Der Heilige Rest

In diesem Jahr fällt das Fest Mariä Empfängnis mit dem Beginn des achttägigen jüdischen Chanukka-Fest zusammen. Zu diesem Fest wird ein achtarmiger Leuchter aufgestellt, auf dem an jedem Abend eine Kerze mehr angezündet wird. Die Kerzen erinnern an ein Ereignis der jüdischen Geschichte.

Im 2. Jahrhundert v. Chr. lag das Land Israels im Schnittfeld zweier Großmächte, die sich in der Nachfolge der Eroberungen Alexander des Großen (gestorben 323) herausgebildet hatten. In Ägypten herrschten die Ptolemeäer, deren Reich sich zweitweise bis nach Kleinasien (heute Südtürkei) und Zypern erstreckte. Im Norden entstammten die Herrscher der Linie der Seleukiden. Ihr Gebiet umfasste unter anderem das alte Babylonien (heute Irak) und Syrien.[1] Beide Herrschaftshäuser waren der griechischen Tradition, Religion und Lebensart verbunden. Der vordere und mittlere Osten wurden hellenistisch (nach griechischer Lebensart) geprägt.

Israel lag lange im Einflussbereich der Ptolemäer. Doch Mitte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts änderten sich die Verhältnisse. Die Seleukiden eroberten das Gebiet Israels. Die Folge war eine Hellenisierungswelle, die in den biblischen Makkabäerbüchern als Zeit der Unterdrückung der jüdischen Religion geschildert wird. Gegen den heidnischen Götterkult, der nun auch im Jerusalemer Tempel Einzug hielt, bildete sich Widerstand. Judas Makkabäus (der Beiname bedeutet „der Hammer“), der Sohn eines jüdischen Priesters, stellte sich an die Spitze eines Aufstands gegen die seleukidische Großmacht. Er verstand sich als jüdischer Freiheitskämpfer.

Tatsächlich gelang es den Aufständischen, den Jerusalemer Tempel einzunehmen und als jüdisches Heiligtum neu zu etablieren (1Makk 4). Dazu musste der Tempel nach rituellem Verständnis von aller „Kontamination“ durch den heidnischen Kult gereinigt werden. Die Legende besagt, dass man, als man das ewige Licht im Tempel neu entzünden wollte, nur ein kleines Fläschchen Öl fand, das durch die Heiden noch nicht berührt worden war. Es geschah ein kleines Wunder: Das Öl brannte die acht Tage des Tempelweihefestes.

Der Chanukka-Leuchter erinnert an diese Begebenheit und mit seinen acht Lichtern an die Tage, in denen die Öllampe während des Festes im Tempel brannte.

Jenseits der politischen Bedeutung, die man dem Fest, gerade jetzt in Zeiten des Krieges in Israel und Palästina beilegen kann, lässt sich die Chanukka-Erzählung auch geistlich lesen. Das im Tempel aufgefundene Öl bildet das Geschehen des Makkabäer-Aufstands schließlich typologisch nach. Die kleine Zahl der jüdischen Freiheitskämpfer vermag sich gegen die Großmacht der Seleukiden durchzusetzen. Gegen alle Wahrscheinlichkeit kann also in alttestamentlicher Lesart das „wahre“, gottgläubige Israel gegenüber seinen Feinden bestehen. Der unwahrscheinliche Fund des Öls, dessen Menge eigentlich nicht reicht, spiegelt die Situation auf einer symbolischen Ebene. Das „unberührte“ Öl reicht aus, um den Tempel für längere Zeit (die symbolische Zahl „acht“ steht für die ewige Fortdauer) zu erleuchten. Gottes Beistand macht sich in diesem kleinen Lichtzeichen im symbolischen Dunkel einer verirrten Zeit sichtbar.

Beides, das historische Geschehen des Makkabäeraufstandes, wie auch seine symbolische Ausdeutung in der Lichtlegende passt in die alttestamentliche Vorstellung vom „Heiligen Rest“, wie er in den Prophetenschriften zu finden ist. Die Idee: Gottes Treue zu seinem Volk bewahrt sich durch alle Zeiten. Allerdings ist es selten die große Masse Israels, die durch die Geschichte hindurch diese Treue bewahrt. Manchmal ist es eine kleine Gruppe, oder auch nur eine einzelne Person (Abraham, Hannah, Elias), die das grenzenlose Vertrauen auf Gottes Wirken behalten hat. Aus einem so kleinen, unscheinbaren Anfang kann Gott das Volk neu wieder beleben. In einem unscheinbaren Beginn des oder der Einen steckt das Potential für eine Erneuerung des Volkes Israel und des Bundes, den Gott mit ihm für alle Zeiten geschlossen hat.

In christlicher Lesart führt diese Idee zum Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, das in der katholischen Kirche am 8. Dezember gefeiert wird.[2] Gott bereitet hier sein Kommen in Jesus Christus vor, indem er in Maria den „Heiligen Rest“ Israels, hier sogar der ganzen Schöpfung identifiziert. Sie ist diejenige, die außerhalb des Zusammenhangs der alles kontaminierenden Sünde steht. Im Bild gesprochen: Das Öllämpchen, das für die zukünftige Erleuchtung des Tempels gefunden wird.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die frühen christlichen Marienlegenden, die im nichtbiblischen Jakobusevangelium aufgezeichnet sind, die Beziehung Marias zum Tempel betonen. Dort heißt es, Maria sei von Joachim und Anna als Kind unter dem Schein von Lampen, die von den Jungfrauen Israels getragen wurden, zum Tempel gebracht worden und habe dort ihre Kindheit verbracht. Die Erneuerung Israels beginnt also auch hier vom Tempel her.

Nach der Geburt Jesu bringen die Eltern ihr Kind nach acht Tagen zum Tempel. Dort nimmt es der greise Simeon (ebenfalls eine Figur des gottgläubigen „Heiligen Restes“ Israels) in die Arme und preist Gott: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das Du vor allen Völkern bereitet hast – ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,30-32). Auch hier findet also eine Erleuchtung des Tempels statt. Das Wort aus dem Lukasevangelium verweist auf die Weissagung Jesajas, nach der vom Jerusalemer Tempel aus ein großes Licht in die Finsternis der Welt strahlt – Gott hat im Tempel wieder sein Haus errichtet und „strahlt“ auf die Völker der Erde aus (Jes 9, Jes 60).

Die Motive des Chanukka-Festes und der christlichen Weihnachtstradition sind sich also verwandt. Beide sind Ausdruck der Hoffnung auf die Erneuerung Israels und die Offenbarung Gottes vor aller Welt. In dieser Weise können wir die Feste mit unseren Bitten um Frieden für Israel und die Nationen, um Hoffnung in dunkler Zeit und Gottes Beistand verbinden.   

Beitragsbild: Marienfenster in der Kathedrale von Madrid           


[1] Eine Karte hier: Diadochenreichen nach dem Ende der Diadochenkriege – Ptolemäer – Wikipedia

[2] S. hierzu: Joseph Ratzinger, Die Tochter Zion, Einsiedeln 1990, 61-65.

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