Die „Schöpfung“ angesichts der ökologischen Frage – Teil 2

Bei einer Ferienfreizeit, die sich mit dem Thema der „Schöpfung“ beschäftigte, haben wir neulich im Gottesdienst die Schöpfungsgeschichte ein wenig inszeniert. Die Kinder stellten als personifizierte Elemente der Schöpfung den Bau des Schöpfungshauses nach. Hinten standen die Gestirne, vorne das Fundament aus Wasser und trockenem Land, an der einen Seite die Pflanzen, an der anderen die Tiere, in der Mitte der Mensch. Dies dürfte ein dem biblischen Text durchaus angemessener Aufbau sein. Der Mensch, als letztes der geschaffenen Wesen steht in der Mitte. Die anderen Schöpfungswerke umgeben ihn. In dieser Weise, also anthropozentrisch, wird der Umgang mit der Schöpfung und schließlich auch das weltliche Anliegen der Ökologie tatsächlich meistens gedacht. Was allerdings würde passieren, wenn wir diesen Aufbau veränderten? Gäbe der Mensch seine zentrale Stellung auf, hätte das umwälzende Folgen für die ganze menschliche Kultur. Stellt man die Tiere, die Pflanzen oder das Wasser an die Stelle des Menschen müsste die Ökologie neu gedacht werden. Wenn es also nicht darum geht, das Wasser für den Menschen nutzbar zu machen und seine zerstörerische Macht zu bändigen, sondern darum, dem Wasser stets den Vorrang zu geben, dürften etwa Flüsse nicht begradigt, Küstenlinien nicht eingedeicht, Grundwasser nicht verunreinigt und Gletscher nicht gefährdet werden. Man kann mit Recht einwenden, dass ein solches Denken aus menschlicher Sicht unsinnig ist. Wir sind es gewohnt, die Welt von unserem Standpunkt aus zu beurteilen. Im Gesamt der Schöpfung ist die Idee allerdings weniger abwegig. Wenn es im biblischen Schöpfungsbericht heißt, dass alle Werke der Schöpfung von Gott als „gut“ angesehen werden, stellt sich die Frage, warum aus diesem „Gutsein“, also aus theozentrischer Perspektive nicht auch über eigenständige Rechte und eine eigene Würde verfügen sollten. Die paradiesische Harmonie weicht nach dem Sündenfall einem Dauerkonflikt der Schöpfungselemente um die eigenen Vorrechte.

Die Mitte verändern

Zur Behebung dieses Konflikt geht der Heilige Franz von Assisi einen ganz eigenen Weg. Wie Papst Franziskus in seiner Schöpfungsenzyklika verdeutlicht, sieht er in Franz den Vertreter einer „ganzheitlichen Ökologie“[1]:

„Wie es uns geht, wenn wir uns in einen Menschen verlieben, so war jedes Mal, wenn er die Sonne, den Mond oder die kleinsten Tiere bewunderte, seine Reaktion die, zu singen und die anderen Geschöpfe in sein Lob einzubeziehen. Er trat mit der gesamten Schöpfung in Verbindung und predigte sogar den Blumen und lud sie zum Lob des Herrn ein, wie wenn sie vernunftbegabte Wesen wären. Seine Reaktion war weit mehr als eine intellektuelle Bewertung oder ein wirtschaftliches Kalkül, denn für ihn war jedes Geschöpf eine Schwester oder ein Bruder, ihm verbunden durch die Bande zärtlicher Liebe. Deshalb fühlte er sich berufen, alles zu hüten, was existiert.“[2]

Was Franziskus hier tut, ist, das Schöpfungsrecht aller Wesen anzuerkennen. Er denkt in seinem Sonnengesang theozentrisch, indem er sein Loblied auf den Schöpfer gleichzeitig als Loblied auf das Geschaffene versteht. Im Bild gesprochen versammelt Franziskus die Geschöpfe um sich und bittet in jeder Strophe eines von ihnen zu sich in die Mitte. Die innere Verbindung der Geschöpfe (zu denen auch Franziskus selbst zählt) zu ihrem Schöpfer schafft eine Lebensgemeinschaft „auf Augenhöhe“. Der Heilige ist somit bereit, seinen Beitrag zur Versöhnung der Geschöpfe untereinander zu leisten.

Im Grunde steht der Heilige Franziskus hier ganz in der Linie des mittelalterlichen Denkens. Für Thomas von Aquin liegt allem Seienden die Existenz Gottes voraus. „Das Sein ist die Wirklichkeit jeder Form oder Natur“.[3] Die Schöpfung ist nicht eine Akkumulation verschiedenster Elemente und Wesen sondern immer das aus der planvollen Weisheit Gottes hervorgegangene Gesamtwerk. Alles Seiende hat eine wesenhafte, wenn auch bloß abbildliche Verbindung zu Gott als dem Urgrund des Seins.[4] So tragen alle erschaffenen Dinge die Spur des Seins, ja sogar das Abbild des dreifaltigen Gottes in sich. Thomas erklärt dies so: Die Abbildlichkeit folgt der Logik der Spur. In der sichtbaren Spur ist die Verursachung, nicht aber der Verursacher zu erkennen. Nun ist Gott in sich Vater, Sohn und Geist. Aus dem Vater, dem „Sein“ gehen der Sohn als Wort des Verstandes und der Geist als „Liebe des Willens“ hervor.

„[…] ein jedes Geschöpf ist gegründet in seinem Sein und hat die Wesensform, durch die es zur Art bestimmt wird und hat eine Hinordnung auf etwas anderes hin. Insofern es also eine geschaffene Substanz ist, vergegenwärtigt es Ursache und Ursprung und weist auf die Person des Vaters hin. Insofern es eine Wesensform und Art hat, vergegenwärtigt es das Wort, gemäß dem, dass die Form des Kunstwerks aus der inneren Hervorbringung des Künstlers stammt. Insofern es aber eine Hinordnung hat, vergegenwärtigt es den Heiligen Geist, insofern er die Liebe ist; denn die Hinordnung der Wirkung zu etwas anderem stammt aus dem Willen des Erschaffenden.“[5]

Auch wenn uns die Form des mittelalterlichen Philosophierens vielleicht fremd ist, lässt sich vom Grundgedanken her sagen, dass jedes Wesen, jeder Bestandteil der Schöpfung auf den Schöpfer verweist. Alles was ist deutet auf den Urgrund des Seins (Gott Vater), weil es eine Eigenheit und Gestalt hat auf das gestalterische Wirken, die Aussage des Künstlers, der dem Kunstwerk eine Form gibt und in seiner Verwiesenheit auf andere Dinge und Elemente der Schöpfung auf den Zusammenhang in der Vielheit. Dabei sieht Thomas graduelle Unterschiede im Geschaffenen, indem er die Geschöpfe (womit auch unbelebte Elemente gemeint sein können) gemäß ihrer Komplexität ordnet. Insofern steht auch bei ihm der Mensch an erster Stelle der geschaffenen Wesen, als er die dichteste Form der Abbildlichkeit aufweist.[6] Dennoch bleiben alle anderen Dinge der Erde Mitgeschöpfe, die ihr von Gott gewolltes Eigensein besitzen und von Franz von Assisi dann als „Schwestern und Brüder“ angesprochen werden können. Dies ist kein Naturmystizismus, der in jedem Stein und jeder Quelle ein belebtes Wesen erkennt, sondern Ausdruck der Überzeugung von der gemeinsamen Verwiesenheit auf den Schöpfer als Ursache und Zielbild allen Seins. Der Reigen des Sonnengesangs zeigt zudem die Verbindung der Geschöpfe untereinander auf, die als Abbild des „Geistes als Liebe des Willens“ aufeinander bezogen sind.

Ganzheitliches Denken

Erstaunlicherweise findet die scheinbar emotional und gedanklich so ferne Welt des Mittelalters unter den Vorzeichen der ökologischen Krise wieder neue, weltliche Anhänger. Der bedeutende Soziologe und Philosoph Bruno Latour hat 2015 in einer Serie von Vorträgen, die im Deutschen unter dem Titel „Kampf um Gaia“ erscheinen sind[7] versucht, die ökologische Krise als ganzheitliches Problem zu erklären. Latour geht es darum, Verbindungen aufzuzeigen. Man kann seiner Meinung nach den großen Krisenherd „Ökologie“ nicht künstlich in seine politischen, philosophisch-religiösen und naturwissenschaftlichen Bestandteile aufspalten. Die Betrachtung der Erde als Planeten und Lebensraum ist nie ausreichend als „Ökosystem“ (naturwissenschaftlich), „Kultur“ (politisch) oder „Natur“ (im philosophischen Sinn) beschrieben.

Latour bedient sich einer durch den englischen Schriftsteller und Naturforscher James Lovelock erarbeiteten Meta-Theorie. Die Erde wird als „Gaia“ (was der griechische Begriff für sie ist) zu einem gesamtheitlich zu betrachtenden lebendigen Wesen. Dies ist keine quasi-religiöse Bestimmung, etwa wie die der „Mutter Erde“, die in einigen alten Kulturen als verehrungswürdig gilt. Vielmehr setzt Lovelocks Forschung bei naturwissenschaftlichen Entdeckungen an. Die Beszeichnung der Erde als lebendem Organismus fußt auf vielen Einzelerkenntnissen, die eine Geschichte der tatsächlichen Vorgänge auf ihr schreiben. Im Kern geht es um die komplexe Verwobenheit der unterschiedlichsten Akteure (belebte und unbelebte) untereinander. Schon eine kleine Veränderung in der gasförmigen Zusammensetzung der Erdatmosphäre reicht etwa aus, um ganze Lebenszusammenhänge ins Ungleichgewicht zu bringen. Schon die Analyse menschenverursachter Veränderungen der Atmosphäre waren Lovelock Anlass, bereits vor Jahrzehnten vor einem kommenden Klimawandel und -kollaps zu warnen. Es reicht aus, winzige Details innerhalb des Gesamtlebens der Erde zu verändern, um ganze Ketten von Folgewirkungen zu erzeugen. Eine solche Sichtweise ist heute durchaus verbreitet. Deutlich arbeitet die Wissenschaft z.B. die Folgen einer geringen Erwärmung der Wassertemperatur der Meere heraus, die Einfluss auf Bakterien und Kleinstlebewesen nimmt, ganze Ökosysteme zerstören kann und schließlich sogar die Meeresströmungen und mit ihnen die lokalen Wetterphänomene verändert. Der zentrale Unterschied zum Naturschutz alter Prägung ist, dass es hier nicht nur um lokale Schadensbegrenzung geht, also darum, einen Wald zu erhalten, einen Fluss zu reinigen, eine Tierart zu retten. Vielmehr wird immer mehr deutlich, dass der dauerhafte und hartnäckige Einfluss des Menschen die ganze Erde im umfassenden Sinn umgestaltet, weswegen man in Forscherkreisen von unserem Zeitalter als „Anthropozän“ spricht (Zeitalter des Menschen). Probleme der Natur werden zu Problemen der Zivilisation, indem globale Prozesse des Eingriffs in die Natur Folgeschäden nicht nur für diese selbst, sondern auch für die menschliche Kultur mit sich bringen (Nahrungsmangel, Unwetter, neue Krankheiten, Migrationsbewegungen). Im ganzheitlichen Lebenssystem der Erde (oder „Gaia“) hat der Mensch vergessen, sich selbst als Bestandteil der Erde zu verstehen und durch seine Dominanz die vitalen Funktionen des eigenen Planeten gefährdet.

Bruno Latour regt daher eine radikale Veränderung unserer Weltsicht an. Er greift die Forderung nach der Beachtung und Interessenwahrung der „Mitgeschöpfe“ auf. Der einseitig zugunsten des Menschen entschiedene Interessenkonflikt der geschaffenen Dinge muss einer zunehmenden Vermittlung und Anwaltschaft, einer Art Weltparlament weichen, in dem auch die unbelebte Natur ihre Rechte einfordern kann. Der Mensch tritt gewissermaßen durch Selbstbeschränkung wieder „ins Glied“ zurück.

Es ist kein Wunder, dass Latour an einer Stelle sogar die Enzyklika von Papst Franziskus lobt. Tatsächlich spricht auch der Papst mit Rückgriff auf den Sonnengesang des Heiligen Franz von der Wiederentdeckung der Mitgeschöpfe. Alles, belebte und unbelebte Natur sind durch den Schöpfer in einer universellen Gemeinschaft verbunden.[8] In seiner Enzyklika vertritt er eine „ganzheitliche Ökologie“. Zu ihr gehört, dass ökologische und soziale Fragen nicht voneinander getrennt werden können. Franziskus schreibt in Nr. 48: „Die menschliche Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht sachgemäß angehen können, wenn wir nicht auf Ursachen achten, die mit dem Niedergang auf menschlicher und sozialer Ebene zusammenhängen.“ Die Natur ist nicht einfach etwas von uns Verschiedenes oder ein bloßes Lebensumfeld. Vielmehr sind Lebensräume und Sozialsysteme eng miteinander verwoben: „Wir sind in sie [die Natur] eingeschlossen, sind ein Teil von ihr und leben mit ihr in wechselseitiger Durchdringung.“[9] Offensichtlich besteht der entscheidende Impuls einer Neubetrachtung der Schöpfung im deutlichen Abrücken von einer anthropozentrischen Sichtweise.

Damit ist auch die Theologie herausgefordert. Im klassischen dogmatischen Schöpfungstraktat, wie er z.B. von Johann Auer vorgelegt wurde, liegt der Schwerpunkt noch auf der Lehre vom Menschen (Anthropologie). Zudem enthält er eine Abhandlung über die ungeschaffene Welt (vor allem die Engel) und die Lehre von der Sünde. Unter den 47 Paragraphen von Auers 600-Seiten-Werk findet sich kein Unterkapitel über die Mitgeschöpfe. Die unbelebte Natur, die Pflanzen oder Tiere finden keine besondere Betrachtung. Medard Kehls Schöpfungslehre von 2006 (400 Seiten) enthält immerhin einen zehnseitigen Exkurs zur ökologischen Ethik. Aber auch hier ist das Thema der Mitgeschöpfe nur am Rand seiner Ausführungen zu finden. Ebenfalls fehlt in beiden Werken weitgehend die von Papst Franziskus angemahnte Einbettung der sozialen und gesellschaftlichen Seite in die Schöpfungstheologie (die Menschen als Mitgeschöpfe des Menschen). Eine neue Lehre über die Schöpfung wird an diesen Fragekomplexen nicht mehr vorbeikommen.


[1] Papst Franziskus, Laudato si’ (LS), 10.

[2] LS 11.

[3] Thomas von Aquin, Summa theologica (STh), Quaestio 3, Artikel 4.

[4] STh 44,3.

[5] STh 45,7.

[6] STh 47,2.

[7] Bruno Latour, Kampf um Gaia, Berlin 2017 (2015).

[8] LS 89ff.

[9] EG 139.

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