Himmelblau und Sonnengelb

Himmelblau, Sonnengelb, Lindgrün – Illustrationen in Kinderbibeln sehen gerne so aus. Sie zeigen einen fröhlichen Jesus, der häufig auf einer blühenden Wiese steht – um ihn herum Menschen mit lachenden Gesichtern, die zu ihm kommen. Die Farben und Figuren sollen zeigen: Hier geschieht etwas Schönes. Jesus ist wie ein guter Freund. Um ihn herum strahlt, duftet und singt die Welt. Bilder dieser Art waren ab den 60er Jahren eine Sensation. Sie lösten die alten Illustrationen ab, in denen Jesus eher eine hehre Gestalt war, überlebensgroß, jemand, zu dem man aufblickt. Jesus war eher eine Heldengestalt, ein König, ein Lehrer, ein Priester. Wir haben uns so an die neuen Bilder gewöhnt, dass wir nicht mehr auf die Idee kämen, Kindern heute die alten Bilder zu zeigen. Es ist uns wichtig, Jesus als Menschen, als Freund, Vertrauten und Bruder zu zeigen. Die Begegnung mit ihm soll angstfrei und ungezwungen sein – weniger anbeten und gehorchen, vielmehr mit ihm gehen und mit ihm sprechen. Für uns ist das heute der angemessene Weg, Kindern den Glauben näher zu bringen.

Was hier geschieht ist nichts Ungewöhnliches. Jede Zeit hat ihre Weltsicht, ihre Überzeugungen und auch ihre Pädagogik mit der Bibel verbunden und darin gefunden, was mit ihr besonders gut vereinbar ist. Das Jesusbild und das Menschenbild einer Epoche oder Kultur stimmen meist überein. Wir können es gar nicht anders, als die Bibel mit unseren Augen und durch unsere Zeit hindurch zu lesen. Und nach uns werden andere Epochen kommen, die unser Jesusbild als veraltet erklären und neue Bilder suchen. Es gibt nicht das eine Jesusbild, das für alle Zeiten gültig wäre. Dafür ist die Bibel, sind auch die Evangelien zu reich und unterschiedlich. Der heutige Evangelientext ist ein Beispiel dafür:

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist. Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung. Denn von nun an wird es so sein: Wenn fünf Menschen im gleichen Haus leben, wird Zwietracht herrschen: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter. (Lk 12, 49-53)

Die zornige Rede Jesu und seine Ankündigung, dass mit ihm Unfrieden und Spaltung kommen werden, passen nicht in unser Jesusbild. Die Bibelwissenschaftler waren deshalb lange Zeit bestrebt, nachzuweisen, dass solche anstößigen Stellen vielleicht gar nicht zum historischen Kern gehören, sondern Hinzufügungen waren. Sie zeigen also nicht den „echten“ Jesus, sondern sind eine Reflexion der frühen Gemeinden. Es stimmt natürlich: Auch die Evangelien haben ihre Zeit, in der sie entstanden sind. Auch der Blick der Evangelisten auf Jesus nimmt damals aktuelle Fragen, Vorstellungen und Entwicklungen auf. Für die heutige Stelle aus dem Evangelium vermutet man, dass hinter ihr Erfahrungen aus den jungen Gemeinden stehen. Es kam zu Spaltungen in den Familien, weil sich einige dem neuen Glauben angeschlossen hatten. Gerade weil sich die Christen als eine familiäre Gemeinschaft verstanden, stand der Anspruch der neuen Familie gegen die Ansprüche der eigenen Familie, stand gegen überkommene religiöse, kulturelle und moralische Vorstellungen oder gegen Familientraditionen. Das Christentum war in der antiken Welt anstößig. Es durchbrach nicht nur die herkömmlichen Familienbande, sondern nivellierte auch Standesunterschiede. Sklaven standen plötzlich auf einer Stufe mit vornehmen Herrschaften. Christen verweigerten den Staatskult oder auch den Militärdienst. Sie nahmen an traditionellen heidnischen Festen nicht teil. Diese Spannungen schimmern in den Texten des Neuen Testaments immer wieder durch. Die Anstößigkeit Jesu und des Glaubens an ihn kommt nicht zufällig. Wir dürfen uns Jesus im Auge seiner Zeitgenossen nicht nur als lächelnden Menschenfreund vorstellen. Er war für viele Zeitgenossen sicher ein unbequemer Mensch. Seine Botschaft ist nicht harmlos. Er hat Dinge gesagt, die die Menschen vor den Kopf gestoßen haben. Textstellen wie das heutige Evangelium sind aus meiner Sicht nicht bloß spätere Hinzufügungen sondern spiegeln durchaus auch etwas wider von dem, wie Jesus tatsächlich gesprochen hat, vielleicht nicht unbedingt im Wortlaut, aber durchaus in der Wirkung.

Über Jahrhunderte war unsere Kultur christlich geprägt. Viele Aspekte des damals Anstößigen sind für uns heute normal, weil sie in das Denken und die Moral bis in unsere Zeit hinein eingeprägt sind. Das Christentum hat viel von seiner Anstößigkeit verloren – oder eben doch nicht?

Ich erinnere mich an eine Irritation, die ich selbst als Jugendlicher erlebt habe. Im Kloster Nütschau, wo wir zu einer Wochenendveranstaltung waren, gab es damals die Sitte, dass die Fürbitten frei gesprochen wurden. Jeder aus der Gottesdienstversammlung konnte also seine Anliegen dort zur Sprache bringen. Eine Frau sprach eine Fürbitte für die Beter und ihren wertvollen Dienst. Ich war empört. Ganz im Sinne der 80er Jahre, der Zeit meiner katechetischen Erziehung, war ich der Meinung, Beter brauche es überhaupt nicht. Wirkliche Christen, das waren für mich Leute, die aktiv waren und etwas taten – für andere oder für mehr Gerechtigkeit auf der Welt. Das Beten schien mir doch eine untergeordnete Sache zu sein. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich bemerkt habe, dass das Beten genauso zum Christentum gehört, wie die Nächstenliebe. Das Beten ist vom Evangelium sogar gefordert. „Betet ohne Unterlass“ ist genauso eine Anweisung Jesu an seine Jünger wie „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Ich war hier nur auf einen Strang der christlichen Tradition gestoßen, der zu meiner Jugendzeit nicht so en vogue war. Was mir erst anstößig schien, hat sich mir in seinem Wert erst langsam erschlossen.

Ich will damit nicht sagen, dass man die unterschiedlichen Elemente der christlichen Tradition nicht kritisieren darf. In jeder Zeit gibt es Stränge der Tradition, die als besonders wichtig angesehen und andere, die für überflüssig gehalten werden. Die Tradition schreibt sich ja genau in diesen Auseinandersetzungen fort. Das Christentum ist nie „pur“ da, sondern unterliegt der Kommunikation mit der jeweiligen Zeit. Weil es immer Reste des Christlichen gibt, die nicht in die jeweilige Zeit passen, ist das Christentum, wenn man etwas genauer hinschaut, immer auch anstößig oder unverständlich. Es ist nie modern, in dem Sinne, dass es restlos in den weltlichen Kontext passen würde. Das ist mir wichtig, weil wir zur Zeit eine Phase durchleben, in der die Anpassung der Kirche an die heutige Zeit vehement eingefordert wird. Alles was anstößig ist, soll am besten gleich abgeschafft werden: das kirchliche Amt, der Zölibat, die Beichte, die Morallehre. Das alles sind Elemente, die in der Auseinandersetzung mit der heutigen Zeit stören. Die Hoffnung ist ja: Wenn die Kirche genau so ist, wie die Welt, dann glauben die Leute wieder. Was mich dabei nicht stört, ist, dass intensiv um diese Fragen gestritten wird. Es kann durchaus einen Zeitpunkt geben, an dem bestimmte Traditionen einschlafen. Was mich stört ist, dass über den tieferen Wert der Dinge, die man abschaffen möchte zu wenig nachgedacht wird. Man geht einfach über ihren Wert hinweg und erklärt für wertlos, was zu anderen Zeiten als großer Schatz angesehen wurde. Man behauptet, heute das Christentum ganz verstanden zu haben. Ich bin da vorsichtig geworden. Ich möchte das Anstößige des Christentums verteidigen. Und wenn es zur Zeit anstößig ist, die kirchliche Tradition zu verteidigen, so möchte ich das gerne tun. Im Augenblick malen wir Jesus und das Christentum gerne in Himmelblau, Sonnengelb und Lindgrün. Das heutige Evangelium erinnert daran, dass es noch andere Farben gibt. Wir müssen sie nicht verwenden, aber wir sollten sie kennen. Es ist nicht verboten, über sie nachzudenken und sich mit ihnen ernsthaft auseinanderzusetzen.      

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