Predigt zum Schulabschluss

Gerade ist die Zeit der Abiturfeiern und Schulabschlusspartys. Hin und wieder werde ich angefragt, bei Gottesdiensten aus diesem Anlass den Abschlussklassen noch etwas mit auf den Weg zu geben. Das ist keine leichte Übung. Einen dieser Versuche (aus dem Jahr 2016) möchte ich hier dokumentieren:

So, jetzt soll ich etwas sagen.

Der Pastor soll noch etwas sagen – so wie die Schulleiterin und die Lieblingslehrer.

Alle dürfen nochmal ran, zu Eurem Abi-Abschied.

Alle dürfen ein letztes Mal ran.

Und dann beginnt die große Freiheit.

Also, was soll ich sagen?

Was kann ich Euch noch mitgeben?

Ich habe überlegt, wie das damals bei uns war, bei unserer Abi-Verabschiedung.

Was haben wir damals so gedacht und gesagt?

Wie haben wir uns gefühlt?

Ich weiß noch, dass wir uns damals stark gefühlt haben.

Wir haben der Schule noch einen mitgegeben.

Wir haben wahrscheinlich genau das gesagt, wie alle Abi-Jahrgänge vor uns –

Nämlich: „Die Schule hat uns nicht auf das Leben vorbereitet.

Wir haben für die Schule gelernt, nicht für das Leben.“

Komisch, dass man so was sagt, wenn alles vorbei ist.

Heute denke ich etwas anders darüber –

Ich glaube, es waren damals zwei Gefühle in uns:

Wir waren froh, dass wir aus der Schule rauskamen, aus dieser Institution, die uns dreizehn Jahre vorgegeben hatte, wann wir morgens aufstehen sollen, die uns unseren Tageablauf vorgab mit einem Programm namens Stundenplan und die regelte, was wir von Montag bis Freitag zu machen hatten.

Jetzt kamen wir raus aus diesem protektiven System,

weg von den Supervisern aus dem Lehrertrakt.

Und gleichzeitig hatten wir ein wenig weiche Knie, weil das so war.

Jemand macht die Tür auf und Du weißt, Du musst rausgehen und eigentlich willst Du auch, aber eben noch nicht so richtig und eigentlich war’s drinnen ja ganz nett, auch die Leute und so und wer weiß, ob es draußen wirklich besser wird.

Und wir sagten: „Die Schule hat uns nicht für das Leben vorbereitet.“

Wir hatten einen Schuldigen für unsere weichen Knie gefunden.

Wir bedeckten sie mit einem Mantel aus Selbstsicherheit.

Das war das eine, woran ich mich noch erinnere.

Und das zweite war so ähnlich.

Es war so ein Gedanke wie: Jetzt kannst Du Dein Leben selbst gestalten.

Und ich glaube, wir wollten dabei alles anders machen –

Zumindest wollten wir es anders machen als unsere Eltern.

Wir mochten unsere Eltern wirklich, aber wir hatten den Eindruck: irgendwas ist im Lauf der Zeit bei Ihnen schief gelaufen.

Sie sind auch Superviser, irgendwie auch ein protektives System, ein ganz nettes, na klar, aber eben doch so, dass man es nicht nachmachen muss.

Ihr kennt das System: Es funktioniert immer gleich:

Du sitzt Samstag morgens nach einer langen Nacht am Frühstückstisch und Deine Eltern sagen Dir, dass sie Deine Freiheit sehr respektieren und dass sie sich freuen, dass Du auf einer netten Party warst, aber es sei nun mal so, dass es gewisse Formen des Zusammenlebens gebe, auf die man sich einlassen müsse und zu denen etwa gehört, wenn man schon zu nachtschlafender Zeit nach Hause kommt, die Tür leise zu schließen und darauf zu achten, dass das Bad nach dem Verlassen ordentlich ist und dass man dann nachts nicht noch lautstark telefonieren muss.

Das sagen Sie Dir alles ganz nett und unaufgeregt und geben Dir damit zu verstehen: Wir wissen, wie lang Du gestern wirklich weg warst, wieviel Du getrunken hast, und mit wer mit wem etwas angefangen hat.

So ist das: Eltern wissen alles und sie kümmern sich auch um alles.

Deine Eltern haben an diesem morgen Spaß am Frühstückstisch – Du nicht.

Also raus und es anders machen.

Also, weg von den Supervisern in der Schule und zu Hause.

Und dann gibt es noch jemanden.

Wir nennen Gott Vater

Eigentlich wissen wir von Gott viel weniger als wir nicht von ihm wissen.

Wir benutzen daher Vergleiche, um ihn zu beschreiben.

Jesus hat gesagt, es ist „ok“, Gott „Vater“ zu nennen,

denn er sorgt sich um uns und schaut auf uns und ist bei uns, so wie ein Vater.

Noch ein Superviser?

Einer der alles sieht und mich unter dem Vorzeichen der Sorge erzieht.

„Kind, es ist alles nur zu Deinem Besten“ –

„Danke, Papa, aber ich will das trotzdem anders machen.“

Viele Erwachsene verlieren Gott, weil sie ihn sich so vorstellen.

Sie verlieren ihn so, wie sie die Schule verlieren.

Sie gehen raus und sind weg und eigentlich denken sie nach einer Zeit nicht mehr daran.

Nur manchmal gibt’s noch Erinnerungen an früher.

Es ist emotional das gleiche, zu einem Klassentreffen und zu einem Gottesdienst zu gehen:

ein netter Abend für Gespräche mit Leuten, mit denen ich eigentlich nichts mehr zu tun habe.

„Und was machst Du so?“ – „Aha, dann bis nächstes Mal“.

Aber es kann auch ganz anders sein.

Heute würde ich sagen, dass meine Schulzeit nicht umsonst war – im Gegenteil.

Ich habe im Rückblick viel mehr gelernt, als ich dachte, vor allem jenseits des offiziellen Lernstoffs.

Und auch meine Eltern verstehe ich mittlerweile ganz anders.

Ich habe gar nicht alles anders gemacht als sie.

Im Gegenteil. Manchmal ertappe ich mich selbst:

Wenn ich im Januar die Schüler zur Schule gehen sehe in Jogging-Hose und dann die Knöchel frei – im Winter –  und dann denke ich, obwohl ich das gar nicht denken möchte: „Zieht Euch doch mal was Warmes an“.

Oder jetzt im Urlaub. Die herrlichsten Schätze der Baukunst und neben mir eine Schulklasse – Mittelstufe – zeigen sich die Selfies von gestern… aber sehr engagierte Lehrer! Und ich denke: „Warum fahrt ihr nicht woanders hin? Irgendwo in den Wald in eine Jugendherberge mit WLan und in der Nähe Primark und McDonalds – dann wären doch alle glücklich.“

Und wenn ich so was denke, muss ich über mich selbst lachen – Ich fange schon an, wie meine Eltern.

Und Gott? Habe ich neu gefunden, ganz anders erlebt, ist nicht mehr so wie in der Kindheit.

Das ist nicht der Daddy, der mir sagt, was richtig und falsch ist.

Das ist der Vater, zu dem ich gerne zurückkomme und der auf mich wartet. Immer.

Wie kommt das?

Warum werden wir so?

Ich glaube, es hat was mit Erfahrung zu tun.

Die Freiheit nach dem Abi – das war etwas Großartiges.   

Es war richtig, rauszugehen, weg von der Schule, weg von zu Hause.

Aber die Freiheit ist anders als gedacht.

Sie ist manchmal der sonnige Palmenstrand, als den ich sie mir erträumt habe.

Aber sie ist auch häufig einfach ein Regentag im Westerwald

Und manchmal ein Schneesturm im Gebirge.

Da muss ich durch.

Freiheit ist Verantwortung und Entscheidung.

Und wenn ich da draußen stehe, dann gibt es keine Superviser mehr, kein protektives System, dass das alles schnell für mich regelt.

Und das ist gut so.

Aber die Superviser von einst sind auf einmal etwas anderes:

Sie sind Geländer geworden, warme Kleidung, eine Wand, an die ich mich anlehne, ein Proviantpaket, das ich unerwartet finde, ein Geistesblitz, eine Wegbeschreibung, eine Schulter zum Anlehnen, ein Fundament, auf dem ich stehe.

Je länger ich lebe, desto mehr weiß ich, dass ich eins nicht verliere:

Ein Kind bleibe ich immer, ein Kind meiner Eltern und meines himmlischen Vaters.

Mittlerweile gehöre ich selbst zu den Supervisern, zum protektiven System.

Und wisst Ihr was: Es ist etwas Besonderes, dazu zu gehören.

Es ist schöner als gedacht, ganz anders.

Die Freiheit ist schön und auch die Verantwortung.

Mehr brauche ich Euch nicht mitgeben.

Beitragsbild: Klimademonstration in Turin

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