Zu den Unterstützungsmaßnahmen, die den Pfarrern in unserem Bistum an die Hand gegeben werden, gehört ein Leitungscoaching. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen können wir uns mit einem Begleiter treffen, der uns in unseren Aufgaben helfen soll. Dies gilt besonders bei der Lösung von Konflikten. Ich erinnere mich an eine solche Situation vor etwa zwei Jahren. Es ging um einen hartnäckigen Konflikt. Es gab in ihm verschiedene Parteien, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Wie sollte ich die Situation lösen? Der Coach versuchte es mit einer besonderen Methode. Er holte aus seinem Koffer verschiedenfarbige Plättchen aus Filz und gab sie mir in die Hand. Ich solle ihm, so seine Bitte, den Konflikt einmal schematisch aufstellen. Jedes Plättchen stand für eine beteiligte Person oder Partei. Wer hatte in diesem Konflikt mit wem zu tun, wer hatte sich miteinander verbündet, wer stand gegeneinander, vor allem, wo sah ich mich selbst innerhalb der Situation? Die schematische Darstellung verdeutlichte die unterschiedlichen Positionen. Mit den Filzplättchen konnten wir nun Verschiebungen vornehmen und die Lösungsszenarien ausprobieren. Was schien uns am besten geeignet, die Situation zu entschärfen?
Diese Methode der Aufstellung stammt offenbar aus dem Bereich der Psychologie. Familientherapeuten etwa arbeiten damit, um innere Gefühlswelten abzubilden. Dies kann auch so geschehen, dass sich die handelnden Personen im Raum verteilen und so ihr Beziehungsgeflecht darstellen. Wie empfindet sich ein Patient etwa im Verhältnis zu seinen Eltern oder seinen Geschwistern? Was braucht er, um seine Position zu verändern? Wie können die anderen zur Verbesserung der Situation beitragen?
Das heutige, nicht ganz einfache Evangelium schildert ein solches Beziehungsgeflecht. Jesus bringt es in seinem Gebet an den Vater zum Ausdruck:
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete: Vater, ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir. Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllt. Aber jetzt gehe ich zu dir. Doch dies rede ich noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind. (Joh 17,6a.11b-19)
Wir können versuchen, das Gesagte vor unserem inneren Auge in eine solche Aufstellung zu bringen: Da ist zunächst das Verhältnis zwischen Gott und Jesus Christus. Es ist ein unübertroffen enges und vertrautes Verhältnis. „Ich und der Vater sind eins“ sagt Jesus an einer anderen Stelle im Johannesevangelium. Denken wir uns nun, dass sich Jesus als der Sohn langsam von seinem Vater entfernt. Die enge Beziehung zwischen den beiden bleibt bestehen, aber sie weitet sich zu einem Raum. Dieser Raum ist ein Angebot an die Jünger, im letzten ein Angebot an alle Menschen. Sie können in diesen Raum eintreten oder jenseits des Raumes bleiben. Diesen Raum könnte man den Raum der Gnade nennen. Wer dort hineingeht, ist „in der Wahrheit geheiligt“, wie Jesus sagt. Wer sich darin befindet, wird im Namen Gottes bewahrt. Schreiben Sie also ruhig in Gedanken den Namen Gottes in diesen Raum. Tatsächlich erinnert dieses „In-den-Namen-genommen-Sein“ an die Taufe. „Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, heißt es dort. Der Name Gottes wird unter und um das Leben herumgelegt. Innerhalb derer, die sich in dem Raum zwischen Gott Vater und dem Sohn bewegen entsteht so eine neue Verbindung, eine Einheit in der Liebe.
Der Jesuitenpater Karl Frielingsdorf (1933-2017) arbeitete als Psychotherapeut. Er verband in seiner Arbeit religiöse und psychologische Elemente miteinander.[1] Frielingsdorf berichtet, dass er die Erfahrung gemacht hatte, dass viele seiner Seminarteilnehmer, darunter auch Priester und Ordensleute diesen Raum des Glaubens und der Gnade gut kannten. Sie waren in ihrem Leben fest in den Namen Gottes eingeschrieben. Aber diese Situation war für sie häufig belastend. Die Teilnehmer trugen häufig Vorstellungen von Gott mit sich, die ihr Leben belasteten. Das Leben aus dem Glauben war für sie zwar auch ein Ort der gelingenden Gemeinschaft, der Erfahrung der Liebe und Geborgenheit. Aber in diese Erfahrung hatten sich unterschwellig auch negative Gedanken und Gefühle gemischt. Sie empfanden Gott teilweise als bedrohlich, hatten etwa das Bild eines Gottes, der sie kontrollieren oder bestrafen wollte, oder ständig Leistungen von ihnen forderte. Oft hatte das Gottesbild mit bewussten oder unbewussten Lebenserfahrungen zu tun, mit Ängsten und seelischen Verwundungen.
Frielingsdorf nutzte nun in seinen Seminaren die Methode der Aufstellung. Er ließ den einzelnen Teilnehmer sein inneres Grundgefühl körperlich darstellen: „So sehe ich mich: verletzt oder gekränkt oder unbeachtet, vernachlässigt, in mich selbst verschlossen.“ Wenn die Teilnehmerin oder der Teilnehmer die Position eingenommen hatte, ließ Frielingsdorf eine andere Person Jesus darstellen. Wie ist seine Position, wie ist seine Haltung gegenüber dem anderen? In fast allen Situationen spiegelten die Jesusdarsteller das Bild des Patienten. Sie sahen in Jesus denjenigen, der das jeweilige Gefühlsbild aufheben wollte. Jesus begegnete dem anderen als Heiler und Versöhner. Der große Raum der Gottesbeziehung verengte sich auf einen kleinen persönlichen Ort, an dem die Liebe und Erlösung ihren Platz hat, für jeden so, wie es seinen tiefen Bedürfnissen entspricht. In der Wahrheit, auch der Wahrheit über uns selbst, werden wir geheiligt. Die Übung, so Frielingsdorf, war für viele der Beginn zu einer Aussöhnung und zu einem befreienden und glückenden Leben im Glauben.
Ich weiß nicht, was sie von solchen Methoden denken. Wenn ich diese so schildere, mag man sie für übertrieben halten. Bei weitem nicht jeder von uns hat ein schlechtes Bild von sich selbst oder ein schlechtes Gottesbild. Aber trotzdem regt das Beziehungsgeflecht des Evangeliums vielleicht zum Nachdenken an. Wo sehe ich mich im Raum, den Gott aufspannt? Im Zentrum, am Rand, außen? Welche Haltung habe ich Gott gegenüber, wie würde ich sie beschreiben? Was wünsche ich mit von Jesus, wenn ich seine heilende und erlösende Gegenwart auch für mich erhoffe? Könnte ich dieses Angebot annehmen?
In der Heiligen Messe spannen wir den Raum der Gottesbeziehung auf. Das Gebet an Gott Vater und das Zeichen der Gegenwart Jesu – der unendliche Gott und das kleine Stück Brot, wirksames Zeichen der Hingabe, Nähe und Erlösung. Wir sind hineingenommen in diese Beziehung. Es soll eine glückende, freudige Beziehung sein.
[1] Frielingsdorf, Karl, Dämonische Gottesbilder, Mainz 2001, besonders 91-106.