Schweigen und Hören

Mein Terminkalender weist bis zum Ende des nächsten Jahres schon eine Menge fest eingetragene Termine aus. Es handelt sich um „Tage der roten Stühle“, wie ich diese Daten für mich nenne. Die Bezeichnung kommt von den Besprechungsräumen im Ansgarhaus, dem Tagungshaus des Erzbistums Hamburg. Dort sind die Stühle rot bezogen. Bei den „Tagen der roten Stühle“ handelt es sich also um die verschiedenen Konferenzen, die sich gerne auch ganztägig ausdehnen können. Komme ich von einem dieser Tage nach Hause zurück, bin ich in der Regel müde und geschafft. Wie kann das sein? Gefühlt habe ich an einem solchen Tag ja nichts getan. Ich sitze auf meinem roten Stuhl, trinke Kaffee, mache mir ein paar Notizen. Meine Haupttätigkeit allerdings ist: Zuhören.

Wenn ich Berichten aus Managementratgebern trauen darf, ist meine Erschöpfung kein Zufall.[1] Das aktive Zuhören, so heißt es dort, ist eine fordernde und auch anstrengende Tätigkeit, bei der 25% Prozent des Gehirns aktiviert werden. Anders als beim Reden, das eher aktivierend und belebend wirkt, ermüdet das Zuhören. So gesehen hat Marta, die eine der beiden Schwestern, von denen das Evangelium (Lk 10,38-42) berichtet, keinesfalls die weniger anstrengende Aufgabe übernommen. Während ihre Schwester Marta die Versorgung des Gastes übernimmt, der zu ihnen zu Besuch gekommen ist, setzt sich Maria zu ihm und hört ihm zu.

Wirtschaftsminister Robert Habeck wurde diese Tage in einem Interview[2] gefragt, ob er lieber reden oder lieber zuhören würde. Habeck überlegte kurz und sagte, dass ihm die Wahl nicht so leicht fallen würde. Schließlich erlebe er sich mit dem neuen Amt in einer Rolle, in der von ihm ständig verlangt werde, zu reden und dann auch Entscheidungen zu treffen. Dabei müsse er aufpassen, dass das Zuhören nicht zu kurz komme. Eigentlich sei dieses die edlere Tätigkeit. Gute Entscheidungen könne man nur treffen, wenn man bereit sei, die Experten der Fachgebiete und die unterschiedlichen Ansätze zur Lösung eines Problems zu verstehen. Die gelinge nur durch genaues Zuhören.

Wenn das Hören also der Schlüssel zur Lösung sachlicher Fragen ist, wieviel mehr sollte es dann wichtig sein, wenn es um die wichtigen existentiellen Fragen meines Lebens geht? Wenn es also darum geht, die richtigen Entscheidungen für meinen Lebensweg zu treffen, zu einem gelingenden Leben zu gelangen, einen guten Umgang mit meinen Mitmenschen zu pflegen und selbst verständig und lebensklug zu werden. Die Ordensregel des Heiligen Benedikt beginnt daher mit den Worten[3]: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!“ Mit dem „Meister“ ist hier im Sinne des Evangeliums Christus gemeint. Der Mönch oder die Ordensschwester sollen zunächst Schweigende und Hörende sein, bevor sie etwas in die Tat umsetzen. Benedikt fährt fort: „So kehrst du durch die Mühe des Gehorsams zu dem zurück, den du durch die Trägheit des Ungehorsams verlassen hast.“ Ohne die Rückvergewisserung im Hören und den Willen, von Gott her Weisung empfangen zu wollen, besteht für Benedikt die Gefahr, sich in falscher Selbstsicherheit zu verrennen und Fehler zu machen. Das Wort „Gehorsam“ meint hier zunächst eine Rückbindung meines Lebens an den göttlichen Willen.

Für uns, die wir keine Ordensleute sind, klingt ein solches Wort vielleicht überfordernd oder zu anspruchsvoll. Wir leben nun einmal nicht in einem kontemplativen Kloster, haben meist auch keine Zeit für lange Zeiten der Stille oder des Gebets. In einem ganz alltagspraktischen Sinn lässt sich die Haltung des Hörens, die Haltung Martas aber, denke ich, doch in mein Leben übersetzen. Dafür könnte es drei Schritte geben:

1. Alle wichtigen Fragen in mein Gebet nehmen und Gott um eine gute Entscheidung bitten.

2. „Das Ohr des Herzens neigen“: Versuchen sich den Dingen mit möglichst großer Unvoreingenommenheit zu stellen. Nicht das, was mir als Lösung als erstes in den Sinn kommt, nicht einmal das, was mir spontan als erstrebenswert erscheint, muss richtig sein. Es gibt immer mehrere Lösungswege, die ich ohne sie gleich zu bewerten zunächst einmal nebeneinander stellen kann.

3. Schweigen, d.h. nicht gleich Partei ergreifen, sondern dem Reifen von Entscheidungen Zeit geben. Wenigstens die die berühmte „Nacht zum Drüber-Schlafen“ braucht es in wichtigen Fragen eigentlich immer.

Ich setze mich also symbolisch für eine Zeit auf den roten Stuhl oder im Bild des Evangeliums zu Füßen Jesu und höre und schweige und warte. Der Heilige Benedikt sagt am Ende seines Ordenslebens, dass das Kloster eine Schule für den Dienst des Herrn sein soll. In dieser Schule geht es um das Hören, Begreifen und Lernen. Ich vermute, dass die Schule des Lebens in diesem Sinne nie aufhören wird.


[1] https://karrierebibel.de/zuhoren-lernen/

[2] https://www.youtube.com/watch?v=ofqHlGjph1I

[3] http://benediktiner.benediktiner.de/index.php/die-ordensregel-des-hl-benedikt/regula-prolog.html?limitstart=0

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