Revolutionäre Ostern?

Glaubt man den Medien, gab es am 20. Februar diesen Jahres ein welthistorisches Ereignis. An diesem Tag stellte der südkoreanische High-Tech-Riese Samsung ein neuartiges Smartphone vor. Das Besondere: Dieses Smartphone besitzt ein faltbares Display. Die Fachpresse war begeistert und schrieb von einer Handy-Revolution, die sich ereignet habe. Solche Revolutionen im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich gibt es immer wieder. Gemeint sind Ereignisse oder Erkenntnisse, die eine solche Innovation darstellen, dass künftige Technik oder Forschung nicht mehr dahinter zurückkönnen. Eine technische Revolution verändert einen bestimmten Bereich grundlegend. Das, was vorher war gilt jetzt auf einmal als überholt. Ein ganzer Bereich, hier also das Smartphone, ist mit einem Mal wie neu erfunden.

Im politischen Bereich behaupten Revolutionen das Gleiche. Durch ein grundlegendes Ereignis, eben die Revolution, soll sich die Gesellschaft schlagartig verändern. Eine neue Idee, ein neues System, eine neue Lebensart wird prägend für die Generationen, die folgen. Das alte Regime ist auf einmal von gestern, das neue verspricht einen Aufbruch und es verspricht, dass alles besser wird. So war es bei der französischen Revolution, der russischen Revolution, der 68er-Revolution, der islamischen Revolution im Iran, bei der friedlichen Revolution in der DDR oder zuletzt bei der Maidan-Revolution in der Ukraine. Dass diese Revolutionen etwas Umwälzendes hatten, wird keiner bestreiten. Aber konnten sie die von ihnen geweckten Erwartungen erfüllen? Es scheint zu den Revolutionen zu gehören, dass sie spätestens nach einer ersten Zeit tiefe Enttäuschungen verursachen. Sobald der große Knall verpufft ist wird sichtbar, was bei ihm kaputtgegangen ist. Die Revolutionen schreiben immer auch die Geschichte enttäuschter Hoffnungen.

Darf man von Ostern als einer Revolution sprechen? Die Liturgie lässt daran keinen Zweifel: Hier ist etwas Ungeheuerliches geschehen. Ostern ist ein Ereignis von welthistorischem Ausmaß, nach dem die Welt eine andere geworden ist. Das Verhältnis Gottes zu den Menschen hat sich revolutionär erneuert durch die Erlösung, die Gott in Leiden und Auferstehung Jesu erwirkt. Doch auch die österliche Revolution hat falsche Erwartungen geweckt. Die Generation der ersten Christen war überzeugt, dass sie nach Ostern in einer kurzen Endzeit leben würden und das Ende der Welt bald kommen müsse, dass also Ostern nur der Anfang eines weltumspannenden Prozesses wäre, in dem die alte Welt vergeht und die Auferstehung für alle Glaubenden schnell Wirklichkeit wird.

In einem Interview äußerte sich neulich der Philosoph Slavoj Zizek, selbst ein bekennender Marxist, zur Frage der Revolutionen.[1] Es sagte, es nerve ihn, wenn von Revolutionen als großen, überwältigenden  Ereignissen gesprochen werde. Was ihn viel eher interessiere sei die Frage, was am Tag nach der Revolution geschehe. Entscheidend sei doch, ob eine Revolution das Leben der Menschen nachhaltig verändern könne. Erst daran zeige sich der Wert des Ereignisses.

Ich erinnere mich noch gut an eine Begebenheit aus meiner Kaplanszeit. Jeden Monat fuhren der Pfarrer und ich zu Hausbesuchen, um die Krankenkommunion zu bringen. So kam ich immer wieder zu einer alten Dame, der es offensichtlich sehr schlecht ging. Das Alter hatte sie so eingeschränkt, dass sie fast nicht mehr aus dem Haus kam. Sie hatte kaum Unterstützung. Ihr Mann war schon vor vielen Jahren gestorben. Krankheiten hatten ihr zugesetzt und sie hatte ein Auge verloren. Wenn ich mit der Krankenkommunion kam, legte sie eine weiße Tischdecke auf ihren Wohnzimmertisch, stellte ein Kreuz auf, daneben Blumen und eine Kerze. An der Wand hingen die Bilder der Verstorbenen. Eines Tages, nachdem wir zusammen den häuslichen Gottesdienst gefeiert hatten, lehnte sie sich zurück und sagte: „Ach, Herr Kaplan, wissen sie: Das Leben ist doch so schön. Es ist wirklich so schön.“ Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ihr Leben, um das ich sie bedauerte sollte schön sein? Sie offenbarte mir eine Seite, die ich von ihr nicht kannte. Ihr Leben war für sie schön, war von Hoffnung und Zufriedenheit getragen. Die Frau ist seitdem für mich eine Zeugin des Osterglaubens und seiner lebensverändernden Kraft. Ich erlebe diesen Osterglauben in den Zeugen eines erfüllten Lebens, in der Hoffnung für die Verstorbenen, in der Kraft das Gute zu denken und zu tun, in der Weitergabe und Förderung des Lebens, egal, wie eingeschränkt es auf den ersten Blick zu sein scheint.

Natürlich ist Ostern in gewissem Sinn eine Revolution, aber nicht so, dass hier etwas geschehen würde, was völlig neu ist, sondern mehr so, dass hier etwas zum Durchbruch kommt, was immer schon vorhanden war. Als Gott die Welt schuf, schuf er sie gut. Die Schöpfung ist von seiner Liebe getragen. Und so zeigt sich Gott durch die Geschichte als derjenige, der die Dinge zum Guten und zum Heil wenden möchte. Die Abrahamsgeschichte ist eine Lehrerzählung, die Gottes Heilswillen offenbart. Das Opfer Isaaks wird im letzten nicht eingefordert, sondern der Weg für die Nachkommen Abrahams frei gemacht. Nicht Tod, sondern Leben will Gott ermöglichen. Israel erfährt dies in der Befreiung aus Ägypten. Die Propheten verkünden in ihrer verdunkelten Zeit immer wieder den Willen Gottes zu retten und zu bewahren. An Ostern wird der Tod als Feind des Menschen überwunden, das Leben wird bei ihm nicht haltmachen.

Ostern ist in gewissem Sinn eine Revolution, aber nicht eine solche, die bloß ein geschichtliches Ereignis feiert, sondern die dieses Ereignis übersetzen möchte in die vielen Osterfahrungen von Generation zu Generation. Ostern übersetzt sich in die Hoffnung und die Zuversicht, dass Gott mein Leben retten, erlösen und zur Fülle führen möchte.       


[1] Das Interview zum Nachhören unter:  https://www.deutschlandfunkkultur.de/zum-70-geburtstag-von-slavoj-zizek-warum-wir-radikaler.2162.de.html?dram:article_id=443843

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s