Es sind ein paar Zeilen aus den Vatikan, die seit gestern (21.07.22) wieder für mächtiges Rauschen im Blätter- und Digitalwald kirchlicher und weltlicher Medien sorgen.[1] In einer knappen, namentlich nicht einmal gekennzeichneten Mitteilung erhebt die kirchliche Zentrale Einspruch gegen mögliche Konsequenzen aus dem „Synodalen Weg“, dem Diskussionsforum der deutschen Bischöfe mit den Vertreterinnen und Vertreter des Laienkatholizismus.[2] Dieses kommt im September zu einer nächsten Generalversammlung zusammen, um einige der vorliegenden Grundsatztexte, etwa zu „Frauen in Ämtern der Kirche“, zu synodalen Strukturen in der Leitung der Kirche oder zu Fragen der Sexualmoral weiter zu diskutieren und abzustimmen. Die Versammlung sieht als ihre Mission, unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals progressive Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland, aber sicher auch weltweit vorzunehmen. Der Vatikan interveniert nun offen bereits zum dritten Mal. Streitpunkt ist wieder einmal die Frage nach der Legitimität von Teilkirchen (hier den deutschen Bistümern) in Fragen der Leitung oder Lehre eigenständige Ansätze zu finden. Gefährdet ein solches Handeln die Einheit der Kirche? Überschreiten hier Bischöfe ihre Kompetenzen? Aus römischer Sicht werden diese Befürchtungen nun erneut geäußert. Auch Bischöfe anderer Länder, aus Polen, den USA und Skandinavien hatten sich in den vergangenen Monaten besorgt über die Entwicklungen in der deutschen katholischen Kirche zu Wort gemeldet. In weltkirchlicher Perspektive wird ein alter Reflex geweckt. War von Deutschland nicht schon einmal eine Kirchenspaltung ausgegangen? Sieht man auf die Hauptlinie der Berichterstattung der Medien hierzulande, sind die Rollen ebenfalls klar verteilt: Die verstockten Römer sind reformunfähig, die deutschen Bischöfe eigentlich auch, geben sich aber zumindest Mühe und tapfere Kirchenmitglieder kämpfen für das, was eigentlich schon längst hätte eingeführt werden müssen, etwa das Weiheamt für Frauen, eine Kontrolle der Bischöfe, die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung für Kleriker oder die Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Mit Blick auf die vorliegenden Diskussionspapiere des „Synodalen Wegs“ ist ein wenig mehr Gelassenheit angeraten. Die Texte sind weit weniger radikal oder umstürzlerisch, als ihre Kritiker befürchtet haben. Sie wollen eher das geltende Recht und die geltende Lehre in das eigene Lebens- und Gedankenumfeld hinein vermitteln und den möglichen Rahmen für eigenständige Interpretationen ausschöpfen. Die Vorsitzenden des Synodalen Prozesses betonen in ihrer Stellungnahme zum neuesten vatikanischen Dokument genau das.[3] Wieviel Spielraum ist also möglich?
Blickt man in die Geschichte, sind solche Auseinandersetzungen nicht neu. Das 19. Jahrhundert war von intensiven Kämpfen um nationalkirchliche Tendenzen geprägt. Im Aufkommen eines gestärkten nationalstaatlichen Bewusstseins entstanden etwa in Frankreich, Österreich und auch in Deutschland theologische Denkschulen, die eine größere kulturelle und organisatorische Eigenständigkeit der Kirche vor Ort gegenüber Rom einforderten. Dabei spielten auch politische Interessen eine Rolle. Die staatlichen Regierungen versuchten, etwa über Mitspracherechte bei der Besetzung von Bischofsstühlen die katholische Kirche organischer in ihren Staat zu integrieren und die als „Fremdeinwirkung“ empfundene römische Zentralgewalt abzuschwächen. Dass damit auch die Kirche in teils bedenkliche Abhängigkeiten zum Staat geriet, sollte nicht vergessen werden. Die Gegenreaktion folgte prompt. Im Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) stärkten die Bischöfe mehrheitlich, aber nicht einmütig, die Zentralgewalt des Papstes. Der sogenannte Ultramontanismus, also die bedingungslose Gefolgschaft gegenüber Rom etablierte sich als Bewegung. Im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde diese Denkrichtung unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und der Etablierung der Demokratie als vorherrschende Regierungsform zumindest in der westlichen Welt abgeschwächt. Intensiv diskutierte man über die Rolle der Bischöfe und die Eigenverantwortung der Diözesen unter dem Stichwort der „Synodalität“. Die starke Rolle des Papstes wurde allerdings nicht zuletzt durch das persönliche Eingreifen Papst Pauls VI. ebenfalls bestätigt. Gerade unter den Bedingungen der atheistischen Diktaturen des Kommunismus war die starke Rombindung ein Garant für eine gewisse kirchliche Bewegungsfreiheit. In anderen Fällen, vor allem in China, schuf die Regierung einen eigenständigen staatlich kontrollierten Zweig der Katholischen Kirche. Das Problem des „Chinesischen Staatskirche“ ist bis heute ungelöst. Im Westen blieb man angesichts der uneindeutigen Ergebnisse des Konzils unzufrieden. Äußerst kritisch wurde jeder Eingriff in heimische kirchliche Vorgänge beäugt. So kam das Thema „Synodalität“ und damit die Verhältnisbestimmung zwischen Rom und den Bistümern in der Außerordentlichen Bischofssynode von 1985 erneut zur Sprache. Im progressiven westlichen Lager sorgte man sich, dass Rom sich den problematischen Zügen der römischen Zentralgewalt nicht stellen würde und keine organisatorische Konsequenzen zu ziehen bereit wäre. Allerdings sah man auch Spielraum. Der bedeutende Theologe Hermann Josef Pottmeyer etwa analysierte im Anschluss an die Synode, dass diese eine „strukturelle Kreativität“ auslösen könne.[4] Die Zügel schienen weniger straff gespannt. Hoffnung auf eine weitere Lockerung brachte schließlich das Pontifikat von Papst Franziskus, der im Sinne seines kulturtheoretischen Kirchenansatzes die Eigenständigkeit der weltkirchlichen Regionen stärken möchte. Die Wahrheit, so sagte er in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ von 2013, sei nun einmal keine Kugel, die von allen Seiten ununterscheidbar gleich aussehe, sondern eher so etwas wie ein Polyeder, dessen unterschiedliche Seitenflächen zwar zum Ganzen gehörten, dieses aber in unterscheidbaren Flächen mittrage.[5] Der „polyedrische“ Ansatz trug in sich aber auch eine Verpflichtung, nämlich, die verschiedenen kulturellen Brechungen innerhalb der Kirche weltkirchlich mitzutragen und zu akzeptieren, ohne mit der eigenen Auffassung die anderen Bereiche der Weltkirche dominieren zu wollen. Es sei dahingestellt, ob Franziskus im deutschen „Synodalen Weg“ genau ein solches Streben erkennt. Zumindest ist die Aversion gerade lateinamerikanischer Theologen gegen eine einseitige und uniformierende Dominanz europäischen Denkens gut dokumentiert. Der synodale Prozess der Beratung und Erneuerung des kirchlichen Lebens wurde daher folgerichtig durch Rom nun auch als weltkirchlicher Prozess etabliert, in dem die verschiedenen Sichtweisen auf Leben, Lehre und Struktur der Katholischen Kirche zusammengeführt werden sollen.
Dabei ist zu beachten, dass es gerade in der Folge des zweiten Vatikanischen Konzils zu einer durchaus kreativen Ausgestaltung kirchlicher Strukturen in den verschiedenen Weltteilen gekommen war. So wurden neue Dienstämter geschaffen, etwa die „Katechisten“, ein sehr erfolgreiches Modell in Afrika, die „Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten“ in deutschsprachigen Ländern. Es gab organisatorische Neuansätze, etwa der Basisgemeinschaften in Lateinamerika. In Deutschland, aber auch anderen europäischen Ländern, wie auch in den USA etablierten sich auf der Pfarr- und Diözesanebene gewählte Gremien, die sowohl an der pastoralen als auch der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt sind. Unbeschadet davon allerdings blieb die Letztentscheidungsvollmacht der Bischöfe und teilweise auch der Pfarrer. Der synodale Weg möchte hier insofern in die Leitungsarchitektur der Kirche eingreifen, indem er gewählten Gremien mehr Entscheidungskompetenz zuweisen möchte und damit auch Bischöfe in ihrem Ermessensspielraum einschränkt. Bisherige Mitspracherechte sollen ausgedehnt werden. Dies scheint, auch angesichts der dramatischen Veränderungen dieser und der nächsten Jahre notwendig zu sein. Ob es gelingt, die Akzeptanz schwerwiegender Beschlüsse durch diese Maßnahme zu erhöhen, darf allerdings bezweifelt werden. Zumindest erhofft man sich eine bessere Qualität, die eben unabhängig von der Stärke oder Schwäche des jeweiligen Diözesanbischofs erhalten bleiben soll. Wie soll man also mit dem jetzigen vatikanischen Schreiben umgehen? Es ist davon auszugehen, dass es nicht das letzte sein wird. Wie in allen Prozessen gilt es erst einmal, Ruhe zu bewahren. In der Regel werden Entscheidungen durch das gegenseitige Zuhören besser. Die einseitige Verurteilung der deutschen Bischöfe als „Schismatiker“ ist ebenso falsch wie die teils unbedachte harsche Kritik an Rom. Der „Synodale Weg“ als Diskussionsforum muss akzeptieren, dass mit Rom ein in rechtlichen und theologischen Fragen gewichtiger Mitdiskutant einbezogen werden muss. Eine Intervention des Vatikans als „Einmischung von außen“ zu verstehen, ist im Rahmen der Katholischen Kirchengemeinschaft nicht möglich. Ebenso ist es im Sinn der „polyedrischen“ Wahrheit der Kirche nicht möglich, die eigenen Überlegungen zum Maßstab für eine gesamtkirchliche Entwicklung zu erklären. Die in sich zusammenfallenden Teilkirchen des Westens haben aus Sicht der wachsenden Gemeinschaften Afrikas oder Asiens keine Berechtigung, für sich eine dominierende Rolle zu beanspruchen. Zugleich bleibt es die römische Verpflichtung, Veränderungsbedürfnisse nicht zuerst als Ärgernis zu betrachten. Die Katholische Kirche muss wandlungsfähig bleiben. Für den Synodalen Weg sind also vor allem Besonnenheit und Klugheit gefordert und die Überzeugungskraft, mit angestrebten Reformen zum Dienst der kirchlichen Verkündigung beizutragen. Ein so geistlich getragener positiver und glaubensstarker Prozess darf sich als wichtiger und beispielgebender Beitrag für die ganze Kirche begreifen.
Beitragsbild: Blick auf die in Teilen zerstörte Abteikirche von Cluny (Frankreich)
[1] Heiliger Stuhl zeigt deutschem Synodalen Weg Grenzen auf – Vatican News
[2] Alle Dokumente unter: www.synodalerweg.de
[3] Statement der Präsidenten des Synodalen Weges zur Erklärung des Heiligen Stuhls: Der Synodale Weg (synodalerweg.de)
[4] Pottmeyer, Die Kirche als Mysterium und Institution, in: Concilium 22 (1986), 478.
[5] Evangelii Gaudium 273.