Der Berg ruft [1. Advent]

Ich möchte Sie mitnehmen in einen Film. Es ist schon ein alter Film, schwarzweiß. Wenn die Kamera das Bild aufzieht sieht man einen Berg, das Matterhorn. Die Sonnenstrahlen lassen den Schnee auf seinem steilen Gipfel hell erglänzen, einige kleine Wolken schweben um den Berg. Unendlich fern scheint dem Betrachter der Gipfel zu sein. Die Kamera zeigt uns das Gesicht eines Bergsteigers. Er steht unten am Berg und blickt hinauf. Sein Gesicht ist wettergegerbt, die Haare windzerzaust. Wie gebannt fixiert er mit glänzenden Augen den Gipfel und der Zuschauer weiß sofort: Dieser Mann ist wild entschlossen, auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg nach oben auf sich zu nehmen. Und die logische Konsequenz ist das Wort, das er spricht, nämlich: „Der Berg ruft“.

Als Zuschauer verstehen Sie, was gemeint ist: Die Faszination des Berges hat ihn in seinen Bann genommen. Der Berg zieht ihn an. Er verheißt etwas noch Unbestimmtes, aber er verheißt etwas. Da muss der Bergsteiger hinauf, sollte der Weg auch noch so schwer und unwägbar sein. Und in der Tat: Wir können uns diesen Menschen als unendlich glücklich vorstellen, wenn er den Gipfel erreicht und als unendlich niedergeschlagen, wenn er sein Unternehmen abbrechen müsste.

Von der Faszination eines solchen Berges berichtet Jesaja (Jes 2,1-5). Der Zionsberg überragt alle anderen Hügel, so sagt er, er ist der Berg, der somit am schwierigsten zu besteigen ist. Aber genau zu diesem Berg strömen ganze Völkerscharen. Sie bestürmen den Berg geradezu und machen sich in langen Pilgerschlangen auf den Weg, um zu ihm zu kommen. Der Berg hat sie gerufen, er hat sie angezogen und wird sie nicht eher loslassen, als bis sie ihn erklommen haben.

Jesaja verrät auch, woher die Faszination dieses Berges kommt. Es ist nicht einfach ein Glücksgefühl, die Strapazen des Aufstiegs überwunden zu haben, sondern dieser Berg enthält eine Verheißung: Auf seinem Gipfel werden die Völkerscharen Gott begegnen. Auf seinem Gipfel werden sie unterwiesen werden, wird ihnen das Gesetz gegeben für ein neues Leben in der Gegenwart Gottes, für ein erfülltes Leben, das nicht mehr auf Rache und Gewalt sinnt, nicht auf Vergeltung und Krieg, sondern, in dem der Friede, die Erfüllung und das Heil herrschen werden.

Ein steiler und langer Weg ist das, wie wir in unserer Welt sehen können, die so weit vom Frieden entfernt ist. Aber, es scheint mir ein notwendiger Weg zu sein.

Ich möchte den Gedanken von der Völkerwallfahrt zum Zion verbinden mit einigen Gedanken aus der Enzyklika „Spe salvi“ von Papst Benedikt (erscheinen im Jahr 2010). Eine seiner Kernüberlegungen ist: Die Hoffnung der Christen ist das Ziel, zu dem hin wir unterwegs sind. Dieses Ziel hat zwei Namen: Für uns einzelne bedeutet es das ewige Leben, d.h. Das vollständig erfüllte und geglückte, in gemeinschaftlicher Dimension das ewige Leben im Reich Gottes. Dies ist das Ziel aller Generationen gewesen. Wie die Völkerscharen, die Jesaja beschreibt, haben sich also Menschen aller Zeiten auf den Weg gemacht, dem Reich Gottes näher zu kommen. Papst Benedikt gibt aber zu bedenken, dass dieses Streben nach dem Reich Gottes drohte, vom eigentlichen Ziel abzukommen. Seit der Neuzeit haben Forscher, Gelehrte und Philosophen versucht, auf dieses Reich hinzuarbeiten, indem sie vermuteten, durch Forschung und Entwicklung irgendwann einen optimalen Zustand des Lebens für alle Menschen herstellen zu können. Technik und Forschung könnten am Ende vielleicht alle Krankheiten ausrotten, die Arbeit überflüssig machen, dauerhaften Wohlstand und Reichtum für alle schaffen. Die Kommunisten schließlich waren überzeugt, das Reich Gottes könnte in die Weltgeschichte eintreten, wenn die unteren sozialen Schichten der Arbeiter und Bauern die Mächtigen entmachten, so dass nun endlich Freiheit und Gleichheit für alle herrscht. Papst Benedikt beobachtet aber, dass bei all diesen Überlegungen aber ein Fehler gemacht worden ist: Die Gelehrten haben nicht bedacht, dass der Mensch immer ein Mensch bleibt mit all seiner Freiheit und dass er den technischen, aber auch den politischen Fortschritt missbrauchen kann und dies auch laufend tut. Der Mensch kann eben nicht allein aus sich selbst heraus das Reich Gottes schaffen. Denn ein solches Reich ohne Gott, ohne die Weisung des Herrn, ohne seine Gegenwart kann es nicht geben.

Insofern tun die Völker genau das Richtige, wenn sie bei Gott selbst in die Schule gehen, sich von ihm anziehen lassen und nicht von den Verlockungen des Fortschritts, bildlich gesprochen, sie steigen auf den richtigen Berg und nicht auf den falschen, bei dem sie ihre Unternehmung unterwegs abbrechen müssen.

Die Adventszeit (abseits des Weihnachtrubels) ist eine Zeit der Neuausrichtung. Es gilt, das Ziel wieder neu ins Auge zu fassen, nach oben zu schauen, bereit zu sein, wie es das Sonntagsevangelium sagt (Mt 24, 29-44). Der Berg ruft, oder besser, Gott ruft und möchte unsere Aufmerksamkeit zu sich hin lenken. Mit dem Blick nach oben können wir diese Zeit beginnen.    

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