Christus, König!

Das Christkönigsfest machte auf mich als Kind einen großen Eindruck. Man kann offensichtlich die im Gottesdienst gefeierten Inhalte auch rein „intuitiv“ erfassen, ohne sie gedanklich schon durchdrungen zu haben. Ich empfand die Festlichkeit des Christkönigstags in dieser Weise. Wahrscheinlich veranlasste mich schon der Titel „König“ zu allerhand prachtvollen Assoziationen. Mit einem Mal war die lange Zeit der „normalen“ Sonntage seit dem Fronleichnamsfest vorbei. Der Kirchenraum war festlich geschmückt, der Priester erschien im weißen Festgewand, begleitet von zahlreichen Messdienern und die Kirche wurde vom feierlichen Ruf „Christkönig, Halleluja“ erfüllt. Ich fand das schön. Später lernte ich dann vom Ende des Kirchenjahres, vom Ausblick auf die Endzeit, vom Glaubensinhalt des wiederkehrenden Christus. Und natürlich wurde eifrig herumproblematisiert, um den Festinhalt, der mir gefühlsmäßig so wichtig schien, „für heutige Menschen“ erklärbar zu machen. Dass es in demokratischen Zeiten schwer ist, die Vorstellung des „Königs“, der schließlich ein Alleinherrscher ist zu vermitteln, leuchtet mir ein. Dass das Fest einen sehr politischen und zeitgebundenen Aspekt hat (es entstand nach dem 1. Weltkrieg), sollte durchaus nicht verschwiegen werden. Trotzdem ist mir die festliche Stimmung des Tages erhalten geblieben. Ich freue mich auch heute noch auf das Christkönigsfest und es war mir damals eine große Freude, meine Heimatprimiz 2005 an diesem Tag feiern zu können.

Ich glaube, es lohnt sich, den Christkönigssonntag zu schätzen und festlich zu begehen. Tatsächlich bietet dieser letzte Sonntag des Kirchenjahres mit dem Königstitel so etwas wie eine Zusammenfassung der biblischen Botschaft. Hier wird noch einmal gezeigt, wer Jesus Christus wirklich ist. Das Fest ist auch abseits der Verweise auf die Wiederkunft Christi und auf die Visionen der alt- und neutestamentlichen Apokalyptik ein ungeahnt biblisches. Schon das Alte Testament ist voller Anspielungen auf die Königswürde Gottes. Die Aussage des Psalms „Der HERR ist König“ (Ps 97,1) will mehr als eine Behauptung sein. Man schrieb Gott vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Erfahrung von immer unzureichenden Herrschern und Herrschaften die Eigenschaften des vollkommenen Königs zu. Dessen wichtigste Aufgaben waren: Gesetze erlassen, für Gerechtigkeit sorgen, die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen, Richter zu sein und die Streitkräfte zu führen. Die Könige Israels wurden daran gemessen, wie sehr sie diesem Ideal entsprachen. Sie konnten die gute Königsherrschaft in der Vorstellung Israels nur dann umsetzen, wenn sie möglichst eng mit Gott verbunden waren, also selbst gottesfürchtig, gesetzestreu und gerecht blieben. Die weltliche Königswürde war eine abgeleitete Funktion der Königsherrschaft Gottes. Ein weltliches Reich sollte sich so gut wie möglich an der Vorstellung des „Gottesreiches“, also einer idealen Königsherrschaft Gottes über die ganze Welt orientieren. Der König sollte aus der Weisheit, dem Wort, dem Geist Gottes heraus handeln. Sichtbar wurde dieses in der Salbung zum Ausdruck gebracht. Das duftende Salböl stand für die Ausgießung des göttlichen Willens, der göttlichen Vollmacht und der göttlichen Geistes über einem Menschen. Wie das auf dem Kopf ausgegossene Öl in die Haut einzieht, so verinnerlicht sich Gottes Geist im erwählten Menschen, macht diesem zu einem Repräsentanten oder gar zu einem sakramentalen Abbild des Höchsten. Der König wird von dieser Handlung her „Messias“, „der Gesalbte“, genannt, oder, in einer etwas poetischeren Umschreibung zum „Sohn Gottes“ (Ps 2) erhoben, wobei hier gelten soll: Wie der Vater, so der Sohn“. „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30) wird daher der Jesus des Johannesevangeliums sagen.

Wenn man diese kurze Umschreibung zum Ausgangspunkt nimmt, ist es nicht schwer, in den Evangelien die Dauerpräsenz des Königthemas zu finden. Es beginnt schon bei den Geburtserzählungen. Lukas nennt hier nicht ohne Grund zunächst Kaiser Augustus, den mächtigsten Herrscher der damaligen Welt (Lk 2) und formal auch Herrscher über die Provinzen Syrien und Palästina, in denen das alte Reich Israel lag. Augustus möchte die Menschen in seinem Riesenreich zählen lassen, also wissen, wer alles zu ihm gehört. In diese Situation zieht Josef mit Maria nach Betlehem, in die Geburtsstadt des wichtigsten israelischen Königs David, aus dessen Familie er stammt. Schon hier wird den Lesern klar: Gott will das alte jüdische Königtum des Volkes Israel wieder neu erstehen lassen und stellt implizit die Frage: Wer wird zu diesem Königtum gehören, wen werden wir dazuzählen können. Bei Matthäus ist es ähnlich. Schon im ersten Satz wird Jesus als „Sohn Davids“ und damit indirekt als Spross aus dem Königshaus bezeichnet (Mt 1,1). Die Weisen aus dem Morgenland fragen danach, wo der „neugeborene König der Juden zu finden sei“ (Mt 2,1) und setzten damit die Könige der Völker, hier den Vasallenkönig Herodes in Furcht. Die Geburtserzählungen bereiten also das Programm der Evangelien bereits vor: Jesus wird als Messias, als König Israels geboren. Nun entbrennt eine Zeit des Kampfes zwischen den Königen der weltlichen „Reiche“ und des „Reiches Gottes“ (griechisch: Basilea tou Theou – Königreich Gottes). Zu welcher Seite werden die Leserinnen und Leser des Evangeliums gehören? Wer wird sich im letzten als der „wahre König“ herausstellen? Das Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“ (Mk 12,17) lässt sich aus dieser Perspektive vielleicht noch einmal neu lesen.

Die Evangelien stellen vor, wie diese Königsherrschaft Jesu langsam sichtbar wird. In der Taufe im Jordan erfolgt eine öffentliche Proklamation des neuen Königs, der hier schon mit dem Ehrentitel „Sohn Gottes“ bezeichnet wird. Jesus ist der, auf dem „der Geist Gottes ruht (Lk 4,18). Er verkündet das Ankommen des „Reiches Gottes“ und in der Synagoge von Nazaret den Anbruch der gerechten Herrschaft Gottes (Lk 4, 16-30). Die von Jesus dort zitierte Stelle bezieht sich auf die Königsrede in Jes 61: „Der Herr hat mich gesalbt, er hat mich gesandt…“. Den wahren König sollen die Menschen an seinem Handeln erkennen. Jesus wird gezeigt als Gesetzeslehrer, bei der Speisung der 5000 als derjenige, der dem Volk Nahrung gibt, als derjenige, der für Gerechtigkeit sorgt und der als Richter auftritt (Joh 8). In den Gleichnissen identifiziert er sich mit der Rolle des Königs (Lk 19) oder des Richters (Mt 25).

Wer allerdings wird diese Königsherrschaft anerkennen? Das Matthäusevangelium berichtet von Petrus, dass er der erste gewesen sei, der Jesus den „Messias“ nennt, eine Einsicht, die ihm dem Text zufolge „nicht Fleisch und Blut, sondern mein Vater im Himmel“ offenbart haben (Mt 16,17). Die Jünger haben bereits vorher allerdings Jesus als „Sohn Gottes“ angerufen (Mt 14,33). Das Wort „Jünger“ erhält im Johannesevangelium noch eine weitere Bedeutung. Hier werden die 12 (bzw. 11) im Abendmahlsaal in die Gesetze des Reiches Gottes eingewiesen (Joh 15). Jesus verdeutlicht ihnen im Bildwort vom Weinstock die neue Lebensgemeinschaft mit ihm und gibt ihnen den Ehrentitel „Freunde“ (Joh 15,15). Ein „Freund“ ist dabei mehr als ein guter Bekannter, sondern die Bezeichnung für eine dem Kaiser nahestehende und von ihm mit Vollmachten ausgestattete Person. „Freund des Kaisers“ ist ein begehrter Titel und zugleich eine hohe Würde, an der Stelle des Kaisers oder Königs handeln zu können.

Im Kampf zwischen den Herrschaften, der bereits in den Geburtserzählungen vorausgesehen wird, wird genau dieser Titel wieder eine Rolle spielen. Als die im Hof versammelte Menge Pilatus vorwirft, er sei „kein Freund des Kaisers“, wenn er Jesus nicht ans Kreuz liefert, werfen sie ihm damit vor, die Seiten gewechselt zu haben. Pilatus hat sich innerlich bereits schon dem als Spottkönig verhöhnten König der Juden, den König mit der Dornenkrone zugewandt. Tatsächlich schildert die Johannespassion ja ein Verhör, in dem der an der Schuld Jesu zweifelnde Pilatus Jesus nach seiner Königswürde befragt. „Bist du ein König? Wo ist denn dein Reich, wo sind denn deine Truppen, woher ist dir deine Macht gegeben?“ (Joh 18). Es ist die Zeit gekommen, sich zu entscheiden, wessen Freund man sein möchte. Pilatus bleibt aber schwankend. Er zieht sich einerseits auf der Seite des Kaisers zurück, bringt aber dann gegen den Widerstand der Hohepriester die Inschrift über dem Kreuz an, die durch ihre Mehrsprachigkeit universale Gültigkeit beansprucht: „Jesus, der König der Juden“. Damit schließt sich der Kreis. Haben die Weisen bei der Geburt nicht genau diese Frage gestellt: „Wo ist der König der Juden?“ Die Kreuzesinschrift liefert die Antwort. Das erste Bekenntnis unter dem Kreuz legt dann im Markusevangelium der römische Wachmann ab, der angesichts des sterbenden Jesus bekennt: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39). Auch bei Lukas wird das Königsthema mit ans Kreuz getragen. In den beiden Verbrechern, die mit Jesus gekreuzigt werden, zeigt der Evangelist den Lesern noch einmal die Wahlmöglichkeiten auf, sich für oder gegen Jesus als wahren König zu entscheiden, dessen Titel über ihm am Kreuz angebracht ist. In der Anerkennung Jesu als König durch den zweiten Verbrecher, zeigt Jesus noch einmal seine Königsmacht, indem er den weltlichen Schuldspruch durch einen herrscherlichen Gnadenerweis aufhebt (Lk 23,38-43).

Die Evangelien laufen also auf die Frage der Anerkennung der Königsherrschaft Gottes in Jesus Christus hinaus. Der Christkönigssonntag wird so zu einem Bekenntnisfest an eine Herrschaft, die „nicht von dieser Welt ist“ und an Gott, der uns Gerechtigkeit, Frieden und Vergebung verheißt. Der „König“ Christus ist gleichzeitig das kleine Kind in Betlehem, der sich offenbarende Messias, der Dornengekrönte am Kreuz und der Auferstandene. Das Evangelium schließt mit einem Ausblick in die Zukunft: „Mir ist alle [königliche] Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18), sagt der Auferstandene und beauftragt die Jünger, nun an seiner Stelle zu handeln. Mit ihnen hat er auch uns „Freunde“ genannt.

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