Einst war Gott mit seinem Volk in das gelobte Land gezogen. Die Israeliten hatten das Rote Meer durchquert, waren über die Halbinsel Sinai gewandert und landeten schließlich östlich des Toten Meeres. Die letzte Szene der 40jährigen Wanderung spielt auf dem Berg Nebo, der im heutigen Jordanien liegt. Auf diesen Berg zieht sich Mose zurück. Nachdem er das Volk Israel auf den Bund mit Gott verpflichtet hat, geht er als alter Mann auf den Gipfel. Er sieht von dort auf das blühende Jordantal, hinein in das verheißene Land. Auf diesem Berg, die Zukunft des Volkes im Blick, stirbt Mose. Sein Nachfolger Josua wird dann den Jordan überqueren und über die Wüstenstadt Jericho seinen Einzug in das gelobte Land halten.
Johannes der Täufer geht an diese Orte zurück. Das Lukasevangelium beschreibt seine Botschaft wie folgt:
Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.
Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden.
So erfüllte sich, was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt. (Lk 3, 1-6)
Johannes nimmt seinen Sitz östlich des Jordans mit Blick auf das gelobte Land. Was dort stattfindet, ist eine Erinnerung, aber auch eine Re-Inszenierung der Gründungsgeschichte Israels. Jetzt ist die Zeit der Gnade. Das Volk soll sich neu um seinen Gott versammeln. Hier in der Wüste beginnt die neue Heilszeit. Es ist die Zeit der Umkehr für die Sünder. Gereinigt und im Wasser neu geworden zieht das Volk Gottes als ein erneuertes Volk in das gelobte Land, nimmt es erneut in Besitz. Das Reich Gottes entsteht mit dem erneuerten Israel. Aber die letzte Etappe fehlt noch. Vom Jordantal geht der Weg nach Jerusalem, der Stadt, die Gott als seinen Wohnsitz gewählt hat. Alles wird neu: Das erneuerte Volk, der erneuerte Bund, der erneuerte Tempel. Der Weg nach Jerusalem ist mühsam. Er führt durch die Wüste. Und er führt in die Höhe. Es sind 35 km Fußweg und 800 Höhenmeter die überwunden werden müssen. Die Wüste ist keine reine Sandwüste, sondern ein gebirgiges, zerklüftetes Gebiet. Diese Strecke soll bewältigt werden. Es müsste eine Straße dort sein, die alle Hindernisse beseitigt. Auf ihr soll das endzeitliche Volk an sein Ziel gelangen.
Das Evangelium bringt uns an die Stelle am Jordan zurück. Johannes verkündet auch mir die Möglichkeit des Neubeginns. Die lange Zeit der Wüstenwanderung mit all ihren Beschwernissen, Verwerfungen, Zweifeln, mit all dem Hadern, Sich-Verlieren mit den Umwegen und Hindernissen soll ihr Ziel finden. Bist du bereit, den Bund mit Gott zu erneuern? Willst du den Weg des Volkes mitgehen in ein erneuertes und heilbringendes Verhältnis mit Gott? Und wirst du die Hindernisse, die noch vor dir liegen bewältigen? Es ist die adventliche Situation des Innehaltens vor dem neuen Aufbruch. Es ist die Zeit der Bekehrung und Umkehr. Sie fragt nach der Bereitschaft, mich und mein Leben wieder neu zu bedenken und auszurichten, mit Blick auf den steilen Weg nach Jerusalem. Es ist eine Erinnerung, aber auch immer wieder eine Re-Inszenierung des Weges, den das Volk Gottes geht. Auch wenn die Verheißungen sich in Christus schon erfüllt haben, wie es die Botschaft des Weihnachtsfestes anfanghaft verkündet, so erinnert uns Johannes der Täufer wieder an den Anfang. Die adventliche Existenz beginnt in der Wüste mit Blick auf das, was ich von Gott erhoffen darf. Was liegt also vor uns, auf dem Weg hinauf nach Jerusalem und was ist nötig, damit aus dem Weg eine gerade Straße werden kann?
Ich möchte Ihnen daher für die zweite Woche des Advents die folgende Übung für das persönliche Gebet vorschlagen:
Nehmen Sie sich einige Minuten Zeit an einem ruhigen Ort. Machen Sie das Kreuzzeichen und bleiben Sie für eine Minute in der Stille. Es ist die Zeit, sich Gottes Gegenwart zu vergewissern. Stellen Sie sich die nächsten Tage als einen Weg vor, der Sie durch die Wüste führt. Achten Sie dabei besonders auf die Hindernisse. Es werden kleine Steine zu finden sein, die Sie leicht aus dem Weg räumen können. Es sind die Dinge, die Sie für Alltag zu erledigen haben, Dinge, die in ihrem Terminkalender stehen, etwas, das sie noch besorgen wollen, Telefonate, die sie noch führen möchten, Aufgaben, die zu erledigen sind. Achten sie dann aber auch auf die großen Felsen und Berge. Was stellt sich ihnen hier in den Weg? Was türmt sich vor Ihnen scheinbar unüberwindlich auf? Was sind die etwa Konflikte, denen sie begegnen, denen sie sich stellen müssen, was sind die großen Sorgen und Probleme die ungelöst da stehen? Welche Last bringen sie aus den vergangenen Wochen mit? Was ist unbearbeitet, wo leiden Sie noch unter ihrem eigenen Versagen, wo haben Sie Schuldgefühle, die sie nicht loswerden? Sie stehen vor der Wahl: Nehmen sie die Umwege und weichen diesen Felsen aus, oder kann es Ihnen gelingen, dass ein solcher Berg sich senkt, oder ein tiefes Tal sich hebt, so dass ihr Weg zu einer breiten Straße wird? Schreiben Sie die Dinge, die Ihnen in den Sinn kommen, auf. Bitten Sie am Ende der Gebetszeit Gott um seinen Beistand auf diesem Weg. Versuchen Sie in den nächsten Tagen, mit ihrer Liste gut umzugehen, viele kleine Steine, aber vielleicht auch den ein oder anderen Fels im Sinne der Versöhnung und Umkehr zu bearbeiten, damit ihre Sicht frei wird. Denken Sie ruhig auch an die Möglichkeit zur Versöhnung, die Gott Ihnen im Sakrament der Beichte anbietet. Die gerade Straße muss keine ferne Verheißung bleiben denn Gott will sie mit uns gehen.