Wieder einmal ist es eine Äußerungen Papst Benedikts, die in den deutschen Medien für Unruhe sorgt. Gemeinsam mit Kurienkardinal Robert Sarah hat der emeritierte Papst ein Buch vorgelegt in dem er unter anderem für Priester die Verpflichtung zum Zölibat bestätigt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellt daher der Autor Matthias Rüb die Frage, ob Benedikt Papst Franziskus damit den Rücken gefallen sei.[1] Nach Meinung des Autors sei es doch klar, dass Franziskus auf die Aufhebung des Zölibats hinarbeite. Dies könne man unter anderem daraus schließen, dass der Papst das Abschlussdokument der Amazonassynode hatte passieren lassen. In diesem Dokument wird unter Nummer 111 die Möglichkeit erwogen, bewährte verheiratete Männer aus der Reihe der ständigen Diakone zu Priestern zu weihen, oder sie zumindest mit der Vorsteherrolle bei der Eucharistie zu betrauen. Allerdings, so gibt es Rüb in seinem Artikel zu, sei noch nicht klar, wie sich Papst Franziskus abschließend zu diesem Vorschlag äußern werde. Schließlich liege die abschließende apostolische Konstitution nach der Synode noch nicht vor.
Es ist also noch ungewiss, ob Franziskus einer Aufhebung des Zölibat ist in ganz bestimmten Fällen zustimmen wird oder nicht. Es könnte zumindest sein, dass in abgelegenen Regionen wie dem Amazonasgebiet, wo nur selten Priester die Gemeinden besuchen können, um die Messe zu feiern, Ausnahmen erlaubt werden. Sicherlich ist der Zölibat anders als andere „heiße Themen“ in der Kirche keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der kirchlichen Disziplin und des kirchlichen Rechtes. Ein solcher Schritt wäre eine wirkliche Neuerung. Bislang hatte es Ausnahmen vom Zölibatsversprechen nur dort gegeben, wo Priester in einem anderen Ritus, etwa dem einer mit Rom unierten Ostkirche beheimatet waren, oder aus einer anderen Konfession in die katholische Kirche übergetreten sind. In diesen speziellen Fällen galt die Zölibatsverpflichtung für diese Priester nicht. Mit der Möglichkeit, verheiratete katholische Männer zu Priestern zu weihen, beträte man tatsächlich Neuland.
Papst Benedikt hat nun offensichtlich noch einmal die enge Verbindung von Priestertum und Zölibat bekräftigt. Dies ist an sich nichts Neues. Vor Benedikt haben auch seine Vorgänger Johannes Paul II. oder Paul VI. diese Verbindung bestätigt. An eine Aufhebung des Zölibatsversprechens war somit nicht zu denken. Wird das jetzt anders? Die deutsche Presse ist sich scheinbar sicher: Franziskus möchte den Zölibat abschaffen. Gerne kostet sie daher den vermeintlichen Widerspruch zwischen den Positionen von Benedikt und Franziskus aus. Der Stern titelte, Benedikt sei Franziskus in die Parade gefahren.[2] Daniel Deckers sieht in der FAZ sogar „den Geist der Kirchenspaltung“ am Werk.[3] Diese Sorge wäre sicher begründet, wenn es in der Sache tatsächlich einen Widerspruch gäbe. Die große Frage ist: denkt Franziskus hier wirklich anders? Noch am 13.01., dem Tag der Veröffentlichung der ersten Auszüge des Benedikt-Buches, bekräftigte das vatikanische Presseamt, dass Franziskus selbstverständlich an der Beibehaltung des Zölibats festhalte, lediglich darüber nachdenke, in bestimmten Ausnahmesituationen eine Lockerung zuzulassen.[4] Es dürfte also weniger um den Streit um unterschiedliche Positionen gehen. Wie Benedikt jetzt verlauten ließ, sei er mit der Veröffentlichung seiner Gedanken im Rahmen eines Buches von Kardinal Sarah gar nicht einverstanden gewesen. Es sieht vielmehr so aus, als habe der Kardinal seinen eigenen Beitrag zur Debatte um die Kirche mit Benedikts Autorität untermauern wollen. Hier liegt tatsächlich der Verdacht nahe, Sarah habe nicht nur seine Meinung und Argumente äußern, sondern den Papst in seiner Handlungsfreiheit einschränken wollen, indem er bestimmte Spielräume beim Thema „Zölibat“ für unzulässig erklärt. Allerdings liegt die Lehrentscheidung beim Papst, nicht bei den Leitern seiner Behörden. Papst Franziskus hat bislang gezeigt, dass er einen Meinungspluralismus in Streitfragen gut aushalten kann. Zudem ist mittlerweile (am 19.01.) die fragliche von Bendikt verfasste Passage veröffentlicht worden – auf Deutsch in der „Tagespost“. Wie nun für alle sichtbar ist, handelt es sich um einen kurzen theologiegeschichtlichen Abriss zum Priestertum und um eine ausgewogene Darstellung der Diskussion um die Aktualität des Zölibats – kein Angriff auf Papst Franziskus, kein Wort zur Amazonassynode.
Was allerdings hat nun Papst Franziskus vor? Tatsächlich ist nur relativ wenig über seine Meinung zur Frage des Zölibats bekannt. Die wenigen Belege zu päpstlichen Äußerungen geben kein wirkliches Bild eines Papstes, für den die Abschaffung des Zölibates ein besonderes Anliegen wäre. In den offiziellen Verlautbarungen findet sich lediglich ein Absatz in „Amoris laetitia“ 159, in dem Franziskus so etwas wie eine geistliche Vergewisserung der Ehelosigkeit darbietet:
Die Jungfräulichkeit ist eine Form des Liebens. Als Zeichen erinnert sie uns an die vorrangige Bedeutsamkeit des Gottesreiches, an die Dringlichkeit, sich vorbehaltlos dem Dienst der Verkündigung zu widmen (vgl. 1 Kor 7,32). Zugleich ist sie ein Abglanz der Fülle des Himmels, wo » die Menschen nicht mehr heiraten [werden] « (Mt 22,30). Der heilige Paulus empfahl sie, weil er die baldige Wiederkunft Jesu Christi erwartete und wollte, dass alle sich nur auf die Verkündigung des Evangeliums konzentrierten: » Die Zeit ist kurz « (1 Kor 7,29). Trotzdem stellte er klar, dass es eine persönliche Wahl oder sein eigener Wunsch war (vgl. 1 Kor 7,6-8) und nicht ein Gebot Christi: » Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn « (1 Kor 7,25). Zugleich erkannte er den Wert der verschiedenen Berufungen an: » Jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so « (1 Kor 7,7). In diesem Sinn sagte der heilige Johannes Paul II. in Bezug auf die sexuelle Enthaltsamkeit, dass die biblischen Texte » weder einen Grund dafür [liefern], die „Minderwertigkeit“ der Ehe zu behaupten, noch dafür, die „Überlegenheit“ der Jungfräulichkeit bzw. des Zölibats zu vertreten «[166]. Anstatt von der Überlegenheit der Jungfräulichkeit in jeder Hinsicht zu sprechen, scheint es vielmehr angebracht, zu zeigen, dass die verschiedenen Lebensstände sich ergänzen, so dass einer in einer Hinsicht und ein anderer unter einem anderen Gesichtspunkt vollkommener sein kann.
Allerdings geht es an dieser Stelle nicht um die Diskussion des priesterlichen Amtes, sondern um die Frage der christlichen Nachfolge. Franziskus weist in der Folge (in Einklang mit seinen Vorgängern) die Vorstellung von der Überlegenheit der ehelosen Nachfolge gegenüber der Ehe zurück. Auf die Verbindlichkeit der Zölibatsverpflichtung geht Franziskus offenbar nur im Rahmen von zwei Pressekonferenzen ein. 2014 sagt er bei einer Konferenz nach dem Besuch beim ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel:
Denn das Zölibat ist kein Glaubensdogma, es ist eine Lebensregel, die ich sehr schätze, und ich glaube, es ist ein Geschenk für die Kirche. Da es kein Glaubensdogma ist, ist die Tür immer offen. In diesem Moment haben wir nicht darüber gesprochen, als Programm, wenigstens für jetzt. Wir haben Bedeutenderes in Angriff zu nehmen.[5]
Franziskus lässt also auf der einen Seite keinen Zweifel an der Gültigkeit des Zölibats, stellt auf der anderen fest, dass die Zölibatsverpflichtung veränderbar ist. Dies ist nichts anderes als die geltende römische Auslegung. Schon das II. Vatikanische Konzil hatte über die Zölibatsverpflichtung für Priester diskutiert und über eine Abschaffung abgestimmt, diese dann aber mehrheitlich abgelehnt. Die Päpste in der Folge des Konzils hatten dies als verpflichtende Norm bestätigt. Neu ist bei Franziskus allenfalls, dass er zugesteht, die Zölibatsverpflichtung immer wieder zu überdenken. Dies ist im Kontext seines Denkens, in dem Theologie eine beständige Reflexion der Praxis und der Lebenswirklichkeit voraussetzt, durchaus konsequent. Insofern zieht Franziskus in Betracht, dass bestimmte Kontexte zugunsten der Evangelisierung eine neue Antwort auf bestimmte Fragen der Kirche brauchen. Dies macht er in einer Pressekonferenz auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Panama deutlich. Franziskus sagt damals:
Mir kommt der Satz des heiligen Paul VI. in den Sinn: „Ich gebe lieber mein Leben, als das Zölibatsgesetz zu ändern.“ Das kam mir in den Sinn, und ich möchte es sagen, denn das ist ein mutiger Satz, in einer schwierigeren Zeit als dieser, die Jahre um 1968/70 herum … Ich persönlich meine, dass der Zölibat ein Geschenk für die Kirche ist. Zweitens bin ich nicht damit einverstanden, den optionalen Zölibat zu erlauben, nein. Nur für die entlegensten Orte bliebe manche Möglichkeit – ich denke an die Pazifikinseln … Aber es ist eine Sache, dass man darüber nachdenkt, wenn es dort pastorale Notwendigkeit gibt; der Hirte muss an die Gläubigen denken. Es gibt ein Buch von Pater Lobinger [Bischof Fritz Lobinger, Preti per domani (Priester für Morgen), Emi, 2009], das ist interessant – das ist etwas, das unter Theologen diskutiert wird, es gibt keine Entscheidung von meiner Seite. Meine Entscheidung ist: kein optionaler Zölibat vor dem Diakonat, nein. Das ist meine persönliche Einstellung, ich werde es nicht tun, das bleibt klar. Bin ich hier ein „verschlossener“ Typ? Vielleicht. Aber ich verspüre nicht den Mut, mich mit dieser Entscheidung vor Gott zu stellen. Zurück zu Bischof Lobinger; er sagte: „Die Kirche macht die Eucharistie, und die Eucharistie macht die Kirche.“ Aber wo es keine Eucharistie gibt, in den Gemeinden“ […] Lobinger sagt: Wer macht die Eucharistie? In diesen Gemeinschaften sind die „Leiter“, sozusagen, sind die Organisatoren dieser Gemeinschaften Diakone oder Nonnen oder Laien, unmittelbar. Und Lobinger sagt: Man kann einen älteren Mann weihen, der verheiratet ist, – das ist seine These – man könnte einen älteren, verheirateten Mann weihen, aber nur, damit er das munus sanctificandi ausübt, das heißt, damit er die Messe feiert, das Bußsakrament verwaltet und die Krankensalbung spendet. Die Priesterweihe verleiht die drei munera: regendi – leiten, der Hirte –, docendi – lehren – und sanctificandi. Das verleiht die Weihe. Der Bischof würde nur die Fakultät für das munus sanctificandi erteilen: das ist die These. Das Buch ist interessant. Vielleicht hilft es, über das Problem nachzudenken. Ich meine, das Problem muss in diesem Sinne angepackt werden, wo es ein pastorales Problem wegen Priestermangel gibt. Ich sage nicht, dass es getan werden muss, denn ich habe nicht genug darüber nachgedacht, nicht genug darüber gebetet.[6]
Das ausführliche Zitat aus dem Jahr 2019 macht, denke ich die Haltung des Papstes deutlich. Eine flächendeckende Veränderung der Voraussetzungen für das kirchliche Amt ist nicht zu erwarten. Papst Franziskus plant keine „kleine Revolution“ oder etwas ähnliches. Erstaunlich dürfte für manchen Leser vielleicht sein, wie deutlich der Papst sagt, er werde die Zölibatsverpflichtung nicht abschaffen. Insofern ist es schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit offenbar Teile der deutschen Presse das Gegenteil erwarten. Es bleibt abzuwarten, ob die päpstliche Verlautbarung als Abschluss der Amazonassynode Veränderungen bringen wird. Hier wäre es dem Papst tatsächlich zuzutrauen, die Forderungen der Synode nach der begrenzten Möglichkeit der Weihe verheirateter Männer zu erfüllen. Dann könnte man schauen, ob sich aus dieser Entscheidung wirklich ein Dissens mit Benedikt XVI. ergeben würde. Noch ist der Dissens in dieser Frage nicht mehr als eine flotte Schlagzeile.
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/papst-benedikt-widerspricht-im-fall-zoelibat-papst-franziskus-16578569.html
[2] https://www.stern.de/panorama/weltgeschehen/ende-des-zoelibats–frueherer-papst-benedikt-faehrt-papst-franziskus-in-die-parade-9084580.html
[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/papst-benedikt-und-franziskus-der-geist-der-kirchenspaltung-16578537.html
[4] https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2020-01/zoelibat-papst-franziskus-benedikt-xvi-buch-robert-sarah-prieste.html
[5] Pressekonferenz am 26. Mai 2014, Text auf vatican.va.
[6] Pressekonferenz am 27. Januar 2019, Text auf vatican.va
Hervorragend, wie Immer.
Danke!
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