Der Messias und die Erwartung der gerechten Herrschaft [zum Christkönigsfest]

Das Christkönigsfest nimmt verschiedene Stränge der biblischen Tradition auf. Einer dieser Stränge ist tatsächlich ein sehr politischer. Es geht um die gerechte Herrschaft. Im Alten Testament wird in den Geschichts- und Prophetenbüchern immer wieder die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Herrschaft artikuliert. Die Könige Israels konnten offenbar nur selten das Gefallen des Volkes finden. Man warf ihnen vor, den Glauben Israels zu verraten, die soziale Frage zu vergessen, falsche Bündnisse zu schließen, abgehoben und dem Volk entfremdet zu sein. Die Hoffnung auf den Messias, den von Gott eingesetzten, gerechten König, hatte daher immer auch mit einer ganz irdischen Vorstellung von Herrschaft zu tun. Der Messias war der König, der Gott und den Menschen dienten, Gerechtigkeit, Gottesfurcht und Frieden garantieren wird. Die Offenbarung des Johannes bezieht die Messiasattribute auf den endzeitlich wiederkehrenden Christus. Er hält die Schlüssel zur Gerechtigkeit und zum Gericht in der Hand (Offb 1,18). Er ist derjenige, der alles neu macht (Offb 21,5).

Die Erwartung der gerechten Herrschaft ist über alle Zeiten präsent geblieben. Ganz besonders in Krisenzeiten, bei Unzufriedenheit und Versäumnissen der bestehenden Regierung bricht sie sich Bahn. Immer wieder treten Menschen auf, die behaupten, die aktuellen Ungerechtigkeiten überwinden zu können, alles neu zu machen und den Schlüssel zur besseren Zukunft in der Hand zu halten. Diese quasi-messianischen Erwartungen bündeln sich in einem Phänomen, das wir heute häufig „Populismus“ nennen: Abrechnung mit der herrschenden Klasse, Neuordnung der Verhältnisse, Etablierung einer gerechten Ordnung. Von solchen Populismen gibt es mehrere Spielarten:

Der rechte Populismus bezieht sein Heilsversprechen im Kern aus der Behauptung, dass das Volk stark und gesund wird, wenn es sich auf seine Eigenheiten, seine Kultur und Tradition besinnt. Der Feind des rechten Populismus ist dann das Fremde, sei es durch internationale Verbindungen, die das Volk von außen her beeinflussen, sei es durch kulturfernes Gedankengut, das in das Volk eingebracht wurde und es von innen her zersetzt oder sei es durch eine globalisierte Wirtschaftsordnung. Die Reinigung von „Fremdeinträgen“ in die Volksgemeinschaft ist dann der Schlüssel zur Gerechtigkeit.

Der linke Populismus behauptet ähnlich wie der rechte, dass der Staat ein direkter Ausfluss des Volkes sein soll. Das Urproblem wird allerdings in der ungleichen Verteilung der Güter und der Macht gesehen. Ausweg bietet ein starker Staat, der die Eliten absetzt, das Eigentum und die Macht neu verteilt und damit neue Gerechtigkeit schafft.  

Daneben gibt es einen anarchistischen Populismus, wie er vor einigen Jahren etwa in Italien durch die „Cinque Stelle“-Partei propagiert wurde. Deren Analyse war: Unser herrschendes politisches und wirtschaftliches System ist korrupt und am Ende. Das politische Ziel muss sein, dieses System zu zerstören. Erst aus der Vernichtung kann etwas Neues, Besseres entstehen, auch, wenn wir jetzt noch nicht wissen, wie das Neue aussehen soll.

Wieder eine andere Spielart ist ein liberaler Populismus, wie ihn der neu gewählte argentinische Präsident verspricht. Die Wurzel allen Übels liegt hier in der staatlichen Dominanz von Wirtschaft und Kultur. Der Ausweg ist die radikale Entbürokratisierung und die Zurückdämmung des staatlichen Einflusses auf das Allernötigste. Der Staat soll so wenig Vorschriften machen wie möglich. Die Wirtschaft gehört in private Hände. Für sein Lebensglück und seine Lebensweise ist jeder selbst verantwortlich.

Und dann gibt es noch den religiösen Populismus. Er behauptet, dass die Ursache für das Versagen des Systems darin liegt, dass das Volk seine religiösen Wurzeln vergessen hat. Erst im Gottesstaat, in einer Herrschaft des göttlichen Gesetzes, kann die Gerechtigkeit wieder hergestellt werden.

Zur Zeit Jesu war der religiöse, aber auch der nationalistische Populismus sehr präsent. Die Messiaserwartung war während der Fremdherrschaft durch die Römer mit ihrer militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dominanz sehr lebendig. Der Messias soll die Herrschaft des göttlichen Gesetzes wieder einführen und so das Volk wieder mit seinen eigentlichen Wurzeln verbinden. Bei den Zeloten war die Erwartung, dass der Messias zunächst vor allem die Fremdherrschaft der Römer beenden würde und Israel unabhängig machen könnte.

Jesus wird mit diesen Erwartungen konfrontiert. Er weicht der politischen Dimension seiner Sendung gegenüber den Pharisäern und den Zeloten aus, auch wenn er selbst später von den Römern offensichtlich als politischer Aufrührer gedeutet und als solcher hingerichtet wird. Gegenüber Pilatus erklärt er seine Sendung. Sein Königtum, so sagt er, sei nicht von dieser Welt (Joh 18,36). Es geht nicht um einen militärischen Sieg, sondern um geistige, innerliche Erneuerung Israels und der ganzen Welt.

Der Kern des Erlösungswerks Christi ist der Sieg über die Sünde (Joh 16,8, Röm 5-8, Hebr 9,28). Ich denke, es ist wichtig, das zu betonen, gerade weil die Rede von der Sünde heutzutage gerne nicht ganz ernst genommen wird. Gerechtigkeit hat allerdings die Befreiung und Eindämmung der Sünde zur Voraussetzung. Jedes gesellschaftliche Zusammenleben wird durch die Sünde schwer beschädigt: Durch die Missachtung der Rechte des anderen, durch Entzug des eigenen Beitrags für die Gemeinschaft, durch übergriffige Gewalt, durch Betrug und Vorteilsnahme. Der Populismus weist dieses Sündenregister gerne einer bestimmten Gruppe oder Klasse zu. Er entlastet damit den Einzelnen von der eigenen Verantwortung.

Die Offenbarung Christi setzt auf eine innere Erkenntnisfähigkeit des göttlichen Gebotes, wie es das Gleichnis vom Endgericht in Mt 25 zeigt. Die Wahrheit des Guten wird in Christus offenbar. Die Erlösung durch Kreuz und Auferstehung ist die der strukturellen Enttarnung der Sünde, die bis zur Wiederkunft Christi bekämpft und besiegt werden kann. In dieser Art bildet das Christkönigsfest die messianische Hoffnung am Ende der Zeiten ab, in der das Gottesreich aus dem kleinen Senfkorn zur allumfänglichen Realität ausgewachsen ist, einer Realität, zu der jeder Einzelne das Seine beitragen kann.

Beitragsbild: Christus als endzeitlicher Richter, umgeben von Engeln, Mosaik aus der Kirche Sant‘ Appolinare Nuovo in Ravenna

7 Kommentare zu „Der Messias und die Erwartung der gerechten Herrschaft [zum Christkönigsfest]

      1. Ich find es trotzdem gut. Ich persönlich lese eine Predigt gern noch einmal nach, anstatt sie vorher schon zu kennen. Nun können Sie mir natürlich sagen, ich brauchte sie ja vorher nicht zu lesen, aber dazu bin ich zu neugierig.

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  1. Guten Tag Herr G. Bergner, Vorgesetzter einer Gemeinde.

    Damals war sich Jesus noch nicht bewusst, dass er selbst seine eigene Schattenseite hat. Der Rede, dem „weiche von mir“; damit hat er sein Böses, die Schattenarbeit von sich gewiesen.

    Das Böse, die Sünde, die eigene Schuld, das Verdorbene anzunehmen; das eigene Kreuz zu tragen, das ist unsere Aufgabe, die uns als ganzen Menschen herausfordert.

    Die Menschenwürde ist universell, unteilbar und absolut.

    Ich wünsche Ihnen das Allerbeste
    Mit freundlichen Grüßen
    Hans Gamma

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