Tod und Verklärung

Über das Evangelium von der Verklärung Christi habe ich schon oft gepredigt. Ich hatte den Eindruck, es in allen seinen Dimensionen schon beleuchtet zu haben.[1] Jetzt aber ist eine neue hinzugekommen.

Ich war vor Kurzem zu einer Krankensalbung. Es war eine besondere Situation. Die Kranke lag bereits im Sterben, war aber bei vollem Bewusstsein. Wir haben zusammen gebetet. Ich habe ihr die Lossprechung gegeben und die Kommunion gereicht. Und wir haben das Evangelium von der Verklärung gelesen. Jesus steigt mit seinen Jüngern auf den Berg. Und auf einmal ist alles Licht, unerklärliches Licht. Die Gestalt Jesu strahlt von innen heraus. Über ihnen die Wolke, aus der die Stimme kommt. „Du bist mein geliebter Sohn“. Die Jünger daneben haben Angst. Sie wissen nicht, mit der Situation umzugehen. Das Geschehen überfordert sie. Hier geschieht etwas, das größer und gewaltiger ist, als dass sie es fassen, begreifen oder sich erklären könnten. Ihre Versuche, auf das Gesehene einzugehen, sind hilflos. Als sie vom Berg hinabsteigen hören sie von Tod und Auferstehung. Sie fragen sich was das ist – von den Toten auferstehen.

In der Situation am Krankenbett blieb diese Frage wie ein Echo aus dem Evangelium im Raum stehen. Die Verklärung hatte unsere Situation getroffen. Mit aller menschlichen Hilflosigkeit waren wir auf einmal darauf angewiesen, das gehörte Wort zu glauben. Das Evangelium übergab uns unserer Hoffnung auf das Licht und das Wort Gottes, das wir in dieser Stunde nicht recht begreifen konnten. Was ist das, von den Toten auferstehen?

Am Abend des gleichen Tages hörte ich die Tondichtung „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss.[2] Es ist ein gewaltiges Orchesterwerk. Manchmal vermag Musik zu uns besser zu sprechen als das Wort. „Tod und Verklärung“ erzählt in Musik die Situation, die ich vor wenigen Stunden erlebt habe.

Das Stück beginnt mit einem unruhigen Fließen der Musik, unter die sich der Herzschlag von Paukenschlägen mischt. Strauss wollte hier die Situation eines Kranken schildern, der unruhig auf seinem Krankenlager liegt. Mit einem heftigen Schlag bäumt sich die Musik auf. Es ist eine musikalische Schilderung des Schmerzes. Darauf wechselt die Musik in eine gewaltige Melodie. Strauss nannte es das „Verklärungsthema“. Vor dem Kranken zieht sein inneres Leben vorbei. Es sind nicht einfach schöne Erinnerungen an vergangene Zeiten, die hier beschrieben werden, sondern so etwas wie eine Zusammenfassung der inneren Überzeugungen und Ideale, die den Sterbenden in seinem Leben geprägt haben. In der Musik kehrt danach noch einmal der Schmerz zurück. Die Musik entschwindet langsam. Der Schlag eines Tamtams, des großen Orchestergongs, verkündet das Eintreten des Todes. Aus dem nun entstehenden Tongewirr heraus erhebt sich langsam, aber kräftig die mächtige Melodie erneut. Das Verklärungsthema aus dem zweiten Teil des Stückes wiederholt sich und wird stärker. Erst am Ende des Stückes ist es dann vollständig zu hören.

Ein Begleitgedicht, dass Strauss für sein Stück anfertigen ließ, sagt über diese Verklärung nach dem Tod: „Aber mächtig tönet ihm aus dem Himmelsraum entgegen was er sehnend hier gesucht, was er suchend hier ersehnt.“[3]

Man könnte fast meinen, das Programm des Evangeliums in diesem Stück Musik wiederzufinden. Erlebt Jesus den Moment der Verklärung nicht auch als Vorausbild seiner Auferstehung? Kommen im Augenblick der Verklärung nicht bereits sein Sein, seine Ideale, seine Lebensaufgabe in lichterfüllter Weise zum Ausdruck? Ist der Moment, an dem er vom Berg hinabsteigt, nicht der Beginn seines Weges zum Tod, der nach dem gewaltigen Schlag des Karfreitags in die himmlische Vollendung münden soll? In dieser Lesart wäre die Auferstehung also so etwas wie die Vollendung eines irdischen Lebens, in dem die geistige Wirklichkeit eines Menschen in die Vollendung eingeht.

So ähnlich hat Strauss es gedacht. Er bezieht sich in „tod und Verklärung“ nach Meinung der Musikforscher auf die Lehren des Mystikers Emanuel Swedenborg (1688-1772).[4] Dieser hatte gelehrt, dass die Auferstehung so etwas wie die posthume Weiterführung und Vollendung des eigenen Werks und Lebens sein würde.

Aber Swedenborg irrt. Der christliche Glaube sagt es anders. Er sieht in Jesus Christus Gottes Sohn vor aller Zeit. Er trägt die Göttlichkeit zu jeder Zeit seines Lebens in sich, ein Göttlichkeit, die sich in der Metapher des Lichtes ausdrückt. Man denke nur an den Beginn des Johannesevangeliums. In der Verklärung kommt also nicht zum Ausdruck, was das irdische Leben Jesu bis dahin ausgemacht hat, sondern das Göttliche, das immer da war, kommt zum Vorschein. Die Auferstehung ist dann eine Heimkehr in das, was Jesus Christus immer schon war. Nicht das irdische Leben wird also verklärt oder divinisiert, sondern die Auferstehung heißt: Das irdische Leben wird mit in die ewige Göttlichkeit aufgenommen. Die Jünger fragen, was das sei, von den Toten auferstehen? Die Verklärungsszene des Evangeliums beantwortet die Frage. Auferstehen ist heimkehren. Es ist ein Zurückkehren in die ewige Liebe Gottes, die den Menschen von Beginn seines Lebens umfangen hat. Die Verklärung ist die Sichtbarwerdung dieses göttlichen Ursprungs, das Aufleuchten des Ganz-Anderen in der irdischen Wirklichkeit. Als solche kann sie uns in der Erfahrung der göttlichen Gegenwart, im glücklichen Moment, in der Freude über das Dasein jedem von uns zuteil werden. Die Verklärung ist eine Vorahnung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie ist ein Bestätigung für unsere Hoffnung auf die Auferstehung, deren letztes Geheimnis wir allerdings im Leben nie ganz verstehen werden.

Beitragsbild: Fenster in der königlichen Grabeskapelle des Klosters Alcobaca (Portugal)


[1] S. z.B. Ist da noch etwas auf dem Berg? [zum Fest der Verklärung des Herrn] – Sensus fidei; Die Sterblichen – Sensus fidei; Eine gute Prognose – Sensus fidei; High auf dem Tabor – Sensus fidei

[2] Hier eine der besten Einspielungen des Werkes: R. Strauss: Tod und Verklärung Op. 24, TrV 158 (youtube.com)

[3] Das Gedicht ist auf Wunsch von Strauss dem Werk vorangestellt worden. S. Partitur, S. 6-7: PB 5654 – R. Strauss, Tod und Verklärung by Breitkopf & Härtel – Issuu

[4] S. hierzu die Einleitung zum Werk von Jürgen Ostmann: programmheft1498.pdf (ndr.de)

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