Christliches Menschenbild – Teil 5

Die Römer errichteten für ihre Verstorbenen eigene kleine Städte. Die Nekropolen (übersetzt „Totenstädte“) bestanden aus kleinen Häusern („Mausoleen“), die als Familiengrabstätten dienten und außerhalb der Städte lagen. Eine beeindruckende Nekropole befindet sich unter dem Petersdom. Sie wurde in den 50er Jahren ausgegraben und kann heute besichtigt werden. Interessant ist dieser Ort vor allem deswegen, weil er Zeugnis von den vielfältigen religiösen Vorstellungen gibt, die mit dem Totenkult in der römischen Kaiserzeit verbunden waren. In den Mausoleen finden sich nicht nur Bilder und Dekorationen, sondern auch unterschiedliche Begräbnisformen. Traditionell kannten die Römer zwei Bestattungsarten, die Verbrennung des Leichnams mit anschließender Beisetzung der Asche in einer Urne und die Beisetzung in einem Sarkophag. Daneben gab es noch eine dritte Art der Bestattung. Auch in den Mausoleen der römischen Familien finden sich Erdgräber, die meist unter einem gemauerten Bogen in der Wand eingerichtet wurden. Diese sog. „Arkosolgräber“ gelten als Hinweis darauf, dass hier ein Mensch christlichen Bekenntnisses bestattet wurde. Auf den Bögen, aber auch vereinzelt auf Sarkophagen ist die Inschrift „DEP.“ zu finden. „DEP.“ steht für „depositus“, lateinisch für „abgelegt“. Die Idee dahinter war: Der Leichnam hat hier nur eine vorübergehende Bleibe. Er wird an dieser Stelle verwahrt für die Auferstehung der Toten.

Die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, mehr noch, von einer leiblichen Auferstehung gehört zu den Besonderheiten des Christentums. Wie jede andere Religion auch, hat das Christentum seine eigene Vorstellung vom Jenseits. Die Idee der Auferstehung war dem Christentum durch seine Mutterreligion, das Judentum keineswegs in die Wiege gelegt worden. Das Alte Testament sagt nur wenig über das Schicksal der Verstorbenen. Am stärksten verbreitet ist in dessen Schriften noch die Vorstellung von der „sheol“. Dieses Wort wird in der Einheitsübersetzung zumeist mit „Totenreich“ wiedergegeben. Nimmt man die Belegstellen (z.B. 1Sam 2,6; Ps 9,18; Ps 88,12; Spr 27,20), so ist das Totenreich ein unwirklicher Ort, das Reich der Schatten. Wie genau die Vorstellungen von der „sheol“ waren, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Dies hängt auch damit zusammen, dass „tot sein“ nicht bloß als ein körperlicher Zustand, sondern auch metaphorisch als ein Zustand der Gottesferne verstanden wurde. Wem Gott seine Gnade entzogen hatte, der war schon lebend im Totenreich angekommen. Israel zumindest pflegte keinen ausgesprochenen Toten- oder Ahnenkult. Die Frage der Auferstehung wird im Alten Testament damit zunächst auf der metaphorischen Ebene behandelt. Die Auferstehung ist eine Rückkehr ins normale Leben und eine Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott. Ez 36-37 beschreibt dazu eine eindrückliche Szene. Erzählt wird von der Wiederbelebung Israels. Gott gießt seinen Geist über das Volk aus und etabliert die Ordnung des Gesetzes neu. Es beginnt eine neue Heilszeit. Der Prophet Ezechiel wird anschließend auf einen Totenacker gebracht:

Da sprach ich als Prophet, wie mir befohlen war; und noch während ich prophetisch redete, war da ein Geräusch: Und siehe, ein Beben: Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, siehe, da waren Sehnen auf ihnen, Fleisch umgab sie und Haut überzog sie von oben. Aber es war kein Geist in ihnen. Da sagte er zu mir: Rede als Prophet zum Geist, rede prophetisch, Menschensohn, sag zum Geist: So spricht GOTT, der Herr: Geist, komm herbei von den vier Winden! Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden! Da sprach ich als Prophet, wie er mir befohlen hatte, und es kam der Geist in sie. Sie wurden lebendig und sie stellten sich auf ihre Füße – ein großes, gewaltiges Heer. Er sagte zu mir: Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, sie sagen: Ausgetrocknet sind unsere Gebeine, unsere Hoffnung ist untergegangen, wir sind abgeschnitten. Deshalb tritt als Prophet auf und sag zu ihnen: So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zum Ackerboden Israels. Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig und ich versetze euch wieder auf euren Ackerboden(Ez 37,8-14).

Die leibliche Auferstehung der Gebeine dient hier als Bild für die Wiederbelebung des Verhältnisses zwischen Gott und seinem (abgefallenen und daher „toten“) Volk. Der Geist, der wie zu Anfang der Schöpfung den Körpern eingehaucht wird, ist Zeichen der lebensspendenden Kraft Gottes.

Es sind erst die späten Schriften des Alten Testaments, die eine Auferstehung von den Toten verheißen. Neben ihnen gibt es aus den Jahrhunderten vor Christus auch einige weitere jüdische Schriften (vor allem sog. „Apokalypsen“), die sich mit den Fragen vom Ende der Zeit, dem Jenseits und dem Schicksal der Verstorbenen befassen. Sie stammen meist aus Zeiten der Verfolgung und Bedrängnis und kündigen einen endgültigen Sieg Gottes über die feindlichen Mächte am Ende der Zeiten an. In diesem Zusammenhang wird die Figur des Messias wichtig, des endzeitlichen, von Gott eingesetzten Königs, aber auch der Engel, die den Bedrängten im Kampf zur Seite stehen. Mit dem Sieg Gottes geht auch die Auferweckung der Gerechten einher. Eine wichtige Stelle hierfür ist Dan 12,1-3:

In jener Zeit tritt Michael auf, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt. Dann kommt eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist. Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu.  Die Verständigen werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, wie die Sterne für immer und ewig.  

Im Neuen Testament werden diese endzeitlichen Erwartungen gebündelt und auf die Person Jesu hin gedeutet. Das Kommen des Messias (griechisch: „Christos“) leitet die Endzeit ein. Die Totenerweckungen Jesu (Lk 7; Mk 5, Joh 11), sind Zeichen der anbrechenden Heilszeit Gottes. Sie weisen Jesus als den Messias aus. Dass Jesus selbst von den Toten auferweckt wird, ist der sichere Hinweis auf den endgültigen Sieg Gottes über die Feinde Israels und im letzten auch über den Tod. Mit ihm dürfen auch das Volk, bzw. alle, die sich mit Christus verbunden haben, auf diese Auferstehung hoffen. Der zeitlich früheste Text dazu findet sich im ersten Thessalonicherbrief:

Brüder und Schwestern, wir wollen euch über die Entschlafenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die Entschlafenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen. Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind bei der Ankunft des Herrn, werden den Entschlafenen nichts voraushaben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt zur Begegnung mit dem Herrn. Dann werden wir immer beim Herrn sein. (1 Thess 4,13-17)

Die ersten christlichen Grabstätten geben von diesem Glauben Zeugnis. Die Christen dieser Epoche sahen sich in einer Zwischenzeit, von der sie überzeugt waren, sie würde nicht lange dauern. Das Weltende und mit ihm die Auferstehung der Toten stehe bald bevor. Die Idee der „Zwischenzeit“ ist allerdings über die Generationen weitergeführt worden. In der Messfeier gibt die Gemeinde an entscheidender Stelle im Eucharistischen Hochgebet diesem Bewusstsein Ausdruck: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“. Das Christentum und mit ihm die Kirche wird zu einem „Vehikel“, das den Glauben und die Sakramente als Zeichen der Gegenwart Gottes weiterführt, aber vergeht, sobald die Wiederkunft Christi Wirklichkeit wird. Dies ist für das christliche Menschenbild von großer Bedeutung. Das Bewusstsein „Gast auf Erden“ zu sein relativiert den Leistungsdruck an das Leben. Die Vollendung ist nicht innerweltlich zu erreichen. Das Leben steht immer unter der Hoffnung, aber auch unter dem Vorbehalt einer späteren Vollendung. Deshalb ist der Christ nie ganz „von der Welt“ (Joh 15,19). Sein Leben rechtfertigt sich vor einer außerweltlichen Instanz. Somit erhält die Lebensführung einen anderen Schwerpunkt. Sie richtet sich nach den Maßgaben des Evangeliums und der Nachfolge. Grundtext dafür ist die Gerichtsszene in Mt 25:

Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Jesus definiert in diesem Gleichnis die Wertmaßstäbe mit Blick auf ihren „Ewigkeitswert“ oder ihren „Schatz im Himmel“ (Mk 10,21) neu. Die leibliche Auferstehung ist mehr als eine Wiederherstellung des Körpers. Sie meint genau dies: Der Mensch wird nicht als „tabula rasa“ auferstehen, sondern seine irdische Dimension, seine Leiblichkeit, aber auch sein gelebtes Leben, seine Erfahrungen, sein Glaube und seine Hoffnungen gehören zu ihm. Die leibliche Auferstehung nimmt all dies mit, wie auch der auferstandene Jesus weiterhin die Zeichen der Kreuzigung und damit seines irdischen Daseins trägt. Somit ist der Glaube an die Auferstehung nicht bloß eine ferne Hoffnung, sondern hat konkrete Auswirkungen auf die eigene Lebensführung und das eigene Weltbild.

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