien in schwierigen sozialen Lagen bemühte. Die Krise wird im Nachhinein noch zu vielen Berichten über erfahrene Hilfe führen. Die gegenseitige Unterstützung, weit über den kirchlichen Rahmen hinaus, ist eine wichtige Lernerfahrung. Für ein gutes Anliegen gibt es häufig mehr tatkräftige und auch finanzielle Hilfe, als wir es vielleicht manchmal denken. Die Corona-Zeit hat ganze Bevölkerungsgruppen neu in das Licht der öffentlichen Wahrnehmung gerückt, an erster Stelle sicher die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, dann aber auch die Kranken, Familien in Notlagen, sozial Bedürftige oder Obdachlose. Wie unter einem Brennglas wurde noch einmal offensichtlich, dass es auch in einer so gut organisierten Gesellschaft wie unserer immer Not und Bedürftigkeit gibt. Diesen caritativen Impuls, die Not zu sehen und darauf zu reagieren sollte uns erhalten bleiben, auch wenn die gesellschaftlichen Symptome der Pandemie wieder zurückgehen.

5. Die Eröffnung neuer Kommunikationsformen

Eines der großen Stichworte der letzten Monate war „Digitalisierung“. Die Krise hat in dieser Hinsicht viel bewegt. Galt vorher im kirchlichen Bereich die Annahme, neue Medien seien nichts für alte Leute, so dürfte diese heute nur noch eingeschränkt gelten. Ich war erstaunt, gerade von älteren Gemeindemitgliedern zu hören, dass sie Gottesdienste im live-stream verfolgen, sich auf Skype mit den Kindern und Enkeln treffen, oder über die Homepage der Pfarrei bestens über die aktuellen Themen in der Pfarrei informiert sind. Man muss diese Form der medialen Vermittlung nicht übertrieben gut finden und darf sich der Risiken bewusst bleiben. Insgesamt lässt sich aber doch sagen: Die neuen Medien haben sich gerade in der Krise sehr bewährt. Ich erinnere mich noch an eine Diskussion vor einigen Jahren, als wir damals in der Pastoralen Dienststelle überlegten, ob man eine Mitarbeiterin mit weitem Anfahrtsweg nicht per Video in unsere Dienstberatung zuschalten könnte. Dieser Vorschlag kam mit eher wie science fiction vor. Zu groß war die Anhänglichkeit an die persönliche Begegnung vor Ort. Ich bleibe auch weiterhin ein Freund präsentischer Treffen oder Konferenzen. Mittlerweile bin ich aber durch die Erfahrung mit Videokonferenzen selbst motiviert, mich zu so manchem Treffen in Hamburg einfach zuschalten zu lassen. Gerade für Sitzungen, bei denen es in erster Linie um Informationsaustausch geht, scheint mir das mittlerweile sinnvoll. Es geht nicht nur um das Einsparen von Reisezeiten und -kosten. Vielmehr zeigt sich auch, dass die Form des virtuellen Zusammenkommens zu schnelleren und zielstrebigen Konferenzen führt. Zur Not, so zeigt sich gerade, lassen sich auch Andachten oder Katechesestunden über das Modul der Videokonferenz organisieren. Eine gute Erfahrung war diesbezüglich für mich auch das virtuelle Treffen des Erzbischofs mit allen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Gemeinden, zu dem sich im Netz 180 Personen versammelten. Als Präsenzveranstaltung hätte ein solches Treffen eine wochenlange Vorbereitung gebraucht. Auch beim Streamen von Gottesdiensten habe ich mittlerweile so manchen Vorbehalt abgelegt. Sicher ist das Mitfeiern einer Liturgie über den Fernseher oder Computer immer nur eine Notoption. Ich registriere aber auch die positiven Rückmeldungen derer, die diese Möglichkeit gerne annehmen und gerne vor dem Fernseher auch mitbeten und mitsingen. Wie es mit einem solchen Mittel auch nach der Pandemie weitergehen kann, ist für mich eine offene Frage. Die digitale Unterstützung hat sich auch bei anderen Dingen bewährt. So konnten etwa in Vorbereitung von St. Martin kleine Impulse und Bastelanregungen per Video schnell an interessierte Eltern und Kinder weitergegeben werden. Über facebook, whatsapp oder instagram lassen sich mit kleinem Aufwand Nachrichten, Fotos oder Informationen verbreiten. Die Reichweite dieser Aktivitäten übersteigt bereits die des Pfarrbriefs. Der social-media-Bereich sollte künftig daher nicht nur unter dem Thema „Öffentlichkeitsarbeit“ behandelt werden, sondern dürfte auch andere Bereiche der Verkündigung künftig stärker beeinflussen.

6. Eine sorgfältige Veranstaltungsplanung

In der Corona-Zeit sind weit mehr Veranstaltungen ausgefallen, als stattgefunden haben. Unter normalen Umständen wäre es kaum denkbar gewesen, dass man bewusst auf die eine oder andere von ihnen verzichtet hätte. Ich glaube, nicht allein mit der Überzeugung zu sein, dass etwa der komplette Wegfall von Adventsfeiern im letzten Jahr eine riesige Erleichterung war und den Advent als ruhige Zeit endlich einmal Wirklichkeit wurde. Es wird andere geben, die gerade diese Feiern vermisst haben. Ich glaube, dass für die nächste Zukunft ein Grundsatz gelten sollte: Nicht einfach wie vorher weitermachen! Es gilt aus meiner Sicht, die erzwungene Pause der Aktivitäten sorgfältig auszuwerten. Die kritische Frage, die mit den Gremien und Gemeindemitgliedern zu besprechen ist, wäre: „Welche Veranstaltung habe ich wirklich vermisst?“ Unter diesem Filter sollten wir uns Rechenschaft über den Wert des ständig rotierenden Veranstaltungskalenders geben. Was brauchen wir wirklich? Was hat seine Zeit gehabt? Welche Veranstaltung braucht ein „relaunch“, also eine inhaltliche und organisatorische Überarbeitung. Wir haben mit neuen Veranstaltungsformaten in unserer Pfarrei gute Erfahrungen gesammelt. Als Experimente, die der Krisen-Situation entstammten hat sich manches bewährt (anderes auch nicht). So hat sich etwa die Form einer Familienandacht herausgebildet, die das sonntägliche Angebot ergänzt und gerade von Familien mit kleinen Kindern gerne angenommen wurde. Wir haben festgestellt, dass man auch mit kleinem Aufwand immer einmal wieder zum Gottesdienst im Freien zusammenkommen kann. Der traditionelle Ehrenamtsdankabend erhielt coronabedingt eine völlig neue Form. An Weihnachten fielen die Heiligen Messen am Nachmittag aus, stattdessen gab es kürzere Andachten und ein offene Kirche, die weihnachtlich gestaltet war. Immer wieder gab es gestaltete Abendgebete, die besonders zum persönlichen Gebet anregen wollten. Dazu kommt eine gewisse Flexibilität im Gottesdienstplan, der sich je nach aktueller Situation immer wieder veränderte. Das heißt nicht, dass alles gut gelungen ist, aber es zeigt: Es kann für viele Formate auch gute Alternativen geben. Der Veranstaltungskalender bedarf einer Überarbeitung.

7. Zurückschneiden ausufernder Konferenzkultur

Ein letzter kurzer Hinweis betrifft den Umgang mit Konferenzen. Auch durch meine Tätigkeit als Dekan erlebe ich die Kirche immer wieder auch als „Sitzungskirche“. Das Ausfallen vieler Konferenzen in den letzten Monaten hat bei mir die Frage aufgeworfen, welche dieser Zusammenkünfte tatsächlich auch entbehrlich sein könnten. Über den Zeitgewinn durch die Nutzung von Video-Konferenz-Modulen habe ich oben schon etwas gesagt. Ich denke, eine Lehre aus der Corona-Zeit könnte sein, dass man die Anzahl und Dauer von Konferenzen verlustfrei reduzieren kann. Die Technik gibt uns zudem die Möglichkeit, flexibler zu reagieren und etwa bei wichtigen Fragen dank „zoom“ oder „teams“ mal eben schnell für eine Stunde zusammenzukommen. Eine solche Verbesserung der Konferenzkultur hinsichtlich Präsenz, Dauer und Häufigkeit würde dem kirchlichen Leben vor Ort in jedem Fall zu Gute kommen.

3 Kommentare zu „Nach Corona – Wie die Krise das kirchliche Leben verändern könnte

  1. Sehr guter Beitrag. Sie sprechen wichtige Dinge an. Gerade las ich auch: „Kirchen-Kartoffeln in Corona-Zeiten“ von Peter Hahne vom 14.02.2021 auf achgut.com. Auch dieser Artikel regt zum Nachdenken an: Auszug „…Ja, es gibt unermüdliche Christen vor Ort, Pfarrgemeinden, die Ideen und Engagement haben, die bewundernswert sind. Und natürlich ein Online-Angebot von Predigten und Gottesdiensten. Doch das alles ist nicht das, was das Evangelium unter „Gemeinschaft der Gläubigen“ versteht. Man lese nur die Apostelgeschichte des Neuen Testaments. Und die Selbstverliebtheit in YouTube-Auftritte blendet völlig aus, dass die „Quoten“ kaum messbar sind. Es wird immer weniger! Weil das eintritt, was ich an Ostern 2020 beschrieben habe. Die Menschen werden sich daran gewöhnen: Fitness kann man auch zu Hause stärken, Essen selber kochen, die Kinder vor den Computer setzen, Weihnachten und Ostern online feiern… man braucht keine Lokale, keine Fitnessstudios, kein Museum, kein Theater – und auch keine Kirche! …Die BILD titelt völlig richtig (wo die Kirchen schweigen!): „Warum reden alle von Friseuren und niemand von unseren Kindern?!“ Und niemand redet von Kirche. Niemand! Sie hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen…“

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    1. Was hier nicht gesehen wird, ist das Christentum in anderen Teilen der Welt. Vergleichen Sie einmal diesen Aufruf syrischer Christen (Katholiken) an die EU, ich glaube das war im Jahr 2015/2016, jedenfalls schon älter, (vgl. http://www.bastasanzioniallasiria.org/deutsch/) und den aktuellen Brief der Katholiken an Joe Biden (link über Christen in der AfD: Syrien: „Politiker wollen nicht mit Assad Regime kooperieren“ bzw. „Die Tagespost“ vom 15.02.2021 „Der Brotkorb ist leer“). Ja, in Deutschland fällt die Katholische Kirche mit Hilfe der Katholischen Kirche in die Bedeutungslosigkeit; das gilt aber nicht für das Christentum in anderen Teilen der Welt, wie das Beispiel Syrien zeigt. Wo ist hier die Katholische Kirche Deutschland? Sie schweigt zu dieser humanitären Katastrophe, weil es politisch korrekt ist zu schweigen? Nach Corona – Ich hoffe, diese Krise verändert auch die Katholische Kirche Deutschland an deren Spitze.

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