Die Bekehrung des Paulus

Die beiden Flügel der Haupttür der Basilika von St. Paul vor den Mauern in Rom stellen Szenen aus dem Leben der Apostel Petrus und Paulus dar. Im Mittelfeld der beiden Darstellungen sind die entscheidenden Szenen markiert. Hier strahlt aus dem Grauschwarz der Türflügel neben den Figuren der beiden Apostel jeweils eine goldene Christusfigur hervor. Bei Petrus ist dies in dem Moment der Fall, als der Apostel Jesus öffentlich als den Messias, also den erwarteten neuen König Israels und endzeitlichen Heilsbringer bekennt (Mt 16). Jesus übergibt Petrus „die Schlüssel des Himmelreiches“ und die Vollmacht zur Vergebung der Sünden. Auf dem anderen Teil der Tür ist der Apostel Paulus zu sehen, der auf einem Pferd reitet und eine Vision hat. Jesus, der Auferstandene erscheint ihm und gibt sich ihm zu erkennen. In diesem Augenblick ändert Paulus sein Leben. Er wird vom Verfolger Jesu zu seinem Jünger und beginnt seine Missionstätigkeit. Beide Ereignisse sind keineswegs bloß Geschichten einer individuellen Berufung. Sie können als Gründungsgeschehen der Kirche gelesen werden, die sich aus dem Verkündigungs- und Leitungsdienst der Apostel ableitet und sich in den biblischen Schriften und in ihrer Tradition besonders auf diese beiden Apostel berufen hat.

Neben dem Hochfest „Peter und Paul“ am 29. Juni, bei dem die Petrus-Szene aus Mt 16 als Evangelium gelesen wird, steht ein kleines, eher unbekanntes Fest mit dem Namen „Bekehrung des Heiligen Apostels Paulus“. Es wird am 25. Januar, also genau einen Monat nach Weihnachten gefeiert. Das Messbuch vermerkt, dass es sich bei diesem Fest um eine lokale Tradition aus Gallien gehandelt haben soll, die später in den römischen Festkalender eingefügt wurde. Der Bezug zu Weihnachten dürfte dabei nicht ganz zufällig sein. Wie der Osterfestkreis mit dem Pfingstfest abschließt, also der Befähigung der Sendung der Jünger zur Verkündigung der Auferstehung, so fügt sich das Fest der Bekehrung Pauli in diesem Sinn gut in den Weihnachtsfestkreis ein. Zu den 11 Jerusalemer Aposteln gesellt sich die Beauftragung des spätberufenen Paulus, der sich selbst den Apostel-Titel verleiht. Acht Tage (also eine „Vollzahl“) nach dem 25. Januar folgt dann das Fest der Darstellung des Herrn („Mariä Lichtmess“), mit dem früher der Weihnachtsfestkreis abschloss. An diesem Tag wird das Evangelium gelesen, in dem Maria und Josef Jesus zum Tempel bringen. Der greise Simeon nimmt das Kind auf die Arme und preist Gott: „Nun lässt du Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hat, ein Licht, dass die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,29-32). An Pfingsten, wie auch in der „Darstellung des Herrn“ steht die Bekanntmachung Jesu als Heiland für Juden und Heiden. Paulus, der „Völkerapostel“, also derjenige, der am intensivsten für die Verkündigung des Evangeliums in den mehrheitlich „heidnischen“ Gebieten steht, fügt sich in diesen Auftrag ein.

Das Fest der Bekehrung des Paulus steht allerdings nicht nur aus diesem Grund nicht nur in einem österlich-pfingstlichen, sondern einem weihnachtlichen Zusammenhang. Es lohnt sich, zunächst einen Blick auf die Bekehrungsszene des Paulus zu werfen, die in der Apostelgeschichte wie folgt wiedergegeben wird:   

Saulus wütete noch immer mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn. Er ging zum Hohepriester und erbat sich von ihm Briefe an die Synagogen in Damaskus, um die Anhänger des Weges Jesu, Männer und Frauen, die er dort finde, zu fesseln und nach Jerusalem zu bringen. Unterwegs aber, als er sich bereits Damaskus näherte, geschah es, dass ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte. Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Er antwortete: Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst! Die Männer aber, die mit ihm unterwegs waren, standen sprachlos da; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemanden. Saulus erhob sich vom Boden. Obwohl seine Augen offen waren, sah er nichts. Sie nahmen ihn bei der Hand und führten ihn nach Damaskus hinein. Und er war drei Tage blind und er aß nicht und trank nicht. (Apg 9, 1-9)

Auch wenn es sich zunächst augenscheinlich um historischen Bericht handelt, den der Evangelist Lukas Paulus selbst an späterer Stelle (Apg 22) Paulus selbst noch einmal in den Mund legt, ist ein wenig Zurückhaltung angebracht. Bei genauerem Hinsehen kann man erkennen, dass der Bericht, so historisch wie er auch sein mag, natürlich zugleich theologisch überformt ist.

Paulus ist auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus. Der Bibelforscher Carsten Peter Thiede hat versucht, einen wahrscheinlichen Weg (ca. sechs Tagesreisen) zu rekonstruieren.[1] Er vermutet, dass Paulus von Jerusalem aus nach Jericho wanderte und von dort den Jordangraben nordwärts zum See Genesaret zog. Vom See aus nahm er die Route nach Cäsarea Philippi am Rand des Hermon-Gebirges (eine Gegend, in der die Szene des Messiasbekenntnisses des Petrus verortet wird). An der Nordseite des Sees liegt das Gebiet „Naftali“, das nach dem Siedlungsgebiet der Sippe des gleichnamigen Sohns Jakobs benannt ist. Zudem befand sich Paulus hier in der Provinz „Galiläa“ (griechisch: „Bezirk der Heiden“), in der sich jüdische, griechische und römische Einflüsse mischten. Paulus bewegte sich also auf der geografischen Schwelle zwischen Juden und Heiden und will das Gebiet in Richtung Damaskus verlassen. Hinter Cäsarea wird er dabei Carsten Peter Tiede zufolge auf die „Via Maris“ eingebogen sein, eine römische Handelsstraße die Syrien das Mittelmeer entlang mit Ägypten verband. Genau dieses Gebiet wird beim Propheten Jesaja an entscheidender Stelle markiert. Von hier, aus dem äußersten Norden Israels wird bei ihm das Kommen des Messias angekündigt. Die besagte Stelle lautet:     

So wird man umherziehen, bedrückt und hungrig. Und wenn man Hunger leidet, wird man wütend und verwünscht seinen König und seinen Gott. Man wendet sich nach oben und blickt zur Erde. Aber siehe: Not und Finsternis, dunkle Bedrängnis und in Finsternis ist man verstoßen! Doch das Dunkel bleibt nicht dort, wo Bedrängnis ist. Wie er in früherer Zeit das Land Sebulon und das Land Naftali verachtet hat, so hat er später den Weg am Meer zu Ehren gebracht, das Land jenseits des Jordan, das Gebiet der Nationen. Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf. Du mehrtest die Nation, schenktest ihr große Freude. Man freute sich vor deinem Angesicht, wie man sich freut bei der Ernte, wie man jubelt, wenn Beute verteilt wird. Denn sein drückendes Joch und den Stab auf seiner Schulter, den Stock seines Antreibers zerbrachst du wie am Tag von Midian. Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, im Blut gewälzt, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers. Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit. Der Eifer des HERRN der Heerscharen wird das vollbringen. (Jes 8, 21-9,6)

Diese Bibelstelle wird am Heiligen Abend in der Liturgie gelesen. Sie kündigt das Kommen des Messias und seines Reiches des Friedens und der Gerechtigkeit an. Allerdings führt uns die „Betlehem-Tradition“ der Geburt Jesu geografisch auf eine falsche Fährte. Das Erscheinen des „großen Lichtes“ das die Finsternis der Unterdrückung vertreibt, wird bei Jesaja im Norden, eben in diesem „Gebiet der Nationen“ (also Galiäa) im Land Naftali und Sebulon, am „Weg am Meer“ („Via Maris“) verortet. Das Matthäusevangelium zitiert später diese Ortsangabe, als es vom Beginn des öffentliche Wirkens Jesu berichtet (Mt 4, 15-16). Die Bekehrung des Paulus orientiert sich also an Jesaja. Auf der Via Maris erscheint ihm das „große Licht“ und der verheißene Messias gibt sich ihm in Gestalt der auferstandenen Christus zu erkennen. Tiede verortet die Bekehrungsszene im Dorf Kochaba an der „Via Maris“. Der Name bedeutet „Sternendorf“ und bezieht sich auf eine Messiasweissagung aus dem Buch Numeri (Num 24,17). Diese Verortung mit ihrem erneut weihnachtlichen Bezug, nämlich dem Licht, das in Form eines Sterns bei der Geburt Jesu erscheint, ist aus theologischer Sicht sinnvoll, auch wenn der genaue Ort des Geschehens biblisch nicht so exakt gekennzeichnet wird. Wieder ist es das weihnachtliche Licht der Erscheinung des Messias, auf das hier angespielt wird.

Die Bekehrungsszene arbeitet dabei mit einer Umkehrung. Das große Licht erleuchtet Paulus zunächst bloß innerlich. Äußerlich wird er symbolische drei Tage (in Erinnerung an die drei Tage Jesu im Grab) blind. Er vollzieht damit das nach, was er selbst im Römerbrief schreibt:

Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln. Wenn wir nämlich mit der Gestalt seines Todes verbunden wurden, dann werden wir es auch mit der seiner Auferstehung sein. Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde, sodass wir nicht mehr Sklaven der Sünde sind. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn durch sein Sterben ist er ein für alle Mal gestorben für die Sünde, sein Leben aber lebt er für Gott. So begreift auch ihr euch als Menschen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus (Röm 6,4-11)

Diese Abhandlung über Tod und Auferstehung ist geprägt vom Gedanken der Nachfolge, ja sogar Angleichung an Christus. Die Taufe, also die Lebenswende der frühen Christen, ist eine Zeit der Inkorporation in den Tod, die sich zu einem neuen Leben im Licht der Auferstehung wandelt. Im Bekehrungserlebnis wird dies nachgebildet. Paulus, der sich über die wahre Natur Jesu als Sohn Gottes klar wird, versinkt angesichts dieser Einsicht für drei Tage in die Dunkelheit und kommt als neuer Mensch (vom Saulus zum Paulus) wieder ans Licht zurück. Er ist nun nicht mehr Verfolger, sondern Verkündiger Christi. Er legt seinen alten, sündigen Menschen ab, um als neuer, erlöster Mensch zu leben (vgl. Eph 4,22), der für die Sünde tot ist, aber für Gott in Jesus Christus lebt (Röm 6,11).

Der Bericht von der Bekehrung des Paulus spielt auf das weihnachtliche und das österliche Geschehen an. Von Damaskus aus beginnt der Verkündigungsdienst des Paulus unter Heiden und Juden, ein Resultat des Lichtes, das „die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ ist (Lk 2,32).

Wenn man so möchte, bietet die Bekehrungsszene eine Zusammenfassung des christlichen Glaubens. Der Bogen lässt sich auch über Weihnachten und Ostern hinaus spannen. Natürlich kann man in der Begebenheit vor Damaskus auch eine Anspielung auf die Offenbarung Gottes an Mose im brennenden Dornbusch erkennen. Dort gibt Gott aus dem Feuer heraus seinen Namen bekannt, wie Christus den seinen in der Bekehrungsszene. Mose zieht vom Dornbusch nach Ägypten, in das Heidenland, zurück, um seinem Volk die Befreiung zu verkünden, es zu sammeln und später im Bundesschluss auf seinen Gott zu verpflichten.

Eine Darstellung auf einem mittelalterlichen Altar in Brandenburg an der Havel (s. Titelbild dieses Beitrags) enthält noch andere Bezüge. Paulus wird hier in einer Gruppe von Soldaten gezeigt, die angesichts der Erscheinung Christi in einem Haufen übereinanderstürzen (wovon der biblische Bericht nichts vermerkt). Hier wird vielleicht ebenfalls ein Aspekt der Jesaja-Verheißung abgebildet, nämlich, dass angesichts des Kommen Christi die Zeit des Krieges zu Ende geht und sein Wort die Gewalt zu Ende bringt. Zudem zeigt die Darstellung statt eines Lichtes (etwa eines Sterns) eine Wolke, aus der Hagelkörner und rote Streifen fallen. Dies könnte ein Verweis auf die Offenbarung des Johannes sein. Beim Blasen der ersten der apokalyptischen Posaunen wird dort berichtet: „Der erste Engel blies seine Posaune. Da fielen Hagel und Feuer, die mit Blut vermischt waren, auf das Land“ (Offb 8,7). Es würde sich hier um eine Anspielung auf die Endzeit handeln. Die Bekehrung des Paulus wird hier zum Beispiel, wie der Mensch dem Gericht entkommen kann. Zugleich kann das Bild als Verweis auf das Chaos gelesen werden, aus dem der schöpferische Wille Gottes wieder eine neue Ordnung formen wird, denn Christus erscheint hier mit Segensgestus am Rande der Szene, wie es im mittelalterlichen Schöpfungsdarstellung bisweilen zu sehen ist.

Das kleine Fest am 25. Januar ist mindestens von reicher Symbolik und verdient es, näher betrachtet zu werden. Es ist kann theologisch als eine „Summe des christlichen Glaubens“ gedeutet werden. Vor allem aber verweist es auf die Hoffnung, auf das Licht und die Erlösung.

Beitragsbild: Bekehrung des Apostel Paulus, Altarretabel im Dom von Brandenburg an der Havel (Ausschnitt)


[1] S., auch für das Folgende: Carsten Peter Tiede, Paulus, Augsburg 2004, 72-88.

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