Was sind „Christliche Werte“?

Im November 2023 befragte der Mitteldeutsche Rundfunk seine Zuschauer danach, welche Bedeutung sie christlichen Werten für unsere Gesellschaft zumessen. Das Ergebnis war vielleicht wenig überraschend.[1] Eine Mehrheit hielt christliche Werte für nicht so wichtig. Gleichzeitig gaben die Befragten an, dass Werte für sie persönlich von hoher Bedeutung seien. Offensichtlich wurde hier eine Unterscheidung vollzogen: Auf der einen Seite identifizierte man „Christliche Werte“ offenbar als vorgegebene Moralvorstellungen, also Bestandteile eines religiösen Regelsystems. Davon unterschied man das, was einem persönlich wichtig ist. Hätte man nun tiefergehend gefragt, welche Werte dabei für das eigene Leben leitend sind, wäre die Schnittmenge zu dem, was als christlicher Wert gilt sicher ziemlich groß gewesen. Tatsächlich ist es gar nicht so leicht zu sagen, welches die dezidiert Christlichen Werte eigentlich sind. Es ist keineswegs so, dass es hierzu einen „abgeschlossenen Katalog“ gibt. Für das frühe Christentum war z.B. die „Enthaltsamkeit“ oder auch „Keuschheit“ ein sehr wichtiger Wert (s. z.B. Gal 4). Ich vermute, dass dieser urchristliche Wert in einer heutigen Aufzählung christlicher Werte bei vielen fehlen würde. Der „Katalog“ ist also immer schon beeinflusst von kulturellen und gesellschaftlichen Umständen. Christliche und „weltliche“ Ethik überschneiden sich in der Praxis häufig. Das macht es schwer, dezidiert „christliche“ Werte zu identifizieren.

Vielleicht muss man überhaupt erst einmal fragen, was ein „Wert“ im moralischen Sinn eigentlich ist. Nimmt man den „klassischen“ christlichen Wert der „Nächstenliebe“, stellt sich ja die Frage, ob es sich dabei um einen Wert, einen Wunsch, ein Handlungsziel, eine Tugend oder ein moralisches Gebot handelt. Die Antwort ist wahrscheinlich: Die „Nächstenliebe“ ist alles zugleich. Die einfachste Definition ist: Ein Wert ist etwas, das einem Menschen oder einer Gruppe für ihr Leben und Handeln besonders „wertvoll“, also „wichtig“ ist. Ich würde daher sagen: Ein Wert ist zunächst ein als erstrebenswert erkanntes Ziel der Lebensführung. Wenn jemand von diesem Ziel überzeugt ist, wird es sein Handeln und Sprechen prägen, also zu einer Maxime, einer Leitidee. Man könnte von einem verinnerlichten, „internalisierten“ Ziel sprechen. Je mehr ich gemäß einer solchen Leitidee handele, desto mehr prägt sie sich als Tugend in meinem Charakter aus. Werte, die von einer Gemeinschaft der Menschen in diesem Sinne akzeptiert werden, prägen Lehre, Recht und Verhalten einer Gruppe oder gar einer ganzen Kultur und Gesellschaft. Ein christlicher Wert ist daher eine aus der Glaubenstradition übernommene Leitidee, die einzelne für sich adaptieren und die schließlich für Kirche als christliche Gemeinschaft stilbildend wird.

Dabei wird man drei Einschränkungen machen müssen:

  1. Ein spezifischer Gruppenwert kann auch von einer anderen Gruppe getragen werden. Werte sind nie „exklusiv“. Sie erscheinen in dieser oder ähnlicher Form auch bei anderen Gruppen, in anderen Religionen und Gesellschaften. Christliche Werte sind in ähnlicher Form auch bei Nichtgläubigen oder Anhängern anderer Religionen zu finden. Auf den Wert „Soziale Gerechtigkeit“ zum Beispiel können sich Kirchen und Gewerkschaften schnell einigen. Christen leiten diesen Wert vom Gebot der Nächstenliebe ab, Gewerkschaften, von der Idee der gesellschaftlichen Solidarität. Die Quellen des Handelns sind unterschiedlich, der Wert und auch das Ziel können dagegen durchaus sehr ähnlich sein. Dies ist nicht weiter verwunderlich. Wenn nämlich die theologische oder auch philosophische Annahme (etwa bei Immanuel Kant) stimmt, dass die Menschen im moralischen Empfinden ganz ähnlich „gebaut“ sind, ist eine Verständigung über grundlegende Werte gar nicht so schwer. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte etwa stellt ja den Versuch dar, einen gewissen moralischen Konsens für die Weltgemeinschaft zu definieren. An ihrer Entstehung waren handelnde Personen aus verschiedenen Kulturkreisen und Weltanschauungen beteiligt.
  2. Ein Wert kann sich durch die Zeiten in seinem Verständnis verändern. Vor etwa 250 Jahren war „Gerechtigkeit“ ein ebenso anerkannter Wert wie heute. Zugleich empfanden es die europäischen Gesellschaften aber weitgehend nicht als ungerecht, dass z.B. dem Adel bestimmte Vorrechte eingeräumt und Unterschiede zwischen den Rechten von Frauen und Männern gemacht wurden. Mit der amerikanischen Verfassung und der französischen Revolution wurde ein neues Gerechtigkeitsverständnis verankert, das seitdem stilbildend für die modernen Demokratien geworden ist. Dies bedeutet zugleich, dass unser heutiges Gerechtigkeitsverständnis nicht für alle Zeiten so bleiben wird. Es könnte sein, dass wir in 50 Jahren etwa Tieren die gleichen Rechte wie Menschen zusprechen. Es könnte auch sein, dass bestimmten Gruppen, etwa älteren und kranken Menschen ihre Rechte abgesprochen werden. Die zukünftige Gesellschaft würde das durchaus als gerecht empfinden. Es gibt keine Gewähr dafür, dass unsere gesellschaftlich geteilten Vorstellungen von „Gerechtigkeit“ auf Dauer so bleiben, wie sie jetzt sind. Werte können sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen.
  3. Dass ein Wert anerkannt ist, bedeutet noch nicht, dass er auch gelebt wird. Zwischen einer Einsicht und der Ausprägung als Tugend, also einer tätigen Umsetzung eines Wertes ist es ein langer Weg. Bloß, weil etwa die Gerechtigkeit als allgemeiner Wert anerkannt ist, heißt dies noch nicht, dass es überall gerecht zugeht. Es heißt aber, dass man sich zu einer Verbesserung der Zustände auf diesen Wert berufen kann. Der anerkannte Wert stellt eben auch eine moralische Instanz dar.

Es dürfte also klar geworden sein, dass christliche Werte nicht eine „Sonderkategorie“ von Werten sein können, sondern sich mit anderen Wertsystemen überschneiden und ergänzen. Eine Abgrenzung ist daher nicht so einfach. Auch das christliche Denken, wie es sich im Neuen Testament findet, übernimmt moralische Vorstellungen, vor allem aus dem jüdischen Glauben, aber auch aus dem hellenistischen (griechisch-römisch geprägten) Umfeld der ersten christlichen Gemeinden außerhalb Israels.

Theologisch wird man am besten der folgenden Linie nachgehen: Werte sind Teil eines aus der Offenbarung gewonnen Erkenntnisprozesses. Je mehr ich verstehe, wer und wie Gott zu den Menschen ist und welchen Auftrag er den Menschen mitgibt, desto mehr wird mir deutlich, welche „Werte“ als verbindlich und erstrebenswert gelten. Jesus Christus steht dabei als Maßstab für das menschliche Handeln im Mittelpunkt der Betrachtung. Das II. Vatikanische Konzil hat in Gaudium et Spes 22 diesen Gedanken in den Mittelpunkt gerückt. Da Jesus selbst „Bild des unsichtbaren Gottes“ ist (Kol 1,15), können wir an ihm alles Wesentliche über das Wesen Gottes erfahren. Jesu menschliches Dasein zeigt uns damit aber auch, wie sich der Anspruch Gottes an sein Geschöpf, den Menschen, „Ebenbild Gottes“ (Gen 1) zu sein, vollkommen realisiert. Der Mensch ahmt das Sein Gottes auf seine menschliche Art und Weise nach. Das ist der Ursprung der Moral, die sagt, was gut und förderlich, was schlecht und schädlich für das Handeln und Gestalten in der Welt ist. Von diesem Ausgangspunkt lassen sich leicht einige der zentralen Werte des Christentums ermitteln.

Die erste Eigenschaft Gottes, die hier zu nennen ist, ist die „Gerechtigkeit“. Die Bibel schreibt Gott diese Eigenschaft an vielen Stellen zu (z.B. Dtn 32,4; Esr 9,15; Ps 7,12; Ps 119,137; Jer 11,20, Jes 9,6). Schon im Alten Testament werden die Könige, Richter und Führer Israels regelmäßig gemahnt, an der Gerechtigkeit Gottes Maß zu nehmen und selbst gerecht zu handeln. Hinter der „Gerechtigkeit“ steht die Überzeugung, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes sind. In dieser Gleichheit haben sie einen Anspruch, auch gleich behandelt zu werden. Es gibt keine Menschen, die vor Gott mehr oder weniger wert sind. Als Ausweis der gottgewollten Gerechtigkeit wird angesehen, dass gerade diejenigen, die in der Gesellschaft wenig Rechte und Einfluss besitzen, Anspruch auf eine gerechte Behandlung haben und über ihre Bedürfnisse nicht hinweggegangen werden darf. Exemplarisch nennt das Alte Testament immer wieder die Witwen und Waisen, aber auch die Fremden und Notleidenden. Jesus selbst bezeichnet Gott als den „Gerechten“ (Joh 17,25). Als neutestamentliche Zentralstelle dürften die Seligpreisungen (Mt 5) gelten, in denen von der ausgleichenden Gerechtigkeit die Rede ist, die alle erfahren sollen, die in einer derzeitigen Situation der Trauer oder der Verfolgung sind. „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden“ (Mt 5,6). In seinem Handeln zeigt Jesus in der Annahme der Kinder, Sünder oder Aussätzigen die Gerechtigkeit Gottes. Die Gerechtigkeit ist nach Mt 6,33 ein zentrales Merkmal des verheißenen Gottesreiches. Jesus mahnt die Jünger, die Pharisäer (Lk 16) und die Volksmenge zu mehr Gerechtigkeit (Joh 7).

Die Seligpreisungen bilden den Auftakt zur Bergpredigt Jesu, in welcher dieser zentrale Gebote des jüdischen Gesetzes auslegt. Jesus plädiert für eine „höhere“ Gerechtigkeit, die über den reinen Buchstaben des Gesetzes hinausgeht. Vielmehr gilt es, bereits die Intentionen des Gesetzes zu verinnerlichen und zur eigenen Handlungsmaxime zu machen. „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Mt 5,20). Diese Form der höheren Gerechtigkeit ist wahrscheinlich der charakteristische „Wert“ des Christentums. Er ist mit den Begriffen „Barmherzigkeit“ und „Nächstenliebe“ belegt.

Die Barmherzigkeit, also die Nachsichtigkeit, wo jemand vor dem Gesetz eigentlich im Unrecht wäre, wird bereits alttestamentlich als Eigenschaft Gottes ausgewiesen. Hier wird Gott als gütiger Gott verstanden, dessen Willen, einen Menschen zu retten größer ist, als sein Wille, ihm gegenüber gerecht zu handeln (s. z.B. Ex 33,19; Ps 145,8). Jesus ermahnt daher die Jünger: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lk 6,36). Der Aspekt der Strafe im Sinne einer eigentlich „gerechten“ Behandlung des Sünders tritt in der Verkündigung Jesu zurück. In den Gleichnissen vom barmherzigen Vater oder vom barmherzigen Samariter verdeutlicht er die höhere Bedeutung der Gnade über das Recht. Eng mit dieser Form der Barmherzigkeit ist die Nächstenliebe verknüpft. Jesus entgrenzt diesen wiederum im Judentum vorhandenen Gedanken (Lev, 19,18). Er versteht unter dem „Nächsten“ eben nicht nur einen jüdischen Volksgenossen, sondern jeden, der der Barmherzigkeit und Hilfe bedarf (Lk 10). Das Gebot der Nächstenliebe wird in der Bergpredigt sogar noch weiter ausgedehnt. Dort heißt es:

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ (Mt 5, 43-48).

Die Feindesliebe wird so zum höchsten (und vielleicht auch anstößigsten) Ausdruck der Barmherzigkeit. Um Missverständnissen vorzubeugen sollte man beachten, dass das Wort „Liebe“ im moralischen Kontext natürlich keine partnerschaftlich-emotionale Liebe bezeichnet (die sich ja nicht verordnen lässt), sondern vielmehr eine Haltung der Freundlichkeit, Aufmerksamkeit, des Wohlwollens und der Hilfs- und Vergebungsbereitschaft. Alle diese „Werte“ spielen in das Wortfeld der Gottes- und Nächstenliebe mit hinein.

Als einen weiteren christlichen Wert würde ich die „Freiheit“ identifizieren. Diese gehört zu den grundlegenden Eigenschaften Gottes. Bereits der Schöpfungsbericht macht deutlich, dass Gott aus freiem Willen, also ungezwungen, die Welt und die Geschöpfe ins Dasein ruft. Dem Menschen als Abbild Gottes ist diese Freiheit mitgegeben. Der zweite Schöpfungsbericht (Gen 2) formuliert dies in der Erzählung vom Paradies aus. Von Beginn an hat der Mensch die Freiheit, auch gegen das Gebot Gottes zu verstoßen. Der Mensch ist also nicht auf das Gute hin determiniert (festgelegt). Vielleicht darf man gerade in dieser Gabe der Freiheit den höchsten Ausdruck der Liebe sehen. Mit dem Gewissen und auch den Geboten werden dem Menschen Werkzeuge gegeben, die Freiheit zum Guten zu gebrauchen. Er muss es allerdings wollen.

Gerade der Begriff der Freiheit ist immer wieder umstritten.[2] In der christlichen Tradition bilden sich schon früh zwei Grundlinien heraus. Die erste, von der paulinischen Theologie beeinflusst, behauptet, dass der Mensch unter den Bedingungen der Sünde seine Freiheit ohne die rettende Macht Gottes nicht richtig gebrauchen kann. Er kann von sich aus eigentlich nicht erkennen, was gut ist. Die Freiheit ist also eingeschränkt. Dies war einer der zentralen Einsichten Luthers und der Reformatoren, die zum Teil soweit gingen, die menschliche Freiheit unter der Bedingung der „Prädestination“ (Vorherbestimmung) sehr stark zu verringern. Die Gegenposition erachtete den Einfluss der Sünde als nicht so stark, als dass er die menschliche Erkenntnisfähigkeit und Freiheit ausschalten könnte. Der innere moralische Kompass des Menschen würde, so etwa die Position von Thomas von Aquin, trotz sündhafter Eintrübung immer noch ganz gut funktionieren. Diese Grundidee hat die katholische Kirche im II. Vatikanischen Konzil sogar noch verstärkt, indem sie in „Lumen gentium“ lehrte, dass der Weg zum Heil auch durch das Hören des Gewissens möglich sei. Diese Bestimmung war damals umstritten, da sie die exklusive Heilsbedeutung der Kirche einschränkte.

In den letzten Jahren ist die „Freiheit“ mehr und mehr zum Kampfgebiet der Philosophie geworden. Unter „Freiheit“ versteht die moderne Gesellschaft zunehmend „Unabhängigkeit“ oder „Autonomie“. Der Gedanke ist, dass die Freiheit des Menschen möglichst wenig durch äußere Vorgaben eingeschränkt werden darf, eine Position, die etwa im „Synodalen Weg“ gegen die kirchliche Morallehre vertreten wurde. Moral wird in diesem Konzept mehr eine individuelle Angelegenheit. Die gemeinschaftlichen Moralvorstellungen und Vorgaben werden auf ein Minimum beschränkt.

Eine solche Sicht ist weder biblisch noch von der kirchlichen Tradition her begründbar. Von diesen Quellen aus wird dann nämlich auch der „Gehorsam“ zu einem zentralen christlichen Wert. Das klingt paradox, schließlich scheinen sich Freiheit und Gehorsam auszuschließen. Man könnte vielleicht sagen, dass die Bibel immer von einem auf das Gute hinzielenden Gebrauch der Freiheit ausgeht. Im Alten Testament ist damit die Bindung an das Gesetz Gottes als Gehorsam gegenüber Gott verstanden worden. Besonders eindrücklich geschieht dies im Buch Deuteronomium. Dort legt Mose den Israeliten das Gesetz vor. Dann heißt es:

„Siehe, hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor, nämlich so: Ich selbst verpflichte dich heute, den HERRN, deinen Gott, zu lieben, auf seinen Wegen zu gehen und seine Gebote, Satzungen und Rechtsentscheide zu bewahren, du aber lebst und wirst zahlreich und der HERR, dein Gott, segnet dich in dem Land, in das du hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen. Wenn sich aber dein Herz abwendet und nicht hört, wenn du dich verführen lässt, dich vor anderen Göttern niederwirfst und ihnen dienst – heute erkläre ich euch: Dann werdet ihr ausgetilgt werden; ihr werdet nicht lange in dem Land leben, in das du jetzt über den Jordan hinüberziehst, um hineinzuziehen und es in Besitz zu nehmen. Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen“ (Dtn 30, 15-19).   

Die Frage nach dem Gehorsam gegenüber dem im Gesetz vermittelten Wort Gottes ist eine nach Leben und Tod, also nach Gut und Böse. In ganz ähnlicher Weise klingt diese Stelle im Johannesevangelium nach, wenn Jesus den Jüngern in den Abschiedsreden sagt:

„Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt.“ (Joh 15, 12-16).

Die freundschaftliche Gemeinschaft mit Jesus ist auch hier an den Gehorsam gegenüber dem Gebot (hier dem Liebesgebot) gebunden. Freiheit ohne Bindung an Gott kann nicht gelingen und diese Bindung bringt Verpflichtungen mit sich.

Eine solche „gebundene Freiheit zum Guten“ soll beständig sein. Und so gehört die Treue ebenfalls zu den zentralen christlichen Werten. Auch sie leitet sich aus der entsprechenden Eigenschaft Gottes her, der sich biblisch an seine Schöpfung und später an sein Volk bindet und ihm treu bleibt. Israel, so die Überzeugung des Alten Testaments, fällt trotz seiner eigenen Untreue (der Abweichung vom Gesetz) nicht aus der Treue Gottes heraus. Die Treue ist hier wiederum die Voraussetzung für die Barmherzigkeit, die im Zweifel über die Gerechtigkeit siegen wird.

In aller Kürze sind damit einige zentrale Christlich-Jüdische Werte benannt worden, die sich aus dem Studium der Bibel leicht ableiten lassen. Wie diese Werte umzusetzen sind und welche Bedeutung sie annehmen können, ist unter den wechselnden geschichtlichen und gesellschaftlichen Vorzeichen unterschiedlich. Das II. Vatikanische Konzil hatte aus ihnen einen eigenen Entwurf einer christlichen Gesellschaftsordnung abgeleitet, die über die „katholische Soziallehre“ in verschiedenen modernen Staaten sogar wirksam geworden ist. Für die Umsetzung in das persönliche Leben werden die Werte wiederum anders ausbuchstabiert werden müssen.   


[1] Für deutliche Mehrheit haben christliche Werte kaum Bedeutung | MDR.DE

[2] S. ausführlicher dazu: Christliches Menschenbild, Teil 2 – Sensus fidei

Ein Kommentar zu „Was sind „Christliche Werte“?

Hinterlasse einen Kommentar