Weltall-Erde-Mensch

„Dieses Buch ist das Buch der Wahrheit“. Wenn der erste Satz eines Buches so lautet, dann weckt das Werk unweigerlich die Aufmerksamkeit eines Menschen, der sich philosophisch oder theologisch interessiert. Dieses „Buch der Wahrheit“ ist in den 1960-1980er Jahren in zahlreichen Auflagen gedruckt worden und befand sich in unzähligen Haushalten. Das Buch, in dem der zitierte Eingangssatz steht heißt „Weltall-Erde-Mensch“. Es wurde in der DDR zur Jugendweihe verschenkt. Generationen von jungen Leuten haben es besessen und vielleicht auch darin gelesen.

Auf den ersten Blick wirkt das Buch wie ein gut gemachtes Sachbuch mit zahlreichen Illustrationen und Grafiken. Es bildet im ersten Teil den naturwissenschaftlichen Kenntnisstand der damaligen Zeit ab, zur Atomphysik, zur Entstehung des Weltalls, der Erde, des Lebens und des Menschen. In einem zweiten Teil gibt es einen Überblick über die Menschheitsgeschichte.

Solche Bücher waren mir aus meiner westdeutschen Jugend ebenfalls gut bekannt. Als Kind und Jugendlicher blätterte ich gerne in den verschiedenen Ausgaben der „Was ist Was“-Sachbuchreihe und freute mich zu Weihnachten über das Jahrbuch des P.M.-Magazins, das neue Forschungsergebnisse aus der Biologie, Geschichtswissenschaft und Technik altersgerecht aufbereitete.

„Weltall-Erde-Mensch“ aber ist anders. Schon das erste Kapitel lässt keinen Zweifel an der Absicht des Buches. Man wolle hier, so heißt es, die Jugend mit der sogenannten „wissenschaftlichen Weltanschauung“ vertraut machen. Diese „wissenschaftliche Weltanschauung“ bestand, ganz grob gesagt darin, dass unser Blick auf die Welt von religiösen oder z.T. auch philosophischen Ideen gereinigt werden müsse. So heißt es:

„Die noch weit verbreitete religiöse Weltanschauung steht in völligem Gegensatz zu den Ergebnissen der Natur- und Gesellschaftswissenschaften, so dass ihre Antworten in Wirklichkeit Scheinantworten sind. Diese Weltanschauung, die von der Unantastbarkeit der gottgewollten Ordnung ausgeht, kann keine Grundlage für die praktische Veränderung der Welt, für eine neue gesellschaftliche Ordnung sein.“[1]  

Dieses Zitat alleine genommen würden wahrscheinlich auch heute noch viele Menschen in unserer Gesellschaft unterschreiben. Ob sie allerdings mit der Schlussfolgerung einverstanden wären, dass es streng wissenschaftlich erwiesen sei, dass die menschliche Geschichte unweigerlich auf die marxistische klassenlose Gesellschaft zusteuert, würde ich doch bezweifeln.

In der Philosophie nennt man den Denkansatz, unsere Erklärung der Welt und des Menschen von religiösen und metaphysischen Zusätzen zu reinigen und stattdessen nur rein wissenschaftlich erwiesenen Fakten zu folgen „Materialismus“ oder auch „Positivismus“. Diese philosophische Richtung entstand im 19. Jahrhundert. Der Titel „Weltall-Erde-Mensch“ ist dabei wahrscheinlich kein Zufall. Auguste Comte, einer der Begründer des Positivismus schrieb dazu in einem Brief die folgenden aufschlussreichen Zeilen, in denen er sich auffallend einer religiösen Sprache bedient:

„Eine unwandelbare Dreifaltigkeit leitet unsere Anschauung, wie auch unsere Anbetung, die sich zunächst auf das Große Wesen (Menschheit), hernach auf den großen Fetisch (Erde) und schließlich auf die große Mitte (Weltall) bezieht… Man verehrt darin zuvörderst die ganze Fülle des menschlichen Wesens, in dem die Vernunft dem reinen Gefühl hilft, das rechte Handeln hervorzubringen. Wir huldigen weiter auch dem aktiven und wohlwollenden Sitz (der Erde) dessen willige, wenngleich blinde Mitwirkung für die höchste Lebensform stets unentbehrlich bleibt…An diesen zweiten Kult schließt sich der Kult des ebenso passiven wie blinden, aber stets wohlwollenden Schauplatzes (des Weltraums) an […].“[2]  

Hier wird eine alte Religion durch eine neue ersetzt. Statt Gott zu verehren und zu ihm zu beten, wendet sich der Mensch einer neuen Dreifaltigkeit zu. Er betet sich selbst an und verehrt die Erde und das Weltall. „Weltall-Erde-Mensch“ – dieser Titel ist ein religiöses Bekenntnis an die materielle Dreifaltigkeit.

Unser „Buch der Wahrheit“, die Bibel, wäre demnach überschrieben mit „Vater-Sohn-Heiliger Geist“. Dieses Buch beginnt mit den folgenden Sätzen:

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.“ (Gen 1,1-3).

Dieser Text ist kein wissenschaftlicher Text. Er kann es auch gar nicht sein. Der Text entstand etwa 2000 Jahre bevor sich in Europa ein heute gängiges Verständnis von Wissenschaft entwickelte. Der Text ist eine gläubige Reflexion. Er entstand aus der religiösen Erfahrung heraus. Der Text von der Erschaffung der Welt tritt damit nicht in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Texten und will auch nicht als ein solcher gelesen werden. Er begründet aber eine andere Weltsicht, einen anderen Zugang zur Schöpfung und zur Geschichte. Er beginnt die Erzählung des dreieinen Gottes von der Schöpfung, von ihrer Erlösung und Neubegründung.

Die Bibel sagt zunächst, dass die Schöpfung, deren Teil wir sind, nicht aus einer Verkettung unglaublich unwahrscheinlicher Zufälle einfach so entstanden ist, sondern dass die Schöpfung gewollt ist und vor allem, dass sie gut ist. Der Schöpfungsbericht sagt, dass von Gott, dem Vater alles ausgeht und dass sich sein Werk ihm verpflichtet weiß. Mensch und Natur sind zum Guten hin geschaffen, wie auch Gott gut ist. Sie sind zur Gemeinschaft hin geschaffen, wie auch Gott in sich Gemeinschaft ist. Sie sind zur Liebe hin geschaffen, weil sie das Ergebnis der göttlichen Liebe und Zuwendung sind.

Gott schafft durch sein Wort, seine Weisheit, seine Vernunft. Die Schöpfung ist geordnet. Das Chaos der Materie ist gebannt. Es fließt in eine sinnvolle, lebensfreundliche, aufeinander abgestimmte Gestalt. Der Mensch ist dabei durch seine Vernunft, seine Begabung zur Weisheit und zur Erkenntnis Gottes Abbild, der die Schöpfung bewahren und pflegen soll. Das Wort Gottes erscheint in Jesus Christus als Mensch, um die Wiederversöhnung der Menschen mit Gott zu wirken. Er handelt dabei nicht mit Gewalt, sondern unter den menschlichen Bedingungen bis hin zur Ablehnung und zum Tod. Das Handeln Gottes ist hier ein Handeln aus Liebe, das über die menschliche Freiheit nicht hinweg geht, selbst wenn es die Freiheit ist, ihn, Gott abzulehnen und zu vergessen.

Als drittes entsteht die Schöpfung aus der Gegenwart des Geistes, der aus der Gemeinschaft von Vater und Sohn (dem Wort) entspringt. Der Geist ist das Lebensprinzip, das dem Menschen eingehaucht wird. Er bewirkt die Möglichkeit, sich mit Gott zu verbinden, ihn zu erkennen, bei ihm zu sein. Er erneuert den Menschen in seiner Fähigkeit zum Guten und in seiner Fähigkeit zu Glaube, Hoffnung und Liebe.

Alles geht von Gott aus und kehrt wieder zu ihm zurück. Die Menschen sind vor Gott gleich, als Gemeinschaft gedacht, von ihm gleichermaßen geliebt und angesehen. Die Biologie des 19. Jahrhunderts behauptete mit strenger Wissenschaftlichkeit, dass die Menschen sich in verschiedenen Rassen entwickelt hätten, die einen notwendigen Kampf über die Vorherrschaft auf der Erde gegeneinander führen, so wie bei den Tieren evolutionsbiologisch eine Art sich gegen die andere durchsetzen muss. Die Geschichtswissenschaft nach Hegel behauptete eine notwendige Entwicklung der Geschichte. Karl Marx schloss daraus, dass sich die Arbeiter im Klassenkampf notwendigerweise durchsetzen mussten und erst die kommunistische Weltherrschaft, in der die Menschen sich selbst erlöst haben, das Paradies und den Frieden bringen würden. Letzterer Theorie ist das das Buch „Welt-Erde-Mensch“ verpflichtet.

Wird also eine Menschheit, die die Religion abgelegt hat eine bessere Menschheit? Das ist ja der Kern der Frage. Es geht nicht darum, dass an der Wissenschaft etwas Falsches ist. Es geht aber um die Frage, ob das Zusammenleben der Menschen aus allein aus den derzeit gültigen wissenschaftlichen Erkenntnissen konstruiert werden kann. Das hatte der Materialismus behauptet. Ist es nicht vielmehr so, dass gerade der Glaube an den dreieinen Gott die Grundlage für die Menschheit legen kann? Bei all dem, was in der Welt falsch läuft, bei all dem was anders sein sollte, bei all den Verirrungen, die es auch in der christlichen Geschichte gegeben hat und gibt, bei aller Sehnsucht nach Frieden, nach Versöhnung und Gemeinschaft – ich würde doch von mir sagen, dass es gerade der Glaube ist, der mir Wege aufzeigt, der mich an den Ursprung erinnert, der mich und mein Handeln in Frage stellt und wieder zum Guten leiten kann.

Der heutige Dreifaltigkeitssonntag regt mich zum Überdenken meines Glaubens an und er fordert mich auf zum Bekenntnis an den einen Gott in drei Personen. Er ist der Gott, dem ich mich verdanke, der Gott von Liebe und Versöhnung. Er – Vater, Sohn und Heiliger Geist.   

Beitragsbild: Astronaut – Wandgemälde in Jena         


[1] „Weltall-Erde-Mensch“, Berlin 1962, 10.

[2] Auguste Comte, Synthese subjective 1, 24, zitiert bei Henri de Lubac, Über Gott hinaus, Einsiedeln 1984, 154.

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