Immersion

Bei meinem letzten Besuch in einem der großen Technik-Kaufhäuser stieß ich auf ein besonderes Angebot. Zu einem großen Stapel getürmt fanden sich dort günstige VR-Brillen. Technikbegeisterte halten die VR-Technik für eine der großen Entwicklungen, die künftig unsere Medienerfahrung, vielleicht sogar unsere Wahrnehmung der Welt prägen werden. „VR“ bedeutet „virtual reality“. Man könnte das übersetzen mit „fast echte Realität“. Mit der VR-Brille vor den Augen wird mein Gesicht von einem Bildschirm bedeckt. Ich sehe nur noch das, was der Bildschirm mir zeigt. Er reagiert dabei auf meine Kopf- oder Augenbewegungen, so dass ich den Eindruck bekomme, ich bewegte mich wirklich in einem anderen Raum oder in einer anderen Umgebung. Es ist so etwas wie eine Realität in der Realität. Ich sitze also in meinem Wohnzimmer, bin aber mit den Augen z.B. in einem Schloss, im Urwald oder im Weltraum. Die Entwickler von Computerspielen und VR-Filmen versuchen, die Täuschung möglichst echt zu gestalten. Je realer Bilder, Geräusche oder sogar Gerüche der „virtual reality“ sind, desto realer ist mein Gefühl, mich wirklich in ihr zu befinden. Je tiefer ein Spieler oder Zuschauer in diese künstliche Welt abtaucht, desto mehr nimmt er auch an ihr teil, desto größer wird sein wirkliches Erleben. Die Spieletheoretiker sprechen dann von „Immersion“. Die Realität und die virtuelle Realität verschwimmen ineinander.

Das Thema fasziniert nicht nur die Spielefreaks schon seit vielen Jahren. Der Film „eXistenZ“ von 1999 z.B. erzählte von Computerspielern bei denen die Immersion dank einer raffinierten Technik so gut gelingt, dass die Spieler nicht mehr wissen, auf welcher Ebene der Realität sie sich gerade befinden. Spielt das was sie erleben sich gerade in ihrem wirklichen Leben ab, oder sind sie gerade Teil eines Computerspiels? Die Ebenen existieren gleichzeitig und verschwimmen ineinander.

Das Wort „Immersion“ heißt übersetzt „eintauchen“ oder „untertauchen“. Das deutsche Wort „Taufe“ kommt von „Tauchen“ und spiegelt die alte Praxis wieder, in der Täuflinge während der Taufe im Wasser untergetaucht wurden. Die Taufe ist so gesehen nichts anderes als „Immersion“. Das war auch theologisch so gemeint. Durch die Taufe sollte sich das Leben der Täuflinge verändern. Das Untertauchen oder Übergießen mit Wasser war verbunden mit der Veränderung der Person. Als Sünder kam man zur Taufe, als von Sünden gereinigter Mensch kam man heraus. Paulus beschreibt das so: In der Taufe legt ihr den alten Menschen ab und zieht in Christus den neuen Menschen an. Als Zeichen für diesen Neuanfang wurde dann ein neues Kleid überreicht, das (weil noch unbenutzt) weiß war.

Die Taufe Jesu, von der das Evangelium berichtet, bebildert diesen Vorgang:

Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. (Lk 3, 21f.)  

Der Bericht spielt auf zwei Ebenen. Es gibt einmal das sichtbare Geschehen: Jesus steigt in das Wasser des Jordan, wird von Johannes in das Wasser getaucht oder mit dem Wasser übergossen. Währenddessen betet er und steigt anschließend aus dem Wasser wieder heraus. Das ist die Ebene der sichtbaren Realität. Dann gibt es aber eine zweite Ebene, eine zweite Wirklichkeit, die sich gleichzeitig abspielt. Während Jesus ist Wasser ist und sich taufen lässt, öffnet sich der Himmel. Der Geist Gottes kommt auf ihn herab und er hört eine Stimme aus dem Himmel, die sagt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Diese zweite Ebene könnte man die Wirklichkeit der göttlichen Gnade, also der göttlichen Zuwendung nennen. Diese Ebene ist normalerweise unsichtbar. Trotzdem handelt es sich um eine Wirklichkeit. Die Immersion wird sichtbar, die Ebenen verschwimmen ineinander. Das äußere, sichtbare Leben ist zugleich ein Leben, das von der Gnade Gottes durchdrungen und getragen wird.

Wenn wir heute taufen, ist die Aussage die gleiche. Das äußere Zeichen, das Sakrament bedeutet eine innere Wirklichkeit. Das Zeichen bedeutet das Angenommensein des Menschen von Gott, seine Begleitung und seine liebende Zuwendung. Das geschieht, auch wenn wir es nicht sehen können. Soll die Immersion, also das Eintauchen in den Bereich der göttlichen Gnade gelingen, braucht es dazu mehr als den Ritus. Die Erfahrung, dass ich von Gott angenommen bin und in seiner Gnade stehe, ist mehr als eine kirchliche Feier. Es ist schwer, darüber zu sprechen. Viele sehen in der Taufe eher so etwas wie einen äußeren Akt, eine Aufnahme in die Kirche etwa, oder ein besonderes Fest für ein neugeborenes Kind. Im Laufe des Lebens gewinnt die Taufe erst dann an Bedeutung für mich, wenn ich auch die Erfahrung er zweiten Ebene machen kann. Von dieser zweiten Ebene zu reden ist das eine, sie wirklich zu erleben, etwas anderes. Wer in seinem Leben an bestimmten Punkten wirklich erfahren durfte, dass Gott ihm nahe ist, dass er von Gott geliebt ist oder durch schwere Zeiten getragen wird, der versteht, dass die göttliche Gnade mehr ist als eine theologische Erklärung, sondern eine Wirklichkeit hinter und in der Realität, in der ich lebe. Die Immersion bedeutet ein Verstehen beider Ebenen. Sie sind nicht streng voneinander getrennt, sondern sie verbinden sich miteinander. Ich kann lernen, das äußere Leben von Gott her zu deuten und die Erfahrung Gottes in mein Leben hineintragen. Die Taufe ist damit nicht ein kurzer Ritus am Anfang des Lebens, sondern der Auftakt für eine lebenslange Beziehung zum lebendigen Gott, der auch zu mir sagt: „Du bist mein geliebtes Kind“.

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