Arme Seelen im Fegefeuer?

In der vergangenen Woche war eine Messintention in unserem Wochenplan zu finden, welche das Gebet für die „armen Seelen im Fegefeuer“ vermerkte. Das hat Widerspruch herausgefordert. Darf heute noch in dieser Weise über die Verstorbenen gesprochen werden? Ist die Lehre vom Fegefeuer nicht längst überholt? Vermutlich schwingt bei diesem Einwand die Erinnerung an die frühe Neuzeit mit, an die Reformationszeit, in der Martin Luther gegen die Lehren der Ablassprediger Einspruch erhob. Diese hatten den Eindruck erweckt, als ob man durch den Kauf von Ablassbriefen etwas Gutes für die verstorbenen Verwandten und Freunde tun könne, indem man so ihre Zeit im Fegefeuer verkürzte. Tatsächlich ist es ja bis heute Brauch, für die Verstorbenen zu beten, also als Gemeinschaft der ganzen Kirche hoffend Gott zu bitten, dass die Verstorbenen in der himmlischen Vollendung ihr Zuhause gefunden haben. Damit ist immer mitgemeint, dass wir über den Status der Verstorbenen nichts Sicheres wissen. So sehr wir hoffen und glauben, dass Gott als Liebender und Barmherziger alle Menschen zur Seligkeit bestimmt, gibt es doch die Möglichkeit, dass Menschen sich dieser Bestimmung verweigern könnten. Das „Fegefeuer“ ist dabei vielleicht ein etwas irreführender Begriff, der in der Kunst und Volksfrömmigkeit viele erschreckende Vorstellungen und Darstellungen hervorgerufen hat. Das Wort „fegen“ geht dabei auf dessen altdeutsche Bedeutung zurück und meint „reinigen, säubern“. Der Katechismus der katholischen Kirche beschreibt das Fegefeuer in folgender Weise:

„Das Feuer lässt sich verstehen als die läuternde, reinigende Kraft der Heiligkeit und Barmherzigkeit Gottes. Die im Tod sich ereignende Begegnung mit dem Feuer der Liebe Gottes hat für den Menschen, der sich zwar grundsätzlich für Gott, aber diese Entscheidung nicht konsequent verwirklicht hat und hinter dem Ideal zurückgeblieben ist – und bei wem wäre das nicht der Fall? -, eine läuternde und umwandelnde Kraft, die alles beim Tod noch Unvollkommene richtet, reinigt, heilt und vollendet. Das Fegefeuer ist also Gott selbst in seiner reinigenden und heiligenden Macht für den Menschen.“ [1]

Damit ist aber noch nicht gesagt, ob die Lehre von der Reinigung und Läuterung, die hinter dem Begriff „Fegefeuer“ steckt, heute noch sinnvollerweise verbreitet werden sollte.

Das Evangelium vom Reichen und dem armen Lazarus kann einen Hinweis dazu geben (Lk 16,19-31). Jesus erzählt eine Lehrgeschichte. Ein reicher Mann lebt in Saus und Braus und kümmert sich nicht um den armen, kranken Menschen, Lazarus, der vor seiner Haustür auf der Straße lebt. Die Erzählung spitzt die Gegensätze zwischen den beiden Personen zu. Den Hörern wird sofort die schreiende Ungerechtigkeit klar. So darf es nicht sein! Eine solche Ungleichheit und eine solche Missachtung des Nächsten darf es nicht geben! Die ganze Schrift, also „Moses und die Propheten“ haben das klar gemacht. Wenn Gott barmherzig ist, soll auch der Mensch barmherzig sein und sich um den Nächsten kümmern, besonders, wenn ihm die Möglichkeiten dazu gegeben sind. Der Reiche würde schließlich auch dann noch reich bleiben, wenn er etwas von seinem Reichtum abgibt, selbst wenn es auch nur die Reste der Mahlzeiten an seiner Tafel wären. Jesus hatte auf diese Verantwortung der Besitzenden mehrfach hingewiesen, etwa im Wort, dass niemand sein Jünger sein könne, wenn er „nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet (14,33)“. Wie kann also die Ungerechtigkeit überwunden werden? Die Erzählung vom armen Lazarus schwenkt nun auf die jenseitige Sphäre um. Im Himmel, so sagt sie, also in Gottes Gegenwart, muss dem Armen Gerechtigkeit widerfahren. Nun ist der Arme reich, indem er Tröstung, Heilung und Annahme erfährt und der Reiche ist arm, weil er nun zum Leidenden und Ausgestoßenen wird. Er teilt das Schicksal, das Lazarus durchleben musste.   

Wie ist es also mit der Gerechtigkeit? Die Frage bleibt aktuell. Wenn wir sagen, dass Gott die Menschen liebt und barmherzig ist, dann gilt dieser Satz für alle Menschen. Er gilt auch für den größten Verbrecher. Wäre es aber gerecht, auch den größten Verbrecher genau gleich zu behandeln wie das Opfer seines Verbrechens? Im Bild gesprochen, wäre es für uns verständlich, wenn das Opfer und der Verbrecher zur gleichen Zeit vor der Himmelspforte stehen und gleichzeitig bedingungslos hindurchgehen können. Würden wir dann nicht an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln müssen? Wenn es unerheblich ist, wie wir leben und was wir in unserem Leben tun, weil am Schluss doch eh alle gleich sind, warum schreitet dann die Heilige Schrift so energisch gegen Verbrechen und Ungerechtigkeit auf der Erde ein? Warum bräuchten wir dann das Gebot der Nächstenliebe? Warum würde uns unser Gewissen sagen: „Diese Handlung ist schlecht, diese gut?“ Warum sollte sich ein Mensch darum bemühen, ein „gutes“ Leben zu führen?

Auch hier gibt das Evangelium eine Antwort. „Ja“, so sagt es Jesus, „auch die Sünder“, also die, die sich durch ihre eigenen Taten von Gott entfernt haben, gegen das Gebot verstoßen, ihre Freiheit missbraucht und damit Gott zurückgewiesen haben, „auch die Sünder“ können von Gott angenommen und geliebt sein. Es muss aber etwas geschehen. Die Sünder müssen Gottes Liebe erfahren. Und diese Erfahrung muss etwas bei ihnen auslösen. Sie müssen sich eingestehen, dass sie und wo sie falsch gehandelt haben. Das biblische Wort lautet „Umkehr“. Und zu dieser Umkehr gehört auch, dass sie sich zu ihren schlechten Taten bekennen und dass sie bereit sind, alles in ihren Möglichkeiten stehende zu tun, um das begangene Unrecht gut zu machen. Die Umkehr ist ein fordernder und anstrengender Prozess. Es ist auch ein schmerzvoller Prozess. Es ist ein Prozess, in der ein Mensch sich verändert, geläutert wird. „Läuterung“ ist ein altes Wort aus dem Handwerk. Es meint einen Vorgang der Metallverarbeitung, wo etwa das Eisenerz in einen Brennofen gegeben wird, in dem durch die Hitze das Erz von den beigemischten Fremdstoffen, den Schlacken gereinigt wird.

Im Wort „Fegefeuer“ sind diese Metaphern mit aufgenommen. Es sind Metaphern, also Bildworte. Wir können auf die Bilder verzichten. Wir können auch auf das Wort „Fegefeuer“ verzichten. Wir können aber, so meine ich, nicht auf den Prozess der Umkehr verzichten, um der Gerechtigkeit willen. Angesichts der Liebe Gottes sind wir schon in diesem Leben, genauso wie nach dessen Vollendung zu diesem Prozess der Umkehr aufgefordert. Die Gemeinschaft der Kirche, das gemeinschaftliche Gebet bedeutet dann ein Mittragen und Mithoffen, dass diese Umkehr geschehen kann, für die Lebenden und auch für die Verstorbenen.    


[1] KKK (1985), V, 3.3.

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