Nach den Festen

Die Party ist vorbei. Es ist spät geworden. Die letzten Gäste verabschieden sich. Sie als Gastgeberin oder Gastgeber schauen in das Zimmer. Auf dem Sideboard stehen die Geschenke, die die Gäste mitgebracht haben. In der Küche stapelt sich das schmutzige Geschirr. Sie pusten die Kerzen aus und öffnen die Fenster. Die kühle Nachtluft strömt herein. Mit einem Mal fällt Ihnen die Stille auf, die jetzt den Raum erfüllt und nur noch die Erinnerung an die lebhaften Gespräche der vergangenen hinterlassen hat. Sie beginnen, aufzuräumen und bemerken Ihre Müdigkeit. Zeit für’s Bett. Und dann kommen Ihnen die Gedanken. Sie blicken auf das vergangene Fest zurück. Aber schon jetzt meldet sich der nächste Tag zu Wort und dann die nächste Woche. Sie wollen es nicht, können es aber auch nicht vermeiden, noch einmal auf den Terminkalender zu schauen und zu erkennen, dass volle Arbeitstage vor Ihnen liegen, frühes Aufstehen, eine Menge Pflichten, die noch zu erledigen sind. Und der nächste Urlaub, selbst der nächste wirklich freie Tag scheinen noch weit, sehr weit weg zu sein.

Ich vermute einmal, dass die meisten diese Situation so oder so ähnlich schon einmal erlebt haben. Ich denke, Sie können sich ganz gut in sie hineinversetzen und kennen das Gefühl dieses Moments zwischen Erfüllung, Müdigkeit und Besorgnis. Ich habe in diesem Gefühl meine derzeitige Gemütslage wiedergefunden, angesichts der Situation, der Gedanken und Geschehnisse dieses ausgehenden Sommers 2022. Es ist beides da. Die Dankbarkeit für eine schöne und auch erholsame Zeit, zugleich aber auch der bange Blick in die Gegenwart und Zukunft. Der Blick auf die Gespräche der letzten Wochen, auf die Nachrichten und auf den nächsten Herbst und Winter verheißt nichts Gutes. Es hat sich eine Großwetterlage zusammengebraut, die vermutlich niemanden unberührt lassen wird. Die Nachrichten vom Krieg mitten in Europa reißen nicht ab. Leid, Sterben und Flucht gehen weiter. Und die politischen und gesellschaftlichen Folgen werden zunehmend spürbar. Über die Energieversorger erreichen uns langsam die Ankündigungen gewaltiger Kosten für Strom und Wärme, die alle betreffen. Zudem steigen die Lebensmittelpreise weiter. Wir werden uns einschränken müssen. Besonders schlimm sieht es bei denen aus, die keine Rücklagen und keine großen Gehälter haben. Schon jetzt befürchten etwa unsere Fachleute bei der Caritas eine Zunahme von Wohnungslosigkeit im neuen Jahr, weil sich Menschen ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Dazu kommen die anderen Bedrohungen. Jetzt wird wieder über Corona diskutiert. Auch wer den Klimawandel nicht für Realität hält, muss zumindest zur Kenntnis nehmen, dass die letzten Sommer allesamt bedenklich waren. In diesem Jahr macht die die extreme Trockenheit weiten Teilen des Landes zu schaffen. Es sind im Grunde die klassischen Bedrohungen der Menschheit: Krieg, Krankheit, Katastrophen, Armut und Hunger, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Dabei stehen wir hier in Deutschland zum Glück meist nur am Rand und erfahren diese Bedrohungen nur in abgeschwächter Form oder in ihren Folgeerscheinungen. Aber auch das ist schon anstrengend und herausfordernd genug.

Wie werden wir diese Zeiten bewältigen? Es geht mir dabei nicht um politische Antworten – die müssen an anderer Stelle gegeben werden. Es geht mir um geistliche, seelsorgliche Antworten. Denn jede Krise ist auch ein Angriff auf meine innere Stärke, auf meine geistigen Kräfte und auch auf meinen Glauben. Zuweilen hat der Sommer auch bei mir die Illusion erzeugt, das kirchliche Leben bestehe vor allem in einer Ansammlung von fröhlichen Festen und Feiern. Ich habe sie alle gerne mitgefeiert. Aber langsam verändert sich das Bild. Das Evangelium (Lk 14,25-33) wirft uns heute auf den tiefen und sehr ernsthaften Grund des Glaubens und der Nachfolge zurück. Wie werde ich auf die Herausforderung des Kreuzes reagieren, wenn das Fest vorbei ist? Welche inneren Kräfte, welche Mittel stehen mir im Kampf gegen die Sorge, die Verzweiflung, die Not zur Verfügung? „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“ – Dieses harte Jesuswort steht im Zentrum des Textes. Es trifft mitten in eine harte Zeit. Das Wort schließt zwei Lösungen angesichts der Krise aus: Es schließt aus, das Kreuz zu ignorieren, also einfach so zu tun, als wäre es nicht da, sich abzulenken und sich nicht darum zu kümmern. Man kann das Kreuz nicht liegenlassen. Zugleich ist aber auch ausgesagt, dass ich mich von diesem Kreuz nicht kaputtmachen darf, dass ich Widerstand leiste, wo es mich auf den Boden drückt, dass ich mich stärke und der Versuchung widerstehe, einfach zu resignieren.

Es geht in der nächsten Zeit vielleicht um eine ernstgemeinte geistliche Selbstsorge. Es geht um ganz alte Tugenden, von denen heute kaum einer mehr spricht. Es geht zum Beispiel um Tugend der „temperantia“, der Mäßigung. Das bedeutet, meine eigenen Impulse im Griff zu behalten und den Versuchungen des Zorns, der Depression, des Rausches und der Ablenkung zu widerstehen. Es geht um eine innerliche Stärkung aus dem Glauben, um ein festes Fundament, von dem aus ich mich im Wind der Meinungen und Parolen nicht wahllos hin- und hertreiben lasse. Es geht um das Mitgefühl und die Nächstenliebe, die es uns ermöglichen, uns gegenseitig zu stützen. Es geht um die Unterscheidung der Geister, die uns befähigt, das Gute zu suchen und zu tun und uns nicht in sinnlosen Diskussionen und Aktivitäten zu verlieren. Ich denke, wir werden unser kirchliches Leben in den nächsten Monaten in dieser Richtung ausrichten müssen und nach all den Festen die geistliche Stärkung, die Seelsorge und die Caritas in besonderer Weise in den Vordergrund zu stellen. Unsere Kirchen werden dieses Jahr kühl bleiben, doch von unserer Gemeinschaft sollte ein Zeichen der Stärkung, der Erbauung und des Mitgefühls gesendet werden. Insofern steht uns eine Menge Arbeit ins Haus. Der Blick auf die „To-Do“-Liste bleibt herausfordernd und ich hoffe, dass wir sie gemeinsam, das bedeutet unter der Mitwirkung Vieler bearbeiten können. Die Zeit fordert uns als Glaubensgemeinschaft heraus. Das ist etwas anderes, als ein Anbieter für verschiedene Aktivitäten zu sein. Die Bewältigung dieser Zeit wird uns dann auch wieder Anlass zum Feiern geben. Bestimmt.       

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