Das Bäumchen [Reimpredigt]

Ein Lebenslauf hat viele Seiten,

besteht aus Episoden, Zeiten,

in denen etwas anfängt, wendet,

oder ein alter Abschnitt endet:

Ein Schulabschluss, den man bestand,

die Goldhochzeit, der Ruhestand,

das neue Haus, das man gebaut,

das junge Paar, dass sich getraut,

die Uni, die man nun verlässt

und Opas rundes Wiegenfest –

das gibt Anlass, zu bedenken:

„Was werde ich zum Fest wohl schenken?“

Soll das Geschenk sich sehen lassen,

dann muss es wohl zum Anlass passen.

Es soll symbolisch überleiten,

den neuen Zeitabschnitt begleiten.

Am besten fährt man frank und frei

in seine Lieblingsgärtnerei

und sucht (und lässt sich gut beraten),

was für des Jubilares Garten.

Ein Bäumchen etwa kann beileiben

sehr zeichenhaft die Zeit beschreiben.

Man setzt es einfach in die Erde,

damit es groß und kräftig werde.

Und wie es wächst so mit den Jahren,

lässt sich in ihm die Zeit bewahren.

So bleibt der Lebenswende Sprung

in ständiger Erinnerung.

Ein jeder Gärtner kann berichten:

Ein guter Baum trägt reich an Früchten.

Ein schlechter Baum (den gibt’s schonmal)

Trägt selten Frucht, bleibt meistens kahl.

Doch eines Gartenfreunds Geschick

hilft manchem Baum schonmal ein Stück.

Man muss der Pflanze Zeit schon lassen,

damit die Wurzeln sicher fassen

im Ackerland oder im Wald

wohl tiefen und auch festen Halt.

Mit reichlich Düngen, Eggen, Wässern

kann auch ein schlechter Baum sich bessern.

Jeder Baum braucht seine Zeit

bis einmal seine Äste weit

über Feld und Wiese ragen

und schließlich reiche Früchte tragen.

Schau’n wir doch auf das Hier und Jetzt,

denn an Neujahr wurd’ gesetzt

wohl ein Bäumchen, das zumeist

„Zwanzigzweiundzwanzig“ heißt.

Bei ihm weiß man noch nicht recht:

Ist es gut oder gar schlecht?

Um sicher das einmal zu wissen

werden wir noch warten müssen.

Aber leider zeigt es sich

zu Anfang ziemlich kümmerlich.

An dem Stämmchen schon inmitten

wachsen fleißig Parasiten.

Einen davon kenn’ wir schon

mit dem Namen Omikron.

Seines dorn’gen Blattes Spitzen

will man schnell mit Impfstoff spritzen.

Doch dagegen zieh’n die Massen

auf die Straßen und die Gassen.

Voller Wut und voller Streiten

schimpft man auf die Obrigkeiten,

reckt die Faust voll Ungeduld,

gibt am Unglück ihnen Schuld.

Ein weit’rer Parasit sodann

uns schon in Angst versetzen kann.

In Europas Osten steht

kampfbereit das Kriegsgerät.

Nur zum Drohen? Nein, zum Töten!

Menschen jetzt in tiefsten Nöten,

fürchten durch der Mächte Streben

um ihr Gut und um ihr Leben.

Wie wird sich die Lage wenden?

Wie lässt sich der Krieg beenden?

Bislang seh’n wir nur soweit

Kampfgetös’ und Grausamkeit.

Leider steht das Jahr des Herrn

unter keinem guten Stern.

Denn zu allem Überfluss –

weit’re Sorgen und Verdruss.

Denken wir nur an die fiese

selbstgemachte Kirchenkrise.

Starke Stürme zieh’n dahin,

teures Gas, teures Benzin.

Selbst Olympia dieses Jahr

eher keine Freude war.

Ach, Bäumchen „Zwanzigzweiundzwanzig“!

Warum du armes Wesen pflanzt’st dich

Auf schlechten Boden der Geschichte,

wo Stein und Torf mit ihrer Dichte

dein Wurzelwerk so schlecht nur halten?

Du stehst auf widrigem, geballten

Streit, Hader, unheilvoller Kunde,

auf nährstoffarmen Untergrunde.

Haben die Wurzeln wenig Halt,

bleibt klein und mickrig dein’ Gestalt.

Im Wind die kleinen Zweiglein brechen,

von Früchten woll’n wir gar nicht sprechen.

Wer dich so sieht, der glaubt wohl kaum,

dass aus dir Bäumchen wird ein Baum,

dass aus dem was bisher geschah

noch werden kann ein gutes Jahr.

Schaun’n wir jetzt in die Heil’ge Schrift.

Sie schildert das, was uns betrifft.

Zu uns als Sündern wie als Frommen

soll Gottes Wort auch heute kommen.

Und heute gerad’, wer will’s versäumen,

spricht dieses Gotteswort von Bäumen.

Jesus nutzt als Bildwort eben

Für ein gelingendes Leben

Einen Baum, den guten, rechten,

ebenso wie einen schlechten.

Was kannst du tun, dass gute Frucht

aus deinem Baum wächst?, untersucht

die Schrift, genauso, wie sie fragt,

was einen Baum zum schlechten macht.

Das Beispiel, dass sich Jesus wählt

ist von ihm eindrücklich erzählt.

Sein Wort vom Splitter und vom Balken

soll einen Spiegel dir vorhalten:

Du sollst nicht hochmütig erscheinen,

dich besser als die and’ren meinen

und dich als fehlerhaft versteh’n,

nicht Fehler nur beim Andern seh’n.

Denn Hochmut schadet dir gar sehr,

verdirbt den Baum von innen her.

Ein Hochmut-Baum, ich sag es offen,

darf kaum auf gute Früchte hoffen.

Der Hochmut ist nur eine Haltung,

die Schlechtes bringt, den Streit, die Spaltung.

In unsrer Tradition verkünden

die Alten sieben Wurzelsünden,

die den, der sie sich aufgeladen

in seinem Leben führ’n zu Schaden.

Die erste Sünde nannt’ ich vorn,

die zweite Sünde ist der „Zorn“,

der „Geiz“ und „Neid“ ist auch dabei,

die fünfte ist die „Völlerei“.

Die sechste heißt „Luxuria“,

die Wollust (altes Wort), doch klar,

geht es um jegliches Begehren,

den Reichtum und die Lust zu mehren.

Die siebte ist uns gut bekannt:

Die „Trägheit“ wird sie uns genannt

und meint den Drang, uns auszuruh’n

untätig uns’re Zeit vertun,

meint das Bedürfnis, uns zu schonen,

samt Traurigkeit und Depressionen.

Das sind die sieben Wurzelsünden,

die einen schlechten Baum begründen.

So unterschiedlich sie auch scheinen,

sie sich um einen Kern vereinen,

dass sich der Mensch von Gott soll wenden,

die ander’n um sich rum ausblenden

und statt um Gott, um „uns“, um „dich“

geht’s nur um einen: „mich“, „mich“, „mich“.

So kann kaum das Leben fließen,

kann weder Blatt noch Knospe sprießen.

Es braucht für das gute Leben

sowohl das Nehmen als das Geben.

Uns’re Bäume haben stetig

einen guten Gärtner nötig.

Denn mit Düngen, Eggen, Wässern

kann ein schlechter Baum sich bessern.

Damit mein’ ich auch sogar

das dürre Bäumchen: dieses Jahr.

Jesu Worte an die Jünger

nennen einen solchen Dünger:

Für den Baum schon in der Jugend

hilft zum Wachstum stets die Tugend.

Denn in ihr zuhauf sich finden

Mittel gegen Wurzelsünden.

Trägheit schlag durch Tätigkeit

Zorn besiegt Gelassenheit.

Gegen Völlerei hilft Maß,

gegen Luxuria Spaß

und Freude, die man teilt,

Selbstvertrauen heilt den Neid.

Gegen Hochmut dann und wann

wende mal die Demut an.

Und der Geiz muss dich nicht trüben

kannst du Nächstenliebe üben.

Alles Gute ist von Wert,

was dein Herz macht unbeschwert,

was dich atmen lässt und leben.

Lasst uns nach dem Guten streben,

nach dem einen, der dort oben

uns ins Dasein hat gehoben,

dass wir ihm und unser’n Nächsten,

auch den Armen und den Schwächsten,

geben, wo wir nehmen können

und das Gute ihnen gönnen.

Denn der Bäumchen Sein und Werde

liegt an hoffnungsvoller Erde,

liegt an Sonne, die aus Gnaden

sie bewahrt vor großem Schaden,

liegt an glaubenstiefer Pflege,

Schutz und an bedachter Hege

und an Wasser, dass aus Liebe

speist die Wurzeln und die Triebe.

Also, lasst uns Tugend säen,

fest in unsrer Hoffnung stehen,

mit Gebet und guten Werken

unsre schwachen Bäumchen stärken.

Gott ist mit uns, sein Erbarmen heute wir erbitten. Amen.