In Europa gelten die Spanier als die eifrigsten Besucher und Käufer in Markthallen. Traditionell ist der Besuch bei Fisch-, Gemüse- oder Blumenhändlern, die ihr Stände täglich mit neuer Ware beliefern für viele Haushalte nach wie vor ein fester Bestandteil ihrer Einkauftour. In Spanien, wie auch in Italien oder Frankreich gehören die Markthallen noch in ihrer ursprünglichen Funktion in das Stadtbild der größeren Städte. Für Touristen gehört der Besuch in diesen Hallen zum festen Programm auf der Suche nach lokalen Spezialitäten und ursprünglichem Flair. Sie suchen in weitgehend durchgestylten und tourismusgerecht gestalteten Altstädten nach den Orten, die noch etwas Ursprünglichkeit, vor allem aber das normale Leben ausstrahlen. Das Schlendern durch die Markthalle folgt also gewissen romantischen Motiven.
Wenn Jesus im Evangelium den Vergleich mit der Markthalle verwendet, als er den Tempelhändlern vorwirft, das Haus Gottes zu einem solchen Handelsplatz gemacht zu haben, dürfen wir keine allzu romantischen Vorstellungen haben (Joh 2,13-25). Hier wird die Markthalle gerade zum Symbol der Entfremdung: eine Entwicklung, die die eigentliche Bedeutung des Tempels verschleiert. Dabei gehören die im Evangelium erwähnten Stände der Tierhändler und der Geldwechsler durchaus in den Kontext des Tempels hinein. Um im Tempel etwas zu erwerben, musste man das Geld in eine Tempelwährung umtauschen, damit im heiligen Bezirk kein unheiliges, heidnisches (römisches) Geld zirkuliert. Die angebotenen Tiere waren Opfertiere. Zu den hohen Festen, aber auch aus persönlichen Motiven des Dankes und der Bitte wurden Gott Tieropfer dargebracht. Die Tiere wurden gekauft und rituell geschlachtet. Einige Teile des Fleisches wurden für das Opfer genommen, einige Teile erhielt der Tempel als Abgabe, den Rest verwendete man selbst zum Essen. Wenn Jesus die Händler aus dem Tempel treibt, möchte Jesus dann die Tieropfer abschaffen? Das ist eigentlich unwahrscheinlich. Die Tieropfer gehörten, solange der Tempel bestand, zur festen Tradition des Judentums. Jesus selbst empfiehlt an einer Stelle im Evangelium die Darbringung des Opfers (Mt 8,4). Auch das letzte Abendmahl könnte ein Opfermahl im Rahmen des Pessachfestes gewesen sein.[1] Allerdings vertritt Jesus durchaus eine kritische Einstellung zu den Opfern. In der Tradition der Propheten fragt er, was die Opfer nützen, wenn die innere Einstellung, der persönliche Glaube und die Nächstenliebe fehlen (z.B. Mk 12,33). In dieser Weise lässt sich die Tempelreinigung sicher gut verstehen. Das Entscheidende im Tempel ist die Verehrung Gottes, das Gebet, das Verstehen des Gesetzes als Gotteswort an die Menschen, die Nächstenliebe. Die Opfer sind vielleicht dann eine Zugabe, eine Bekräftigung. Zuviel an Business lenkt ab. Man darf aus dem Glauben kein Geschäft machen. Es ist zuviel an Drumherum, zuviel an Geschäftigkeit, zuviel an unwichtigem Beiwerk, zuviel an unlauteren Absichten, es sind zu viele, die finanziell profitieren möchten. Der Tempel ist zum Betrieb verkommen. Eine solche Kritik ist bleibend aktuell. Sie können sich leicht ihre Gedanken dazu machen, wenn sie sie auf das kirchliche Leben heute beziehen. Auch wir leben ja in der ständigen Versuchung, die Kirche aus ökonomischer Sicht zu betrachten, uns nach bestimmten soziologischen Kriterien auszurichten und dabei den religiösen Kern des Gebetes, des Gottesdienstes und der Nächstenliebe aus dem Blick zu verlieren. Viel Geschäftigkeit bei geringer werdendem Inhalt? Die ursprünglich hinderliche Funktion der Markthalle wird nun zum Geschäftsmodell. Jede Reform der Kirche muss sich also daran messen lassen, ob sie wieder stärker auf den Kern zurückführt.
Man greift allerdings zu kurz, wollte man die Tempelreinigung als äußere Strukturreform verstehen. Das Johannesevangelium changiert ja immer zwischen äußerem Tun und innerer Bedeutung. Die Tempelreinigung ist zugleich ein Zeichen für etwas anderes. Jesus spricht davon, er könne den Tempel wieder aufbauen und meint damit den Tempel seines Leibes. Der Tempel ist der symbolische Ort der Gottesverehrung. Indem Jesus sich selbst an die Stelle des Tempels setzt, macht er sich zu diesem zentralen Ort. Durch sein Wort und seine Taten gelangt man in Gottes Nähe. Daher war es nur logisch, dass die ersten Christen den Kreuzestod als Opfer verstanden, das zugleich alle anderen Opfer überflüssig machte. Und wenn Paulus davon spricht, dass das Volk Gottes ein Tempel ist (1 Kor 3,17), ja sich sogar jede und jeder der an Christus glaubt, zum Tempel des Heiligen Geistes macht (1 Kor 6,19), dann ist die Tempelreinigung zugleich ein geistlicher Prozess. Ich kann sie verstehen als Aufforderung, in meinem Inneren aufzuräumen und zu unterscheiden, wo mein Leben das Wesentliche und Wichtige erfährt und an welchen Stellen es zur Markthalle wird. Die innere Markthalle ist der Ort des verlockenden Angebots, die mir das Angenehme, Nützliche aber auch das Ablenkende und Verführerische anbietet. Auch hier vielleicht: zuviel an Drumherum, zuviel an Geschäftigkeit, zuviel an unwichtigem Beiwerk, zuviel an unlauteren Absichten? Die Tempelreinigung ist der beständige Prozess der inneren Reform, des Aufräumens und des Sortierens von Wichtigkeiten. Der romantische Tourist genießt für eine Zeit das bunte Leben der Markthalle. Aber er verlässt sie auch wieder. Ich bin doch schließlich nicht in den Urlaub gefahren, um einzukaufen. Ich möchte doch etwas anderes sehen, etwas anderes unternehmen, etwas erleben. Der wahre Sinn liegt außerhalb der Markthalle. Was wirklich wichtig ist, sollte ich an anderer Stelle suchen.
[1] Das legen die synoptischen Evangelien, Mt, Lk und Mk nahe.