Wie kann man Gott eine Wohnung geben? Nach der Wanderung durch die Wüste war das Volk Israel im gelobten Land angekommen. In dieser Zeit führten die Israeliten das Offenbarungszelt mit sich, ein mobiles Heiligtum, in dessen Mitte die Bundeslade, der symbolische Thronsitz Gottes stand. Nach vielen Kriegen und Kämpfen war nun mit der Zeit unter den Königen Saul und David ein eigener Staat entstanden. Israel war zu einer Nation geworden. Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins sollte eine neue Wohnstätte für Gott sein, ein angemessenes repräsentatives Haus, das fortan die zentrale Stätte für die Anbetung und den Lobpreis Gottes werden sollte. Schon David hatte sich mit den Plänen zum Bau des neuen Tempels in Jerusalem befasst, aber erst sein Nachfolger Salomo sollte ihn ausführen. Er engagierte die besten Baumeister und Künstler und ließ ein Gebäude errichten, dass an Pracht und Größe in Israel einmalig war. Würde Gott aber dieses neue Haus gefallen? Verschiedene Stellen in der Bibel berichten von der Weihe des neuen Tempels. Das 2. Buch der Chronik (2 Chr 5) schildert dieses Ereignis so: Salomo versammelt die Vorsteher und Ältesten der Stämme Israels. In einem großen Festzug ziehen sie von der Burg Zion, der sogenannten Davidstadt südlich des Tempelbergs zum neuen Heiligtum. Die Leviten tragen die Bundeslade, aber auch das Offenbarungszelt und dessen Ausstattung zum Tempel. Während dort Opfer dargebracht werden, bekommt die Lade ihren neuen Platz im sogenannten Allerheiligsten, dem Mittelpunkt des Gotteshauses. In der Lade befinden sich die Gesetzestafeln, die Israel vom Gottesberg Horeb mitgebracht hatte. Nachdem das geschehen ist, ziehen die Priester und Leviten auf den Platz vor dem Allerheiligsten und stimmen den großen Lobgesang an. Und nun kommt der entscheidende Moment. Gott reagiert auf ihre Einladung in sein neues Haus. In der Wolke verhüllt erfüllt er das ganze Areal mit seiner Gegenwart. Gott ist im Tempel eingezogen.
Von einer solchen prachtvollen Liturgie ist ein heutiges Kirchweihfest weit entfernt. Der Ritus der Kirchweihe erinnert nur noch an einigen Stellen daran. Auch eine Kirche soll ein Haus Gottes sein, ein Wohn- und Begegnungsort zwischen ihm und den Menschen. Bei einer Kirchweihe wird nach der Weihe des Altars die Kirche mit Weihrauch erfüllt. Der Rauch steht für die Gebete und Gaben des Gottesvolkes, aber zugleich erinnert er an die Wolke, unter der sich die Herrlichkeit Gottes verbirgt. Der Rauch zeigt an: Hier ist Gott zu finden. Daher werden in der Heiligen Messe die Orte göttlicher Gegenwart durch den Rauch identifiziert, die Eucharistie zum Beispiel und das Evangelium. Der Kirchweiheritus weist aber auf eine wichtige Akzentverschiebung. In der Weihe einer Kirche geht es nie allein um das Gebäude. In den liturgischen Anweisungen heißt es: „Die Beräucherung des Kirchenraumes bedeutet, dass dieser durch die Weihe zum Haus des Gebetes wird. Vor allem aber wird das Volk Gottes beräuchert. Denn es ist der lebendige Tempel Gottes, und jeder Gläubige ist ein geistiger Altar.“[1]
Wo also ist Gottes Wohnung? In Berlin habe ich in der Nationalgalerie ein interessantes Bild gesehen. Der Maler Fritz von Uhde zeigte auf ihm eine dunkle Bauernstube. Unter einer schwarz verrauchten Holzdecke hängt eine Öllampe. Das Licht fällt durch ein kleines Fenster im Hintergrund auf den Lehmboden. Die Tür zum Raum ist leicht angelehnt. Eine Bauernfamilie hat sich in der alltäglichen Arbeitskleidung um einen runden Tisch versammelt. Die Bäuerin trägt gerade eine Suppenschüssel auf den Tisch. Die Kinder, eine Magd und ein Knecht stehen hinter ihren Stühlen. Der Bauer selbst hat sich von seinem Platz aus umgewandt. Auch seine Frau wendet den Kopf scheinbar erstaunt nach links. Ihr gemeinsamer Blick fällt auf eine große Gestalt in blauem Gewand, die offenbar unvermittelt in den Raum getreten ist. Das Bild heißt „Das Tischgebet“ und der Untertitel: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast“. Dieses Gebet ist ja eine Einladung an Jesus, am eigenen Tisch Platz zu nehmen. Das Bild illustriert den Moment, an dem Christus dieser Einladung folgt. Im Grunde geschieht hier nichts anderes als bei der prächtigen Tempelweihe. Es wird ein Ort bereitet, an dem Gott Wohnung nehmen soll. Allerdings ist dieser Ort ungleich bescheidener als der Tempel. Es ist der Ort des Alltags. Ein unwürdiger Ort? Es steht uns nicht zu, Gott vorzuschreiben, an welchem Ort er sich aufhalten möchte. Wir müssen zugeben, dass angesichts seiner Größe jeder menschliche Ort für ihn unwürdig ist. Und trotzdem kommt er dorthin, wohin man ihn einlädt. Das Kirchweihfest ist also nur zum Teil ein Fest in Erinnerung an ein bestimmtes Gebäude. Es ist vielmehr auch eine Erinnerung daran, Gott einzuladen, als Einzelner und als Gemeinschaft des Gottesvolkes. Wenn es stimmt, was der Kirchweihritus sagt, ist jede / jeder Mensch „ein geistiger Altar“, also ein Ort, an dem Gott Wohnung nehmen kann. Das Evangelium vom Zöllner Zachäus zeigt gerade das: Es gibt keinen Ort, der Gottes unwürdig wäre, kein Haus, dass ihm zu schmutzig oder unbedeutend ist. Im Gegenteil: Dort wo er Gastfreundschaft findet möchte er einkehren. Und die Einkehr wird für den Gastgeber zur Umkehr, zum Ort der Erneuerung seiner Freundschaft zu Gott
[1] Die Feier der Kirchweihe, Pastorale Einführung Nr. 16.