Streit um die „Alte Messe“

In der katholischen Kirche ist erneut Streit um die Liturgie ausgebrochen. Anlass dafür war ein päpstliches Dokument[1], das die Bestimmungen zur Feier der sogenannten „Alten Messe“, also der bis 1972 verbindlichen Form der Eucharistiefeier neu regelt. Seither wehren sich vor allem die Anhänger dieser Liturgieform vehement gegen die neuen Erlasse. Auf der anderen Seite fordern verschiedene Einzelpersonen und Initiativen die Bischöfe zu einem schnellen Verbot der „Alten Messe“ auf. Der Streit um die Liturgie ist immer auch ein Streit um das richtige Kirchenverständnis und für viele ein Test für die Anschlussfähigkeit der Kirche an die heutige Welt. Insofern stellt die neuerliche Auseinandersetzung um ein für die meisten Kirchenmitglieder eher unbekanntes oder marginales Thema tatsächlich ein ernstzunehmendes Problem dar.

Doch von vorne. Der hier angesprochene Liturgiestreit hat schon eine lange Geschichte. 1545 bis 1563 tagte im norditalienischen Trient eine der wichtigsten Kirchenversammlungen der Geschichte. Die zum Konzil eingeladenen Bischöfe standen vor großen Herausforderungen. Die Reformation hatte deutlich auf Missstände und theologische Klärungsbedarfe aufmerksam gemacht. Die katholische Kirche stellte sich lehramtlich und organisatorisch neu auf. Bestimmte Missstände, wie das von Luther angeprangerte Ablasswesen wurden eingestellt, die Ausbildung der Kleriker neu geregelt. In der Folge des Trienter Konzils wurde auch das Messbuch neu bearbeitet. Von nun an galt ein einheitlicher Messritus für alle Bistümer, der sich natürlich an den bisherigen liturgischen Texten und Riten orientierte. Diese heute so genannte „Tridentinische Messe“ blieb bei geringen Änderungen bis nach dem II. Vatikanischen Konzil erhalten.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehrten sich die Stimmen, die eine Reform der Messfeier forderten. Der Wunsch nach Erneuerung der Liturgie hatte ganz unterschiedliche Ursachen. Zum einen hatten die neuen historischen und biblischen Forschungen die Grundlagen der ersten christlichen Jahrhunderte in den Blick genommen. Was die Liturgie war, stand neu in Frage. Der Gottesdienst sollte nicht bloß ein Ritus sein, der quasi „objektiv“ vollzogen wurde, sondern eine gemeinschaftliche Feier der Gläubigen, die persönlich als Teilnehmende in die Begegnung mit Gott hineingenommen werden sollten. Als Glieder des „Leibes Christi“ sollten sie die Nähe zu Gott in der Liturgie, besonders in den Sakramenten neu erfahren, zur Stärkung des eigenen Glaubens und Gebetes.

Diesem Gedanken wusste sich vor allem die sogenannte „Liturgische Bewegung“ verpflichtet, die in den 1920er Jahren in Deutschland, Frankreich und Belgien entstand. Vor allem in der Jugendbewegung und in verschiedenen Klöstern „experimentierte“ man mit der Liturgie und entwickelte Formen der Gruppenmesse, in denen z.B. Teile der Messe, vor allem die biblischen Lesungen in der Landessprache vorgetragen oder Gesänge und liturgische Antworten gemeinsam gesungen und gesprochen wurden. Ziel war es, die „tätige Teilnahme“, also das bewusste Mitvollziehen des Gottesdienstes zu ermöglichen.

Zum anderen stand die Kirche vor einer kulturellen Herausforderung. Als nunmehr weltweite Kirche, waren bestimmte Riten, vor allem aber die vorgeschriebene lateinische Sprache im außereuropäischen Kulturraum nur schwer vermittelbar.

Diese Faktoren waren mitbestimmend dafür, dass das 1962 begonnene II. Vatikanische Konzil als erstes seiner Beschlüsse eine Reform der Liturgie anregte, in der der Gedanke der gemeinschaftlichen Feier in „tätiger Teilnahme“ leitend war. Das Konzilsdokument über die Liturgie „Sacrosanctum Concilium“ (SC) legte erste Leitlinien für eine Überarbeitung der liturgischen Ordnungen vor (SC 25). Diese sind mit heutigen Blick gelesen vergleichsweise vorsichtig. So schafft das Konzil etwa Latein als Kirchensprache in der Liturgie nicht ab, sondern ermöglicht, dass aus pastoralen Gründen weite Teile der Messe in der jeweiligen Landessprache gehalten werden können (SC 36). Auch die für viele so charakteristische Änderung der Zelebrationsrichtung (der Priester steht nicht mehr am Hochaltar) wird durch das Konzil nicht bestimmt. Wichtig war den Konzilsvätern neben der „tätigen Teilnahme“ vor allem die Neuordnung der biblischen Lesungen, die Einführung der Predigt (Homilie) in das Messgeschehen und die Neuordnung des Liturgischen Jahres (z.B. des Festkalenders). Während der kommenden Jahre des Konzils veränderte sich die Stimmung in Richtung einer weitergehenden Öffnung der Kirche zur Welt hin. Auch das Kirchenbild wurde zunehmend stärker unter dem Gesichtspunkt der „Gemeinschaft“ betrachtet. Nach dem Konzil wurden dann von Papst Paul VI. Fachkommissionen eingesetzt, die Stück für Stück die durch das Konzil eingeforderten Veränderungen in neue liturgische Ordnungen umsetzten.

1972 wurde dann das „neue Messbuch“ mit dem heute geläufigen Messritus herausgegeben. Dieser bedeutete für viele Gläubige ein gewaltige Umstellung. Auch wenn die erneuerte Liturgie weitgehend begrüßt wurde, fand sie nicht überall Akzeptanz. Schließlich waren weite Teile der Priester und der Gläubigen das Alte gewohnt. Paul VI. verbot daher die Nutzung des alten Messbuchs (tridentinische Messe) nicht ganz, stellte aber strenge Regeln auf. Unter anderem verfügte er, dass die nunmehr „alte Messe“ nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den jeweils zuständigen Bischof gefeiert werden durfte. Die Priester und Gemeinden konnten sich die Form des Ritus also nicht frei aussuchen.

Eine kleine aber durchaus lautstarke Gruppe von Bischöfen und Priestern wollten die durch das Konzil angestoßenen Neuerungen nicht akzeptieren. Ihr bekanntester Vertreter war der französische Erzbischof Marcel Lefebvre. Für ihn war die Aufgabe der jahrhundertalten Tradition der tridentinischen Messe nur ein Ausweis für das auf dem Konzil beschlossene falsche Kirchenbild. Die Öffnung der Kirche zur Welt und zu anderen Religionen ging ihm und seinen Mitstreitern zu weit. Lefebvre sah in den Ergebnissen des II. Vatikanums einen Sieg der „Modernisten“[2] und die Kirche auf einem grundsätzlich falschen Weg. Die Gruppe spaltete sich von der katholischen Kirche ab und blieb in der Lehre und Liturgie bei den lehramtlichen Verkündigungen der vorkonziliaren Zeit. In ihnen sah sie die „wahre“ Kirche bewahrt.

Joseph Ratzinger unternahm als Papst Benedikt XVI. in den Jahren um 2007 den Versuch, diese nach dem Konzil entstandene innerkirchliche Spaltung zu beseitigen. Dazu war er zu weitgehenden Zugeständnissen an die Lefebvrianer und die mit ihnen verbundene „Piusbruderschaft“ bereit. Zu diesen Zugeständnissen zählte auch die teilweise Rücknahme der von Paul VI. verhängten Auflagen an die Feier der „Alten Messe“. Benedikt gestattete in einem Schreiben von 2007 jedem Priester, unabhängig von der bischöflichen Erlaubnis die Feier des „Außerordentlichen (tridentinischen) Ritus“, auch wenn der Messritus von 1972 als „Ordentlicher Ritus“ der Regelfall blieb. Ziel war es, den „Traditionalisten“ eine liturgische Heimat innerhalb der katholischen Kirche zu bieten. Dabei ist zu vermuten, dass der Papst auch persönliche Beweggründe hatte.[3] Ratzinger selbst fühlte sich der liturgischen Bewegung und ihren Idealen verbunden. Er war für eine eher vorsichtige Erneuerung der Liturgie eingetreten, die zwar dem Gedanken der „tätigen Teilnahme“ verpflichtet war, diese aber vor allem von ihrem geistlichen Sinn her verstand. Die nach dem Konzil vollzogene liturgische Wende empfand er von Grund auf richtig, beklagte sich aber immer wieder über den in der Folge einsetzenden gottesdienstlichen „Wildwuchs“, der aus seiner Sicht an vielen Stellen zu einer unfruchtbaren Verzerrung der Liturgie zu einem rein weltlich-soziologischen Geschehen geführt hatte und immer unempfänglicher für das „Mysterium“, also die gläubige Begegnung mit Gott geworden war. Mit der Förderung der tridentinischen Liturgie setzte Benedikt XVI. einen deutlichen Kontrapunkt, der den bewahrenden Geist der „mystischen“ Liturgie wieder neu ins Bewusstsein rückte. Entsprechend kontrovers war daher auch die Debatte um die Veränderung der Liturgiebestimmungen. Wollte hier der Papst mit der Liturgie auch das „alte“ Kirchenbild wieder fördern? Dies ist wohl eher unwahrscheinlich. Allerdings sorgte der päpstliche Erlass von 2007 für Unruhe. Wie würde sich die Veränderung auswirken. Gerade einige jüngere Priester entwickelten ein Interesse an der „Alten Messe“ und fanden in ihr einen Ankerpunkt für ihr eigenes geistliches Leben. In der Rückschau hat sich gezeigt, dass die „Tridentinische Messe“ eine Randerscheinung geblieben ist. Die Zahl der Gemeinschaften, die sich zur Feier der Messe im „alten Ritus“ versammeln, ist eher klein.

Papst Franziskus hat nun die unter Benedikt XVI. eingeführten Erleichterungen bei der Feier der „Alten Messe“ wieder rückgängig gemacht. Wie er in einem begleitenden Schreiben zum nun erschienen Dokument erläutert, seien die von seinem Vorgänger angestrebten Ziele der damaligen Reform nicht erreicht worden.[4] Benedikt XVI. habe, so Franziskus, beabsichtigt, die über die Frage des Messritus eingetretene Spaltungen zu überwinden. Stattdessen habe gerade die Förderung der „Alten Messe“ für neue Spaltungen gesorgt. Franziskus kritisiert, dass unter den Anhängern der „Alten Messe“ häufig die Überzeugung zu finden sei, für die „wahre Kirche“ zu stehen und damit nicht selten die Legitimität des II. Vatikanischen Konzils in Frage zu stellen. Im Sinne der Einheit der Kirche muss daher auf die Einheit der Lehre, aber auch auf die Einheit in der Liturgie geachtet werden. Der „neue Ritus“ ist und bleibt für alle Priester und Gläubigen der katholischen Kirche verbindlich. Die Erlaubnis für die Feier der „Alten Messe“ muss nun wieder durch den Bischof erteilt werden. Zugleich wird in den Ausführungen Franziskus’ allerdings deutlich, dass er die Bischöfe dazu anhält, die Gläubigen und Priester nicht zum „Alten Ritus“ zu motivieren. Die Anzahl und der Inhalt der nun vorgelegten Beschränkungen bringt deutlich zum Ausdruck, dass Franziskus im tridentinischen Ritus ein Auslaufmodell sieht, das über kurz oder lang keinen Ort mehr in der Kirche haben soll. Es ist daher kein Wunder, dass Freunde der „Alten Liturgie“, die in ihr nicht selten einen passenden Ausdruck für ihre eigene Frömmigkeit sehen gegen die Anordnungen des Papstes Sturm laufen. Der Streit wird also mindestens für eine Zeit noch weitergehen. 


[1] Das Dokument im Wortlaut: https://www.vatican.va/content/francesco/de/motu_proprio/documents/20210716-motu-proprio-traditionis-custodes.html.

[2] Unter „Modernisten“ verstand man Theologen des 19. Jahrhunderts, die sich etwa in der Bibelforschung einer zeitgenössischen Anpassung und Erneuerung der katholischen Lehre verschreiben hatten. Ihre Lehrsätze wurden durch Papst Pius X. lehramtlich verurteilt.

[3] S. für das Folgende u.a.: Joseph Ratzinger, Der Geist der Liturgie, Freiburg 2000.

[4] Im Wortlaut: https://www.vatican.va/content/francesco/de/letters/2021/documents/20210716-lettera-vescovi-liturgia.html

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