Zukunft

Denken Sie zurück – wie haben sie sich als Kind ihr Leben vorgestellt – was wollten sie einmal werden? Wie waren ihre Prognosen für eine Familie, einen Arbeitsplatz, ein Lebensgefühl das Sie erwartet haben? Je jünger Menschen sind, desto lieber schauen Sie in die Zukunft. Sie träumen sich hinein in ein Leben, das ihnen bevorsteht, denken daran, was sie in ihrem Leben erreichen wollen, was sie machen werden, wie ihr Leben später aussehen soll. Kinder lieben es sich vorzustellen, wie sie später Abenteuer erleben werden, wie sie ihren Lieblingsberuf wählen, wie ihnen später einmal alles zur Verfügung sein wird, von dem sie träumen. Bei Jugendlichen werden diese Träume etwas realistischer – sie müssen mit den ersten Beschränkungen und Begrenzungen auskommen. Sie wissen, dass nicht mehr alles möglich ist. Aber auch sie sind in der Regel optimistisch, freuen ich auf ihr Leben, sind zuversichtlich, dass sie dieses Leben gut und sinnvoll gestalten werden. So sehr ein solches Träumen später von den Erwachsenen und Alten als unrealistisch angesehen wird – im Grunde sind sie doch ein wenig traurig, dass ihnen diese positive und unbeschwerte Sicht auf die Zukunft genommen ist. Sie wissen um die Beschwernisse und Einschnitte im Leben. Und sie sehen der immer knapper werdenden Lebenszeit und den Einschränkungen, den Verringerungen der Möglichkeiten eher mit Sorge entgegen. Die Zukunft wird zunehmend bedrohlicher und gefährlicher, durchsetzt mit Ängsten und Sorgen und immer zu einer Zeit, er ich gar nicht mehr so gerne entgegen schaue. Ich versuche, die Gegenwart gut zu gestalten, den gegenwärtigen Zustand zu halten, oder beginne, immer mehr in der Vergangenheit zu leben, zurückzugehen in die Zeit, in der die Zukunft noch weit und offen war. Es ist eigenartig: Für die Jungen ist die Zukunft die goldene Zeit, für die Mittelalten die Gegenwart und für die Älteren die Vergangenheit. Das heißt aber auch, dass die Zeit heute für die Alten von morgen, die goldene Zeit ihres Lebens sein wird. Ich glaube, das dürfen wir nicht vergessen, wenn es darum geht, wenn welcher Haltung wir in die Zukunft blicken. Wie ist also die Zukunft zu sehen: Ist sie mit Freude zu erwarten, oder ist sie etwas, auf das wir mit Sorge blicken?

Für Gesellschaften und Kulturen hat der Blick in die Zukunft eine besondere Bedeutung. Von Beginn der Menschheitsgeschichte an finden sich Spuren dafür. Schamanen, Wahrsager und Orakel sagten die Zukunft voraus und versuchten so, die Neugier auf das was kommt zu beeinflussen. Die Propheten des Alten Testamentes richteten immer wieder ihren Blick auf das, was Gott für sein Volk vorherbestimmt hat und kündigten Heil und Unheil an. Im Laufe der Geschichte gab es gerade im Christentum immer wieder Bewegungen, die die Endzeit ankündigten und damit vor allem einen moralischen Wandel anstoßen wollten. Die Philosophen bemühten sich um die Enthüllung der Mechanismen, die unsere Welt lenken und ermöglichten so Vorhersagen. Ihre Blütezeit erlangten sie im deutschen Idealismus. Die Visionen, die Georg Wilhelm Friedrich Hegel entwickelte hatten einen wichtigen Einfluss auf die Geschichte der letzten Jahrhunderte. Er sah im Verlauf der Menschheitsgeschichte den Weltgeist am Werk, der sich durch die Epochen hinweg immer wieder in gegensätzlichen Strömungen entfaltete um sie zum Übereinklingen, zur Synthese zu bringen. Seine Philosophie war von dem Glauben bestimmt, dass eine solche Zukunft der idealen Verwirklichung des Weltgeistes bald bevorstehen würde, ein goldenes Zeitalter, in dem die Gegensätze der Welt, die Entfremdungen bald aufgehoben sein würden. Aus seinem Denken entwickelte sich der moderne Fortschrittsgedanke, der Glaube, durch Technik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Fortschritt zu einem goldenen Zeitalter kommen zu können. Auf diesem Denken fußte auf der einen Seite die moderne Industrie- und Leistungsgesellschaft, auf der anderen Seite der Marxismus. Heute sehen wir deutlich, dass ein solches Streben nach unbegrenztem, dauerhaften Fortschritt kaum möglich sein wird. Die Fortschrittsidee hat sich in weiten Teilen überholt.[1]

Heute ist die Zukunft entweder ein Metier für Science Fiction, einer literarischen und künstlerischen Gattung, die versucht ihre Stoffe in der Zukunft anzusiedeln und sich in sie hineinzudenken. Je nachdem, mit welchem Blickwinkel die Autoren und Filmemacher in die Zukunft schauen, wird diese entweder unendlich faszinierend und fortschrittlich, wie bei Star Trek, oder düster und apokalyptisch, wie in George Orwells „1984“ oder in Filmen wie „Mad Max“ oder „Waterworld“. Im wissenschaftlichen Bereich ist die Zukunftsforschung entstanden. Zukunftsforscher versuchen, aus der Gegenwart heraus die Trends und Entwicklungen herauszulesen, die unsere Zukunft kennzeichnen werden. Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx etwa entwickelte in seinem Ansatz die Idee der globalen Megatrends, aus denen die Welt von morgen entstehen kann. In einem 2011 erschienenen Buch[2] nennt er dazu 11 wegweisende Prinzipien für die Welt von morgen:

  • Der Trend der Globalisierung hält und an und verstärkt sich
  • Die Frauen werden weltweit eine immer weiter steigende Rolle in der Gesellschaft einnehmen
  • Der Hang zur Individualisierung nimmt weiter zu
  • Die Menschen werden immer älter
  • Die großen Städte werden in Zukunft immer noch größer und zu Mega-Metropolen werden, in denen ein Großteil der Weltbevölkerung wohnen wird.
  • Die Grenzen der Mobilität sind noch lange nicht erreicht.
  • Die Ökologische Bewegung wird neue Formen der Ökologie entwickeln.
  • Unsere Arbeit entfernt sich immer weiter von der reinen Produktion von Dingen weg.
  • Die Welt wird immer stärker miteinander verflochten und verbunden sein.
  • Der medizinische Fortschritt geht weiter – wir werden immer gesünder
  • Bildung wird eine neue Form bekommen.

Ein letztes Feld die Zukunft betreffend erleben wir tagtäglich: In den Medien sind wir ständig konfrontiert mit Umfragen und sozialen Daten. So veröffentlichte SPIEGEL online z.B. die neuesten Zahlen zur Bevölkerungs- und Altersentwicklung bis 2030, fast täglich gibt es Wahlprognosen, Börsenprognosen, die Wettervorhersage und Expertenmeinungen zu Fragen einer zukünftigen Entwicklung in politischen Feldern.

Man mag zu all dem stehen, wie man möchte. Es lässt sich jedoch nicht leugnen: Die Zukunft hat schon jetzt Einfluss auf unser Handeln und Denken. Die Zukunft lässt uns nicht kalt, sondern beschäftigt uns. Aber die Zukunft hat einen großen Haken – so redlich und fundiert alle Vorhersagen sein mögen, sie müssen nicht so eintreffen. Die Zeit kann ganz ungewöhnliche Haken schlagen, Unvorhergesehenes heraufbeschwören, von einem auf den anderen Tag alle Planungen über den Haufen werfen. Die Zukunft ist nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit berechenbar. Der Wetterbericht ist aus meiner täglichen Erfahrung heraus dafür das beste Beispiel.

Die Bibel pflegt einen ganz eigenen Umgang mit der Zukunft. Sie sieht die Zukunft immer als einen Teil von Gottes Plan mit uns Menschen – ein langsames Voranschreiten hin zur endgültigen Vollendung unseres Lebens und der Geschichte der Menschen. Immer wieder begegnet dieses Motiv der großen Zukunftshoffnung. Als Noah die 40 Tage der Sintflut überstanden hat und Gott zum Dank ein Opfer bringt, setzt Gott seinen Bogen in die Wolken und schließt einen neuen Bund mit den Menschen. Mit dem Ablegen des Kriegsbogens, der jetzt ein Heilsbogen ist und sich in bunten Farben über den Himmel legt sagt er, dass es zukünftig keine Feindschaft zwischen Gott und den Menschen geben wird. Die ganze Geschichte Israels ist bestimmt von der Verheißung der Eigenständigkeit und des gelobten Landes. Die Urszene des Durchzugs durch das Rote Meer ist eine Szene voller Verheißung: Gott führt uns aus der Gefahr hinaus in eine gute Zukunft. Doch das beständige Murren und die Schwierigkeit bei der Einhaltung der göttlichen Gebote halten das Eintreffen im Gelobten Land auf. Als Mose auf dem Berg Nebo stirbt, sieht er hinüber in das blühende Land auf der anderen Seite, in das Land des Glücks, der Verheißung und des Friedens. Er schaut in die Zukunft seines Volkes. Dieser Blick, so sagt es der Alttestamentler Norbert Lohfink[3], ist im Grunde der Blick des ganzen Volkes geblieben, durch das ganze Alte Testament hindurch. Wirklich angekommen ist Israel in diesem Land nie. Aber dieses Land der Zukunft wird immer wieder beschworen und besungen, in den Psalmen, Schriften und bei den Propheten. Stellvertretend für viele Aussagen bei den Propheten möchte ich hier nur an die Heilszusage bei Ezechiel erinnern, wo es heißt: „Ich hole euch heraus aus den Völkern, ich sammle euch aus allen Ländern und bringe euch in euer Land. Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein. Ich reinige euch von aller Unreinheit und von allen euren Götzen. Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt. Dann werdet ihr in dem Land wohnen, das ich euren Vätern gab. Ihr werdet mein Volk sein und ich werde euer Gott sein. Ich befreie euch von allem, womit ihr euch unrein gemacht habt. Ich rufe dem Getreide zu und befehle ihm zu wachsen. Ich verhänge über euch keine Hungersnot mehr. Ich vermehre die Früchte der Bäume und den Ertrag des Feldes, damit ihr nicht mehr unter den Völkern die Schande einer Hungersnot ertragen müsst. Dann werdet ihr an euer verkehrtes Verhalten und an eure bösen Taten denken und es wird euch ekeln vor euch selbst wegen eurer Gräueltaten.“ (Ez 36, 24-31). Die Israeliten sind überzeugt: Gott ist treu, er hält sich an seine Zukunftsverheißung  – er wird alles Leid zu einem guten Ende bringen.

Im Neuen Testament ist es ähnlich. Wie die Propheten vor ihm nimmt auch Jesus den Gedanken an die Zukunft wieder auf. Seine Ankündigungen vom Gericht und den letzten Tagen wirken bedrohlich, aber auch bei ihm ist wieder klar: Gott wird am Ende alles zum Guten wenden. Die Zukunft ist sein Land. Selbst beim Tod am Kreuz bestätigt sich diese feste Glauben noch einmal. Er betet den Psalm 22, der zwar mit den Worten „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ beginnt, aber mit den Worten endet: „Du aber, Herr, halte dich nicht fern! Du, meine Stärke, eil mir zu Hilfe! Entreiße mein Leben dem Schwert, mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde! Rette mich vor dem Rachen des Löwen, vor den Hörnern der Büffel rette mich Armen! Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde dich preisen.  Die ihr den Herrn fürchtet, preist ihn, ihr alle vom Stamm Jakobs, rühmt ihn; erschauert alle vor ihm, ihr Nachkommen Israels! Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut das Elend des Armen. Er verbirgt sein Gesicht nicht vor ihm; er hat auf sein Schreien gehört. Deine Treue preise ich in großer Gemeinde; ich erfülle meine Gelübde vor denen, die Gott fürchten. Die Armen sollen essen und sich sättigen; den Herrn sollen preisen, die ihn suchen. Aufleben soll euer Herz für immer.  […] Vom Herrn wird man dem künftigen Geschlecht erzählen, seine Heilstat verkündet man dem kommenden Volk; denn er hat das Werk getan.“ (Ps 22).

Die Hoffnung auf die gute Zukunft bei Gott bleibt unerschütterlich. In dieser Reihe werden auch Paulus und die anderen neutestamtentlichen Autoren fortfahren. Aus den manchmal schwierigen Bedingungen der Gegenwart wird einmal eine unbeschwerte und gute Zukunft bei Gott werden. Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes nimmt diese Hoffnung in gewaltigen Bildern wieder auf. Ihre Grundaussage: Durch Christus sind wir mit Gott versöhnt und brauchen uns nicht zu sorgen. Durch alle Bedrängnis und allen Kampf hindurch ist für uns eine gute Zukunft vorbereitet, in der es keinen Tod, keine Tränen, keine Wunden mehr geben wird. Das neue Jerusalem ist Symbol einer neuen Wirklichkeit, von Versöhnung, Heil und Sicherheit. Ein Ort, an dem Gott und Menschen für immer zusammenwohnen.

Die Zukunft ist für uns Christen daher immer auch eine Verheißung. Das II. Vatikanische Konzil hat eindringlich daran erinnert (s. Lumen Gentium Kapitel VII). Für die Kirche gibt es keinen Grund, mit Angst in die Zukunft zu sehen. Sie ist von Gott getragen und begleitet durch alle Zeiten. Sie hat nichts zu verlieren, weil sie in Gott schon alles gewonnen hat. Im letzten Kapitel der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et Spes“ hält das Konzil fest:

„Nicht alle, die sagen „Herr, Herr“, werden ins Himmelreich eingehen, sondern die den Willen des Vaters tun und tatkräftig ans Werk gehen. Der Vater will, dass wir in allen Menschen Christus als Bruder sehen und lieben in Wort und Tat und so der Wahrheit Zeugnis geben und anderen das Geheimnis der Liebe des himmlischen Vaters mitteilen.

Auf diese Weise wird in den Menschen überall in der Welt eine lebendige Hoffnung erweckt, die eine Gabe des Heiligen Geistes ist, dass sie am Ende in Frieden und vollkommenem Glück aufgenommen werden in das Vaterland, das von der Herrlichkeit des Herrn erfüllt ist. „Dem aber, der Macht hat, gemäß der in uns wirkenden Kraft weitaus mehr zu tun als alles, was wir erbitten oder ersinnen, ihm sei Ehre in der Kirche und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Eph 3,20-21). (GS 93).

In dieser Linie haben die Päpste uns Christen immer wieder ermutigt nicht still sitzen zu bleiben, sondern mutig in unsere Zeit und in unsere Zukunft hineinzugehen, unverzagt und hoffnungsfroh als Mitwirkende am Aufbau des Reiches Gottes, dass als Zukunftsvision vor uns steht.

„Die Zukunft ist sein Land“ – so heißt es in dem Lied, das zur Weihe des neuen Erzbischofs (März 2015 in Hamburg) gesungen wurde und „Wer aufbricht, der kann hoffen“ – ich würde mich freuen, wenn wir diesen Impuls wieder stärker aufnehmen und angstfrei auf die Zukunft zugehen: Auf die Zukunft jedes einzelnen, auf Ihre Zukunft, meine Zukunft und auf unsere Zukunft als Christen in dieser Welt, in dieser Kirche, in der Gemeinschaft mit den vielen auf der ganzen Welt. Unser neuer Erzbischof hat sich dazu schon in seinem ersten Hirtenwort geäußert:

„Ich bin der festen Überzeugung: Kirche ist kein Museum, und wir sind als Christen nicht dazu da, einzig und allein die Vergangenheit zu bewahren. Die Kirche hat den Auftrag, stets in der Gegenwart zu leben. Dabei kommt sie scheinbar in die Jahre, aber entscheidend ist, dass wir Christen uns ständig verjüngen. Ich bin dankbar für die Glaubensdynamik in jedem einzelnen Christen. Ich schaue voll Freude auf die vielen Bewegungen und Aufbrüche und manche Gemeinschaft, die im Entstehen begriffen ist, und nicht zuletzt auf die diakonischen und pastoralen Initiativen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es der Geist Gottes ist, der die Kirche ständig jung halten kann und will und der ihr zu einem permanenten Verjüngungsprozess verhilft. Deswegen ist es nicht bloß eine fromme Rede, sondern Wirklichkeit, wenn wir als Christen immer dem sogenannten „jüngsten Tag“ entgegengehen. Wir sind zukunftsgerichtet und voller Dynamik.“

 

[1] S. z.B. Spaemann, Robert,  Unter welchen Umständen kann man noch von Fortschritt sprechen?, in : Philosophische Essays, Stuttgart 1994, 130-150.

[2] Horx, Matthias, Das Megatrend-Prinzip, München 2011.

[3] Lohfink, Norbert, Der Tod am Grenzfluss – Moses unvollendeter Auftrag und die Konturen der Bibel, in: Im Schatten deiner Flügel, Freiburg 1999, 11-28.

Der Text ist die leicht geänderte Version einer Fastenpredigt vom 15. März 2015

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