Wenn nur die Leute nicht wären!

Es gibt Ziele, die sind so gut, dass man einfach nichts Falsches an ihnen finden kann. Das Ziel eines umfassenden Friedens gehört dazu, also einer Welt ohne Kriege. Oder es gibt das Ziel einer globalen Gerechtigkeit, so dass die Reichen nicht mehr auf Kosten der Armen leben. Wir kennen das Ziel der ökologischen Lebensweise, in der wir Menschen die Ressourcen der Erde nicht über Gebühr gebrauchen und so der Natur, der unbelebten, der Pflanzen und Tiere ihr Recht geben. Aus religiöser Sicht ist das Ziel des Gottesreichs, wie Jesus es verkündet, ein solches großes Ziel. Das Gottesreich beinhaltet irgendwie sogar alle großen Ziele der Menschheit, geht aber noch über sie hinaus. Es ist die Vision einer umfassenden Versöhnung zwischen Gott und den Menschen und der Menschen untereinander. Aus dieser Versöhnung geht eine neue Lebensgemeinschaft, auch eine neue Weltgemeinschaft hervor, die zum Guten und Wahren strebt. Diese Idee des Gottesreiches ist erstmal klein wie ein Senfkorn. Sie ist ein Wunsch, ein Gedanke, eine Haltung die wächst und dann groß werden soll, bis sie einmal durch Gott verwirklicht ist. In Jesus bricht das Gottesreich neu in die Menschheitsgeschichte ein und die Jünger sollen die ersten Sachwalter, die ersten Protagonisten dieser Vision sein.

Es gibt allerdings ein Problem. Das Gottesreich setzt die Mitwirkung der Menschen voraus. Auf Gottes Bereitschaft, sich mit den Menschen zu versöhnen, müssen diese mit der Bereitschaft antworten, sich darauf auch einzulassen. Die Menschen müssten sich versöhnen lassen und bereits sein, durch ihr Handeln, Leben und Sprechen Zeugnis für Gottes Botschaft ablegen. Und genau an diesem Punkt wird es schwierig. Das Evangelium bringt die Schwierigkeit deutlich zum Ausdruck. Jesus ermahnt seine Jünger und in diesen Ermahnungen können wir auch die Ermahnungen an die künftigen Generationen von Christen erkennen. Offenbar erlahmt die Begeisterung für das Gottesreich immer wieder. Der menschliche Teil in der neuen gott-menschlichen Partnerschaft ist unzuverlässig: „Das Gottesreich sollte euer Schatz sein, stattdessen aber hängt ihr euer Herz allzu gern an andere Dinge.“

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben. Verkauft euren Besitz und gebt Almosen! Macht euch Geldbeutel, die nicht alt werden! Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst! Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lampen brennen! Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft! Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen. Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er verhindern, dass man in sein Haus einbricht. Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. Da sagte Petrus: Herr, sagst du dieses Gleichnis nur zu uns oder auch zu allen? Der Herr antwortete: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde einsetzen wird, damit er ihnen zur rechten Zeit die Tagesration gibt? Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt! Wahrhaftig, das sage ich euch: Er wird ihn über sein ganzes Vermögen einsetzen. Wenn aber der Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr verspätet sich zu kommen! und anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich zu berauschen, dann wird der Herr jenes Knechtes an einem Tag kommen, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Ungläubigen zuweisen. Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt, sich aber nicht darum kümmert und nicht danach handelt, der wird viele Schläge bekommen. Wer aber, ohne den Willen des Herrn zu kennen, etwas tut, was Schläge verdient, der wird wenig Schläge bekommen. Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen. (Lk 12, 32-48).

Mit den großen Ideen ist es also nicht so einfach. Der Dichter Hans Magnus Enzensberger hat sich mit dieser Schwierigkeit immer wieder auseinandergesetzt. Er war damals bei den 68ern ein große Kult-Gestalt, erlebte also intensiv die Zeit der großen politischen Ideale mit, von Frieden Gerechtigkeit und Revolution. Zugleich aber wahrte er die Distanz zur Studentenbewegung. Als man ihm vorwarf, sich politisch nicht eindeutig zu positionieren, sagte er, dass er nichts davon halte, „mit Bekenntnissen um sich zu werfen.“ Im Zweifelsfalle entscheide ohnehin immer die Wirklichkeit. In einem Gedicht mit dem Titel „Die Schwierigkeiten der Umerziehung“ bringt er diesen Gedanken zum Ausdruck. Ich zitiere hier einen Ausschnitt:

Einfach vortrefflich

all diese großen Pläne:

das Goldene Zeitalter

das Reich Gottes auf Erden

das Absterben des Staates.

Durchaus einleuchtend.

Wenn nur die Leute nicht wären!

Immer und überall stören die Leute.

Alles bringen sie durcheinander.

Wenn es um die Befreiung der Menschheit geht

laufen sie zum Friseur.

Statt begeistert hinter der Vorhut herzutippeln

sagen sie: Jetzt wär ein Bier gut.

Statt um die gerechte Sache

kämpfen sie mit Krampfadern und mit Masern.

Im entscheidenden Augenblick

suchen sie einen Briefkasten oder ein Bett.

Kurz bevor das Millenium anbricht

kochen sie Windeln.

An den Leuten scheitert eben alles.

Mit denen ist kein Staat zu machen.

Ein Sack Flöhe ist nichts dagegen.

Wenn also nur die Leute nicht wären! – Diesen Ausruf versteht Enzensberger natürlich ironisch. Er karikiert die Erwartungshaltung der Eiferer und Theoretiker, die für die großen Ideen streiten. Er wirft ihnen vor, die Realität der Menschen aus den Augen zu verlieren. Es gibt keine reinen Ideen, sondern immer nur deren unzureichende Umsetzung. Es bedarf des mühsamen Werbens und der ehrlich gemeinten Auseinandersetzung mit den Menschen, um Ideen umzusetzen. Ideen, die als reine Lehre den Menschen auferlegt werden, sind Ideologien. Durch Zwang erreicht man keine Überzeugung. Ermahnungen können immer nur Hilfen zur Bewusstwerdung sein, nicht mehr.

Macht Jesus also einen Fehler, wenn er das Gottesreich so vehement verkündet? Mit Blick auf den heutigen Abschnitt aus dem Evangelium könnte man das durchaus meinen. Es lohnt aber, genauer hinzuschauen, auf den größeren Zusammenhang des Evangeliums. Zum einen kennt Jesus ein Realitätsprinzip. Er verurteilt die Ideologen. Die Pharisäer, die eine reine Lehre vertreten, werden von ihm zurecht gewiesen. Das göttliche Gesetz, so sagt Jesus, muss sein Maß an der Wirklichkeit und den Bedürfnissen der Menschen nehmen. Es muss sich im konkreten Leben bewähren, nicht in seiner abstrakten Idee. Das Werben für das Gottesreich bleibt ein mühsames Geschäft. Der Sämann im Gleichnis sät viel aus und erntet immer nur wenig. Zudem ist das Gottesreich nie ein reines Menschenwerk. Und zum dritten ist das Gottesreich immer nur in Beispielen und Vorbildern zu sehen. Es zeigt sich nie in seiner reinen Idee. Natürlich sollen gerade die Jünger dieses Beispiel geben (weshalb sie auch besonderer Ermahnung bedürfen), aber das Beispiel ist auch dort, wo die Haltung der Nächstenliebe, der Friedfertigkeit, der Gerechtigkeit im ganz normalen Alltag zu finden sind. Das Gottesreich ist unter uns, häufig in seiner sehr alltäglichen unscheinbaren Gestalt.

In Abwandlung des Enzensberger-Gedichtes müsste man sagen: Die große Idee vom Gottesreich, sie ist eine leere Vision, wenn nur die Leute nicht wären. Es bleibt ein uneingelöstes Versprechen, wenn die Leute nicht wären. Kaum jemand könnte etwas von ihm wissen, wenn die Leute nicht wären. Sie verstehen von ihm oft mehr, als es weise Schriften und große Predigten ausdrücken können. Eure Mühe um ein friedliches, gutes, gemeinsames Leben, eure Ringen um Liebe und Treue, um Zuwendung und Vergebung ist Teil der Wirklichkeit dieses Gottesreiches. Also, danke, liebe Leute, dass es euch gibt.

Beitragsbild: Restaurantterasse am Rhein bei Bad Honnef

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