Die steigenden Corona-Fallzahlen der letzten Wochen verbunden mit den politischen Ankündigungen auf weitere mögliche Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben lassen derzeit eine begründete Vermutung grassieren, die nicht wenigen ein Schreckgespenst ist: Wie sollen wir dieses Jahr Weihnachten feiern? Tatsächlich gibt es wenig Grund zur Annahme, dass sich das herrschende Regelwerk virusbedingter Hygienemaßnahmen in den nächsten Monaten entscheidend verändern könnte. Auch wer darauf setzt, dass Ministerpräsidenten oder Landrätinnen in einem Anflug vorweihnachtlicher Milde Sonderregeln für das Fest ansetzen werden, wird wahrscheinlich enttäuscht. Die Wahrheit ist: Wir müssen umdisponieren. Wer will schon in vollbesetzten Innenstädten an verkaufsfreien Adventssonntagen auf Geschenkejagd gehen, sich auf möglicherweise nicht stattfindenden Weihnachtsmärkten dicht an dicht gedrängt durch die Masse schieben oder betriebliche Weihnachtsfeiern im glühweinerheiterten Zustand in behaglichen, aber stickigen Gasträumen feiern? Das alles ist noch zu verschmerzen. Schwieriger wird es sicher, wenn das gewohnte Besuchsprogramm über die Festtage nicht stattfinden kann oder die geplanten Reisen in zu dieser Zeit immer überfüllten Zügen nun noch dank Maskenpflicht zur ultimativen Tortur zu werden drohen. Kein Weihnachtsmärchen im Theater, keine Schulaufführungen, keine Senioren-Adventsfeier, keine Weihnachtskonzerte, kein Skiurlaub. Es könnte eine ruhige Advents- und Weihnachtszeit werden. Sie ahnen, dass ich durchaus Sympathien dafür habe, auch wenn ich sehr ernstgemeint aber auch pflichtbewusst meinen Sorgen über die wirtschaftlichen Folgen Ausdruck verleihe und die großen und kleinen „Kulturschaffenden“ (was für ein technischer Begriff für „Singen“, „Musizieren“ oder „Theater spielen“) bedauere, die in der Adventszeit ihr Können unter Beweis stellen wollten. Zugleich verspricht das Corona-Weihnachten aber auch eine Entlastung vom sonstigen weihnachtlichen „overkill“, der einem leicht durch völlige Übersättigung und Überlastung mit Terminen die Freude am Fest bis zum Heiligabend häufig schon genommen hat.
Auch in kirchlichen Kreisen ist das Thema angekommen. Vor drei Wochen bekam ich den Anruf einer Journalistin, die an einem Bericht arbeitete, in dem sie schildern wollte, was die Kirchen jetzt für Weihnachten planen würden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Thema noch gar nicht auf der Liste. Das hat sich jetzt geändert. Langsam steigt die Betriebsamkeit in den Gemeinden. Könnte es ein Weihnachten ohne Gottesdienste geben? Wäre es möglich, dass nach einem liturgiefreien Ostern nun auch ein liturgiefreies Weihnachtsfest droht? Im Falle des letztgenannten Festes ist dies insbesondere in den evangelischen Gemeinden unvorstellbar. Konnte man, so ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, Ostern noch insofern verschmerzen, als dass es eher ein innerkirchliches Fest (wenn auch das wichtigste des Jahres) ist, so ist Weihnachten schließlich ein deutsches Kulturgut und damit auch Anziehungs- und teilweise einziger kirchlicher Berührungspunkt für viele Christen, die sonst wenig mit dem kirchlichen Leben in Berührung kommen. Doch wovon reden wir, wenn wir „Weihnachten“ sagen? Eigentlich geht es nur um eine Frage, nämlich die, was am Heiligen Abend passiert. Es scheint klar zu sein, dass die übliche Festfolge mit Krippenspielen, Andachten und Familienmessen in der Zeit zwischen 14 und 19 Uhr so in dieser Form nicht stattfinden kann. Diese Gottesdienste führen die Kirchgebäude regelmäßig an ihre Kapazitätsgrenzen. Solange die Kirchen aufgrund der Abstandsregeln allerdings nur 25-30% der gewohnten Plätze zur Verfügung haben, ist es selbst mit einer Verdoppelung der Gottesdienste nicht getan, auch dort wo dies dank ausreichender Ressourcen bei GottesdienstleiterInnen, Ehrenamtlichen, Krippenspielkindern und der Kirchenmusik möglich wäre. Die meisten Pfarreien schöpfen am Heiligen Abend ihre Möglichkeiten ohnehin voll aus. Von der Not, Organisten für den Heiligen Abend zu finden, weiß jeder Pfarrer wahrscheinlich zu berichten. Alternativen sind nicht leicht zu finden. Sollte es ein Anmeldesystem für die Gottesdienste geben, um die Teilnehmerzahl zu regulieren? Dann wären gerade wieder die im Vorteil, die regelmäßig die gemeindlichen Nachrichten und Ankündigungen studieren. Wer möchte aber gerade am Heiligabend Familien an der Kirchentür abweisen? Also könnten open-air-Gottesdienste eine Lösung sein. Sie würden zudem gemeinsames Singen, das in vielen Bistümern noch untersagt ist, in gewissem Umfang ermöglichen. Aber auch hier gibt es Schwierigkeiten. Ein Gottesdienst im leichten Schneefall unter dem Schein festlich beleuchteter Weihnachtsbäume ist manchen sicher eine romantische Vorstellung. Die Wirklichkeit sah aber in den vergangenen Jahren meist anders aus. Sie trieb die Menschen am Heiligabend bei starkem Wind und Nieselregen durch die Straßen.
Betrachtet man die Frage aus theoretischer Sicht, gibt es eigentlich kein großes Problem. Das Weihnachtsfest ist am 25. Dezember. Seit der Spätantike gab es in Rom den Brauch, das Fest mit einer Heiligen Messe in der Nacht zu beginnen, eine weitere am frühen Morgen zu feiern und schließlich das Hochamt am Vormittag. So erhielt der Vorabend eine bestimmte Bedeutung. Der 24. ist der letzte Tag der Adventszeit und somit ein Fasttag. Dieser Brauch hat sich in einigen katholisch geprägten Ländern wie etwa in Polen noch erhalten, wenn am Heiligabend fleischlose Speisen gereicht werden. Die Weihnachtsfeierlichkeiten begannen mit dem Besuch der Christmette, die traditionell um 24 Uhr gefeiert wurde. In der protestantischen Tradition spielt der Heiligabend dagegen eine ungleich höhere Rolle. Dort entwickelte sich der Brauch der Christvesper am frühen Abend, in der bereits der Weihnachtsbericht aus dem Lukasevangelium gelesen wurde. Anschließend begann das Weihnachtsfest im häuslichen Kreis, dann auch mit der Bescherung, nachdem man dem katholischen Brauch, Geschenke am Fest des Heiligen Nikolaus zu überreichen, aus Gründen der abgelehnten Heiligenverehrung nicht mehr folgen wollte. Diese Form der Heiligabendfeiern hat sich in Deutschland durchgesetzt. Auch die katholischen Gemeinden begannen, die Christmette immer weiter vorzuziehen und führten aus seelsorglichen Gründen Krippenfeiern und Familiengottesdienste ein, die heute teilweise schon vor Einbruch der Dunkelheit beginnen. Es ist vielleicht angesichts von „Corona“ in diesem Jahr die Möglichkeit, auf die katholische Festtradition wieder hinzuweisen und zur Teilnahme an den besuchermäßig schwächelnden Christmetten zu ermutigen, vor allem aber zum Besuch der Heiligen Messen am Festtag selber. Warum sollte es nicht möglich sein, am 25. oder auch 26. Dezember ebenfalls Familiengottesdienste oder auch Krippenspiele anzubieten und so das Weihnachtsfest von seiner Konzentration auf den 24.12. wieder zu entlasten? Das Weihnachtsfest selbst dauert ohnehin bis zum 1. Januar, die Weihnachtszeit noch zwei bis drei Wochen länger. Das könnte man für die Familienbesuche im Übrigen auch berücksichtigen. Für den Heiligen Abend halte ich es durchaus für denkbar, in erster Linie kleine Andachtsformen zu fördern, den Besuch der Heiligen Messe aber erst ab der Nacht vorzusehen. Zu den kleinen Andachtsformen gehören in bester Weise häusliche Formen. Eine Andacht in der Familie zu feiern, ein paar Lieder zu singen und das Evangelium zu lesen, ist eigentlich nicht schwer. Schön wäre es, wenn zudem Zeit für das persönliche Gebet wäre, so dass man Verwandte, Freunde, aber auch Notleidenden und Kranken auf diese Weise in den eigenen vier Wänden ein zu Hause gibt. Zudem wäre der Gang in die Kirche ebenfalls möglich. Kirchen könnten Stationen für die private Andacht gestalten, die Krippe besonders herausstellen, evt. persönliche Segnungen anbieten.
Wie Weihnachten dieses Jahr wird, ist also noch ziemlich offen. Ich glaube, es wäre gut, ein alternatives Weihnachten zu planen, dass vielleicht auch dabei helfen könnte, aus den gewohnten Routinen herauszukommen um das Fest wieder neu für sich zu erschließen. Für die Kirchen wird es unterschiedliche Lösungen geben, die sich unterschiedlich bewähren können. Für die Diskussion der nächsten Wochen wünsche ich mir aber vor allem eins: Gelassenheit.