Die Bibel malen – Zum Tod von Kees de Kort

„Drehe niemals einen Jesus-Film“ soll eine Weisheit lauten, die sich die Regisseure Hollywoods weitergeben. Zu leicht ist es, sich am Jesus-Stoff, vielleicht an biblischen Stoffen insgesamt zu verheben. Wie soll man die Bibel in Bildern angemessen wiedergeben? Jedes Bild interpretiert. Die opulenten Ausstattungsfilme des alten Hollywood, die sich etwa in „Die 10 Gebote“ oder auch in „Ben Hur“ um die Bannung der biblischen Erzählungen bemühten, zeigten vor allem archaisierende und zugleich unrealistische Szenen, die sich an den Nazarener-Maler des 19. Jahrhunderts, vor allem aber an zeitgemäßen Bibelillustrationen der 50er Jahre orientierten. Die biblischen Figuren werden zu heiligenscheinbewehrten Heldenfiguren gemacht. In den Darstellungen überwiegt die gläubige Interpretation des Stoffes, die häufig wortgetreu erzählend, die biblischen Berichte in übermenschliche Ferne rückt. Es ist eben Hollywood, das dort spricht. Diese Darstellungsweise hat seitdem zahlreiche Nachahmer gefunden und Filme hervorgebracht, die vor allem auf das Moment der „Überwältigung“ setzen. Die Arche Noah erhält unfassbare Dimensionen, der Zug durch das rote Meer führt die Schauspieler durch kilometerhoch aufgetürmte CGI-generierte Wasserwände des roten Meers, die Auferstehung Jesu braucht zur Steigerung des Wunders einen riesengroßen Stein, der zudem mit zahlreichen römischen Siegeln versehen wird. Wir sollen glauben, gerade auch weil die Bilder versuchen, das Unvorstellbare abzubilden. Allerdings können solche Bilder auch genau das Gegenteil erreichen, weil sie gerade durch ihre Überwältigungslogik zugleich das „Unglaubliche“ herausstellen. Die biblische Erzählung verliert ihre menschlichem Dimensionen und schwappt auf die Seite des Mythos oder Phantastischen herüber.

Ich selbst bin mit anderen Bildern aufgewachsen. Schon im Kindergarten wurden uns die biblischen Berichte und die Gleichnisse Jesu durch die Bilder des niederländischen Illustrators und Malers Kees de Kort vermittelt. Mit kurzen Sätzen unterlegt, zeigten uns die Bilder häufig Schritt für Schritt die Entwicklung einer Episode des Alten Testaments oder der Evangelien. Die Bilder sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben, so sehr, dass ich etwa den Bericht über die Heilung des blinden Bartimäus nicht lesen kann, ohne an de Korts Bartimäus zu denken, der zunächst den Kopf hinter seinem Arm verborgen vor einer grauen Wand sitzt, dann das Gesicht erhebt und in dreifacher Steigerung nach Jesus ruft. Dabei verfärbt sich sein Gesicht langsam. Es läuft rot an. Hier schreit ein Mensch um sein Leben. Anlässlich des Todes von Kees de Kort im August 2022 habe ich nochmal seine Bilder angesehen. Auch nach einem theologischen Studium und langen Auseinandersetzungen mit den biblischen Schriften finde ich sie immer noch gelungen. Die Zeit hat ihnen wenig anhaben können. Woran liegt das?

Kees de Kort veröffentlichte seine ersten Bilder im Jahr 1965. Sie waren dazu gedacht, Kindern mit einer geistigen Behinderung die Bibel zu vermitteln. Es ging also um die Entwicklung einer möglichst einfachen, eindrücklichen und kindgerechten Bildsprache. Der Entstehungszeitpunkt ist dabei wichtig. Die 60er Jahre stehen (mindestens in der katholischen Kirche) für einen entscheidenden Einschnitt in der Verkündigung. Mit der zunehmenden Anerkennung der historisch-kritischen Methode in der Bibelforschung waren auch die Übersetzung, Erzählung und Illustration der Bibel vor neue Aufgaben gestellt. Die Bibelforschung hinterfragte die biblischen Texte auf ihren historischen Gehalt, auf ihre Entstehungsgeschichte und definierte die Aussageabsichten der Schriften auch mit Blick auf den Kontext in dem sie geschrieben wurden neu. Zugleich verfolgte man vielerorts das Projekt einer „Entmythologisierung“, also einer Reinigung der Texte von späteren, das Geschehen überformenden Glaubenssätzen, ein Unterfangen, das heute kritisch gesehen wird. Das Vertrauen in die historisch-kritische Forschung war groß, hoffte man doch so, etwa dem „wahren Jesus“ auf die Spur zu kommen. Im gleichen Jahr, in dem Kees de Kort seine ersten Illustrationen veröffentlichte, verabschiedete das II. Vatikanische Konzil die Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, „Dei Verbum“. In ihr bemühte sich die Konzilsversammlung unter anderem, einen zeitgemäßen Zugang zum Verständnis der Heiligen Schrift zu finden, die auf der einen Seite die neuere Bibelforschung als legitime Methode anerkannte, zugleich aber den Glaubensgehalt der Schrift und ihre Verbindlichkeit neu verankerte. In „Dei Verbum“ 13 heißt es:

„In der Heiligen Schrift also offenbart sich, unbeschadet der Wahrheit und Heiligkeit Gottes, eine wunderbare Herablassung der ewigen Weisheit, ‚damit wir die unsagbare Menschenfreundlichkeit Gottes kennenlernen und erfahren, wie sehr er sich aus Sorge für unser Geschlecht in seinem Wort herabgelassen hat‘. Denn Gottes Worte, durch Menschenzunge formuliert, sind menschlicher Rede ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme menschlich-schwachen Fleisches den Menschen ähnlich geworden ist.“

Die Kernaussage ist: Ähnlich, wie Gott sich in Jesus Christus ganz menschlich mitteilt und seine Größe und Herrlichkeit in dieser „inkarnierten“ Weise deutlich macht, so sind auch die Heiligen Schriften zugleich von „menschlicher“ Art (etwa dadurch, dass sie von Menschen geschrieben wurden) und enthalten unter dieser „schwachen“ Gestalt alles, was wir von Gott aussagen können. Die Folgerung für die Vermittlung des Glaubens war häufig, die menschliche, irdische Seite der Offenbarung zu betonen, also etwa Jesus zunächst als „Mensch“ in seiner geschichtlichen Situation darzustellen. Denn gerade unter dieser menschlichen Gestalt sollte das göttliche Heilswirken in besonderer Weise deutlich werden. Dies gelang bei Weitem nicht immer. Die Gefahr des „Entmythologisierens“ führte häufig dazu, dass die „übernatürliche“ Seite, die Seite des glaubensmäßigen Erfassens zu kurz kam. Heutige Kinderbibeln illustrieren die Heilige Schrift manchmal so wie Kinderbücher. Sie zeigen bunte „kindgerechte“ Bilder, die einfach eine Geschichte abbilden (häufig mit unnötigen Details), so wie man eben auch ein Märchen oder sonst eine Kindergeschichte in Bildform umsetzt. Der Aspekt der Katechese, also der Einführung in den Glauben kommt dabei zu kurz. Von der Größe Gottes ist bei all dem wenig zu erahnen. Die Art der Verkündigung kippte also von einer Überbetonung des Heiligen, Erhabenen nicht selten in ihr Gegenteil.

Kees de Kort gelingt es, so meine ich, dieses „Kippen“ zu vermeiden. Darin zeigt sich seine Größe. Auch er folgt der neuen „menschlichen Darstellung“. Er zeigt biblische Figuren in dezent historisierender Kleidung und verortet sie so in ihrem geschichtlichen Kontext. Er verzichtet auf Heiligenscheine oder ähnliche Attribute. Er verzichtet auch auf ausdeutende Symbole. Der menschlichen Seite der Offenbarung traut er die Kraft zu, die „übernatürliche“ Seite verständlich zu machen. Seine Figuren haben stets große, ausdrucksstarke Gesichter. In ihnen spiegelt sich das menschliche Gesicht der Offenbarung. Mit den Gesichtern hebt de Kort die dargestellten Personen zugleich in eine „immer gültige“, teils auch aktuelle Sphäre. Hier sind Menschen in ihrer Gottesbegegnung gezeichnet, die in ihrer Freude über eine Heilung, in der Begegnung mit Jesus, zugleich aber auch in ihrer Verwunderung, in ihrer Traurigkeit, in ihrer Klage oder im schlichten Nachdenken auch heutige Gläubige sein könnten. Die Betrachter erfassen instinktiv, was die Figuren erfahren oder denken und bieten sich ihnen als Identifikationscharaktere an. Dabei wirken de Korts Bilder selten kindlich oder naiv. Der niederländische Künstler entkommt der Falle einer schlichten Bebilderung noch durch einen weiteren Kunstgriff.

1965 erscheint mit de Korts Bildern eines der großen Kunstwerke der Filmgeschichte. Pier Paolo Pasolini veröffentlicht seinen Bibelfilm „Das erste Evangelium“. Der italienische Regisseur folgt ebenfalls der neuen Bibelbegeisterung und verfilmt das Matthäusevangelium fast wortgetreu. Der Film zeigt in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bildern eine halbwegs naturalistische Szenerie. Seine Darsteller sind meistens Laien, die Pasolini aufgrund ihrer ungeschminkten, eindrucksvollen Gesichter ausgewählt hat. Auch Pasolini zeigt, vielleicht sogar feiert „echte“ Menschen als Charaktere der biblischen Botschaft. Dabei gelingt es ihm im Sinne des Konzils, gerade die möglichst getreue Darstellung auf ihren übernatürlichen Grund hin durchsichtig zu machen. Die Geschichte Jesu braucht keine steigernden Stilmittel, sondern wird gerade in ihrer Verortung im allzumenschlichen Kontext zum glaubhaften Zeugnis der göttlichen Offenbarung. Das Schwarz-Weiß spielt dabei eine wichtige Rolle. Es enthebt die Bilder der Films durch ihre farbliche Verfremdung einer „rein“ menschlichen Illustration in eine unzeitliche Gültigkeit.

Kees de Kort wendet ein ähnliches Prinzip an. Auch für ihn ist die Farbe ein entscheidendes Mittel seiner biblischen Illustrationen. Fast immer verwendet er gedeckte Farbtöne. Die Welt ist nicht knallbunt. Dies gilt besonders für die Darstellung der Jesus-Erzählungen. Hier dominieren Grau, Braun oder ein schmutziges Weiß oder Blau. Seine Kreuzigungsszene etwa ist ein Ineinanderfließen von Brauntönen, der barmherzige Samariter findet den Verprügelten am Straßenrand in einem Bild aus grau-blauen Farbschattierungen. Das Leere Grab jedoch steht auf einem unnatürlichen rosafarbenen Untergrund und die Bergpredigt auf blassgrünen Wiesen wird von Zuhörern in rot-orangenen Kleidern gehört. Die Farben zeigen bei de Kort vermitteln intuitiv zu erfassende Stimmungen. Sie sind nie im engeren Sinn „realistisch“, sondern werden zu wortlosen Indikatoren für den Charakter einer bestimmten biblischen Szene. Durch diese Verfremdungen (etwa auch in der Darstellung der Größe verschiedener Personen), gelingt es de Kort, den Betrachter vom reinen Anschauen zum gefühlmäßige Erfassen der biblischen Berichte zu animieren und ihnen damit den Zugang zur hinter und in den Worten liegenden Dimension der Offenbarung besser zu erschließen.

Wer heute versucht, Kindern die Bibel näher zu bringen, nicht nur als Buch voller Geschichten, sondern als Glaubensbuch, der darf, so meine ich, auch heute noch auf de Korts Bilder zurückgreifen. Ich selbst zumindest betrachte sie auch heute noch gerne.        

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