Ich möchte einmal über ein Problem sprechen, dass mir zunehmend lästig ist. Es geht um die Frage, wie wir Dinge miteinander diskutieren. Es ist ein sehr lebenspraktisches Problem.
Stellen wir uns einmal den folgenden Fall vor: Vier Freunde sind auf einer Urlaubsreise mit dem Auto unterwegs. Während des Urlaubs, kurz vor der Rückreise, hat das Auto einen technischen Defekt. Das ist ärgerlich, aber eigentlich ein leicht zu lösendes Problem. Die Frage ist: Wie können wir das Auto möglich schnell wieder reparieren? Die vier setzen sich zusammen, um die Frage zu besprechen. Der erste, der Besitzer des Wagens, ist ganz praktisch orientiert. Er sucht nach einer Werkstatt, die den Schaden möglichst schnell und günstig beheben kann. Der zweite ist eher mit sich selbst beschäftigt. Er beklagt sich über den vermiesten Urlaub und über die Kosten, die jetzt wahrscheinlich auf die Gruppe zukommen. Außerdem will er unbedingt pünktlich wieder zu Hause sein und sucht schon nach Alternativen, um möglicherweise auch alleine schnell wieder zurückzufahren. Der dritte führt den geschichtlichen Aspekt an. Er sagt dem Fahrer, dass er ihm schon damals vom Kauf dieses Autos abgeraten habe und konsultiert die Pannenstatistiken um seine These von der generellen Unzuverlässigkeit des Models zu belegen. Außerdem, so sagt er, habe er den Besitzer schon vor ein paar Wochen auf ein merkwürdiges Geräusch aus dem Motorraum aufmerksam gemacht und dieser habe seine Warnung nicht beachtet. Der vierte wird ganz grundsätzlich. Es sei insgesamt eine schlechte Idee gewesen mit dem Auto zu verreisen. Bei der derzeitigen Verkehrslage und unter Eindruck der Klimaproblematik hätte man stattdessen schon früher nach Alternativen suchen müssen. Wäre man gar nicht erst mit dem Auto losgefahren, stünde man nun nicht vor diesem Problem und hätte zudem noch etwas für die Umwelt getan.
Das Beispiel ist frei erfunden. Aber ich vermute, Sie können leicht Situationen benennen, in denen Ihnen Ähnliches passiert ist. Als langjähriges Mitglied von unterschiedlichen Konferenzen und Beratungsrunden ist es mir nur allzu vertraut. Ich kenne es zum Beispiel aus dem Priesterrat. Der Bischof stellt eine Frage zur Beratung, etwa, wie man den nächsten Priestertag im Bistum gestalten soll und öffnet damit die Büchse der Pandora. Statt über die gestellte Frage zu sprechen, erzählt der erste, wie die Priestertage früher waren, der nächste stellt in Frage, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, einen Priestertag zu veranstalten, der dritte erklärt, warum er grundsätzlich nie an Priestertagen teilnimmt, der vierte, dass nicht der Priestertag das Problem sei, sondern dahinter die Frage stehe, wie wir als Priester im Bistum überhaupt miteinander umgehen, der fünfte listet Gründe auf, warum der gewählte Termin und das gewählte Format unpassend sind. Am Ende hat man zwar viel besprochen, aber keine Lösung gefunden.
Noch zugespitzter ist die Situation im Evangelium:
„In jener Zeit kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt 22,15-21)
Hier wird Jesus eine vermeintlich einfache Frage gestellt. Die Pharisäer und die Anhänger des Herodes, zwei Gruppen, die gegensätzliche Interessen verfolgen, sind im Grunde an einer Lösung der Frage gar nicht interessiert. Sie kennen die für sie richtige Antwort bereits. Sie vermischen eine politische und eine religiöse Frage, um Jesus aufs Glatteis zu führen. Lehnt Jesus das Steuerzahlen ab, erweist er sich als ein politischer Gegner Roms und die Herodesverbündeten hätten Grund zur Anklage gegen ihn. Stimmt Jesus dem Steuerzahlen zu, verrät er in den Augen der Pharisäer die Unabhängigkeit des Volkes Israels und seine religiöse Autonomie. Die Pharisäer hätten damit Jesus in seinem Anspruch, das Volk neu zu sammeln und zu führen, widerlegt und ihn als einen verkappten Parteigänger der Römer entlarvt. Es kommen also, wie im richtigen Leben, verschiedene Bedürfnisse, Absichten und Fragen zusammen und vermengen sich zu einem unauflösbaren Konvolut. Die Erwartung ist, dass es eine alles lösende Antwort geben könne. Aber die gibt es nicht.
Vor dem Hintergrund des furchtbaren Terroraktes der Hamas gegen Israel erleben wir in den Diskussionen das Aufsteigen des gesamten gefährlichen Konvoluts von politischen, geschichtlichen und religiösen Fragen im Nahen Osten. Der Wunsch danach, den Berg an Problemen mit einem Akt abtragen zu können ist riesengroß. Aber diesen einen Akt kann es offensichtlich nicht geben.
Es ist lohnenswert, darauf zu schauen, wie Jesus im Evangelium mit der Situation umgeht. In seiner Antwort tut er ein Zweifaches: Er enttarnt die Absichten seiner Fragesteller und er entwirrt die Fragestellungen. Es gibt keine einfache, allumfängliche Antwort. Die politische Frage erfordert eine Antwort und die religiöse Frage erfordert eine Antwort. Die Replik Jesu könnte übersetzt werden: „Ja, unter den gegebenen politischen Umständen wäre es für Israel fatal, gegen die Steuergesetzgebung und damit den römischen Kaiser zu revoltieren. Die Steuern sind im Moment ein notwendiges Übel. Zugleich ist die Steuerfrage aber eben keine religiöse Frage. Sie darf nicht zu dem Missverständnis führen, im Kaiser zugleich eine religiös zu verehrende Autorität zu sehen. Israel folgt in religiösen Fragen alleine seinem Gott. Es ist religiös innerlich frei. Die Gültigkeit des göttlichen Gebots steht nicht in Frage und Israel hat seinen Status als auserwähltes Volk nicht verloren.“
Ich wünschte mir für unsere alltäglichen Diskussionen eine solche Fähigkeit zur Differenzierung und zur Sachlichkeit, zudem eine gewisse Disziplin und Lösungsorientierung. Denken wir noch einmal an die vier Freunde mit ihrer Autopanne zurück. Die Beiträge der Einzelnen lassen sich in verschiedene Sichtweisen und damit in verschiedene Fragen trennen, die alle ihre Berechtigung haben. Die erste Frage ist: Wie reparieren wir das Auto? Die zweite ist dann: Wie geht es uns damit, welche Auswirkungen hat die Situation auf unsere Stimmung? Die dritte: Welchen Plan können wir für den Rest der Urlaubs und die Rückreise entwickeln? Und schließlich: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus den Erfahrungen für den nächsten Autokauf und die nächste gemeinsame Reise? Das klingt einfach, ist aber in der Praxis schwer. Wir werden das heutige Evangelium in Zukunft wohl häufiger bemühen müssen, wenn wir auf die Zukunft unserer Pfarrei und auch unserer Kirche schauen. Erwarten wir nie die eine große Antwort (etwa von der gegenwärtigen Weltsynode). Trennen wir die Fragen voneinander. Werfen wir praktischen, kirchenpolitischen, seelsorglichen und religiösen Fragen nicht einfach alle auf einen großen Haufen, so dass sie sich gegenseitig blockieren und unlösbar werden. Fangen wir mit dem an, was am nötigsten ist und finden dafür eine Lösung. Erst so, Stück für Stück, setzt sich das Bild wieder zusammen, kann auch eine nicht ideale aber zumindest lebbare Zukunft vorstellbar werden.
Ich bin begeistert von Gedanken zum Evangelium und wünsche sie mir als Grundlage für den Pastoraltag in Rostock, wenn wir die Frage der zukünftigen Sakramentenkatechese bedenken.
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Guten Tag Herr G. Bergner.
Zitat: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gottes ist (gehört!)“
Antwort: Gott braucht sich nichts.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Gamma
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