Arma Christi [zur Karwoche]

In den letzten Monaten ist viel über Waffen gesprochen worden. Der Krieg, auch in Europa, ist weiter leider grausame Realität. Längst ist eine neue Aufrüstung im Gang. Aktienkurse von Rüstungsunternehmen haben sich teilweise um das Zehnfache gesteigert. Waffen haben Konjunktur. Sie dienen zur Abschreckung und Verteidigung – so heißt es. Damit rückt in den Hintergrund, dass Waffen vor allem dazu gemacht sind, zu zerstören, zu verletzen und zu töten. Viele schauen daher mit Sorge auf die derzeitige Entwicklung. Das Aufrüsten im großen Stil wirkt bedrohlich. Ob es politisch notwendig ist oder, will ich nicht beurteilen. Dass mir die neue Waffenbegeisterung Unbehagen bereitet, will ich nicht verschweigen.

Arma Christi -Detail

Es war ein Zufall, der mich in der Vorbereitung der Kartage auf das Thema „Waffen“ stieß. In einem Museum stand ich vor einem Gemälde des 15. Jahrhunderts. Es stammte von einem italienischen Maler. Zu sehen war der Christus der Passion. Er trägt die Dornenkrone auf dem zur Seite geneigten Kopf. Die Augen sind geschlossen. Aus den Wunden Jesu tropft Blut. Die Hände trägt er über Kreuz, als wären sie gebunden, so dass sie sich an den Handgelenken treffen. In diesem Bild ist die ganze Passion zu sehen. Es ist ein Ausdruck des Leidenden, eine Kurzversion der ganzen Passion. Denn um den Körper Jesu herum gruppieren sich die Szenen und Gegenstände der Leidensgeschichte: Das Kreuz, die Geißelsäule, die Geißel, die Lanze, der Stock, mit dem Jesus auf den Kopf geschlagen wird, die Nägel, der Essigschwamm, der Hahn, der den Verrat des Petrus anzeigt, die Silberlinge des Judas, die Schüssel, in der Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht und vieles mehr. Das Bild trug den Titel „Arma Christi“ – die Waffen Christi. Dieser Bildtypus wird in der frühen Neuzeit häufig gemalt. Er vergegenwärtigt die ganze Passion auf einen Blick. Alle Ereignisse des Leidensweges werden simultan wahrnehmbar, ohne dass ihre zeitliche Abfolge deutlich würde. Es ist das ganze Leiden, immer gegenwärtig und (auf den Betrachter bezogen) immer wiederholbar.[1]

Reliquiar eines Nagels vom Kreuz Jesu (Santa Croce, Rom)

Es gibt in der christlichen Geschichte eine lange Tradition der „Heiligen Marterwerkzeuge“. Sie bildeten eine direkte Verbindung des Gläubigen zum Passionsgeschehen. Das eigene Leiden wurde mit diesen sichtbaren Zeugnissen des Leidens Christi verbunden. Die in ihnen zugleich ausgesagt Verheißung der Überwindung und Erlösung wurde ebenso auf die eigene Existenz bezogen. Seit Helena, die Mutter Kaiser Konstantins im 4. Jahrhundert das Kreuz und eine Menge anderer Passionsreliquien von ihrer Jerusalemwallfahrt nach Europa bringen ließ, wurden diese Gegenstände hoch verehrt. Neben den an vielen Orten aufbewahrten Partikeln des Jesuskreuzes zogen auch die anderen Leidenswerkzeuge die Pilger in Scharen an: Die Dornenkrone, die in Paris aufbewahrt wurde, die Kreuzestafel in Santa Croce in Rom, die Geißelsäule in Santa Prassede (ebenfalls Rom), die „Heilige Lanze“ in Wien oder natürlich das Grabtuch von Turin. Auch der Schweriner Dom wurde durch eine französische Schenkung eines Dorns der Dornenkrone und eines Steines, der einen Tropfen des Blutes Christi eingeschlossen hatte, im Mittelalter zu einer wichtigen Pilgerstätte. Auf der Engelsbrücke in Rom halten die Figuren die Reliquien in ihren Händen. Von Engeln getragen zeigen sie sie ihren religiösen Wert an und weisen zugleich auf die erlöste Wirklichkeit des Leidens Jesu hin. Hier zumindest ist kein Schmerz mehr zu finden.

Engelsbrücke – Engel mit der Heiligen Lanze

Während die hohe mittelalterliche Theologie einen eher theoretischen Blick auf das Leiden Jesu warf und sich mit Fragen auseinandersetze, warum Jesus etwa den Tod am Kreuz gewählt hat und keinen anderen und auf welche Art mein sein Leiden verstehen kann (litt etwa nur der Mensch Christus oder auch Gott?)[2], nahm sich die Volksfrömmigkeit intensiv der Betrachtung des Leidens an. In England entstand im 13. Jahrhundert ein Gebets- und Betrachtungstext mit dem Titel „Arma Christi“, der die Passion anhand der Leidenswerkzeuge geistlich erschloss. Der Text ist heute in 15 prachtvollen Manuskriptrollen erhalten und beschrieb das Leiden als Meditation. Möglicherweise diente er als Vorbereitung auf die Beichte.[3] Ein Beispiel für die spätmittelalterliche Passionsmystik liefert u.a. die Heilige Juliana von Norwich (1342-1413). In ihren Leidensbetrachtungen wird das Geschehen in aller Drastik geschildert. Bei der Betrachtung der Dornenkrone etwa heißt es:

„Am Anfang, als das Fleisch noch frisch und blutig war, weiteten sich die Wunden durch den ständigen Druck der Dornen. Und ich sah, wie die süße Haut und das zarte Fleisch mit dem Haar und dem Blut von den Dornen hochgehoben und oben gelöst und in viele Stücke zerbrochen wurden und herabhingen, als würden sie schnell abfallen, solange sie noch feucht waren. Wie das geschah, verstand ich nicht, aber ich begriff, dass es die scharfen Dornen und der heftige, schwere Druck der Krone waren, unerbittlich und ohne Erbarmen, der die süße Haut mit dem Fleisch zerriss und das Haar vom Knochen löste. Dadurch wurde es wie ein Tuch in Stücke gerissen und hing herab, als würde es wegen der Schwere und Lockerheit schnell abfallen. Und das war mir ein großer Kummer und eine große Furcht, denn ich dachte, ich wollte es um mein Leben nicht fallen sehen.“

Diese Form der frommen Passionsbetrachtung lebte über die Jahrhunderte weiter fort und fand im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt in den vielgelesenen Visionen der Seherin Anna Katharina Emmerick aus dem Jahr 1833, die zur Grundlage für Mel Gibsons Film „The Passion“ (2004) wurden. Bei Emmerick wird etwa die Geißelung Jesu beschrieben:

„Das zweite Paar der Geißelknechte fiel nun mit neuer Wut über Jesus her, sie hatten eine andere Art von Ruten, welche kraus, wie von Dornen waren und in denen hier und da Knöpfe und Spornen befestigt erschienen. Unter ihren wütenden Schlägen zerrissen alle die Schwielen seines heiligen Leibes, sein Blut spritzte in einem Kreise umher, die Arme der Henker waren davon besprengt. Jesus jammerte und betete und zuckte in seiner Qual[4]

Emmericks Visionen ergehen sich ausführlich in der Schilderung der Qualen. Die Schilderung der Geißelung nimmt ein ganzes Kapitel ein.

Heinrich Campendonck- Arma Christi, Kirchenfenster in Penzberg

Wie betrachten wir heute ein Bild wie die „Arma Christi“? Die drastischen Texte und Bilder vergangener Zeiten wirken doch eher fremd und abschreckend. Wie sie sind schließlich auch die öffentlich vollzogene Züchtigung, Folter oder Hinrichtung verschwunden. Die geschilderten Schmerzen standen auf diese Weise den Menschen bis ins 19. Jahrhundert noch sichtbar vor Augen. Allerdings sehen wir sie heute in anderer Form immer noch in den Berichten der Kriege und Foltergefängnisse, in den Zeugnissen der Konzentrationslager und Gedenkorte. Das Leiden als solches ist nicht verschwunden. Die „Arma Christi“ nehmen eine Umkehr der Perspektive vor. Hier wird nicht der Soldat, der Feldherr oder Henker in der Anwendung der Waffen gezeigt, sondern das Opfer. Die Waffen Christi illustrieren seine Erniedrigung, Folterung und Hinrichtung. Christus wird so zur Identifikationsfigur derer, die solches erleiden müssen, zum Träger der Schmerzen. Gleichzeitig ist „Arma Christi“ ein paradoxer Titel. Die wahren „Waffen“ werden nicht gezeigt, die Demut, die Geduld, das Ertragen, vor allem aber die Liebe zur Überwindung und Auflösung der Gewalt, die bereits im Leiden Jesu als Hoffnungsperspektive angelegt ist. Wer heute von Waffen spricht, sollte ihre Opfer daneben stellen und selbst abwägen. Die Drastik der Darstellung wird ähnlich sein.

Beitragsbild: Arma Christi, Unbekannter Maler, Perugia ca. 1450


[1] S. hierzu, Klemens Stock, Poetische Dogmatik, Christologie Bd. 3, 133f.

[2] Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, 46.

[3] S. hierzu: https://introducingmedievalchristianity.wordpress.com/2020/07/09/three-christological-devotions-part-2-weapons/. Dort auch das Zitat der Juliana von Norwich.

[4] Clemens Brentano, Die Passion nach den Betrachtungen der Anna Katharina Emmerick (1833), Kevelaer 1951, 146.

Ein Kommentar zu „Arma Christi [zur Karwoche]

  1. Wow. Danke für den Beitrag! So wichtig in dieser Zeit zu erklären, was die Waffen Jesu waren.
    So viele Christen, die sich von ihrer Angst korrumpieren lassen und an die Macht von Aufrüstung und Waffen glauben.

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