Auswandern

Seit mehreren Jahren haben die TV-Privatsender ein altes Thema sehr erfolgreich für sich entdeckt: das Auswandern. Dokumentiert werden dort die Geschichten von ganz normalen Menschen, die versuchen, sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Die verlockenden Bilder von weißen Stränden, von Palmen und fremden Welten verfehlen nicht ihren Reiz. Es wäre paradiesisch dort zu leben, aus dem häufig so grauen Deutschland herauszukommen, den Zwängen der Gesellschaft und der komplizierten Bürokratie zu entfliehen und unbeschwert etwas Neues anzufangen. Diese Sehnsucht ist wie gesagt schon alt. Besucht man zum Beispiel das Auswanderermuseum in Hamburg sieht man, dass die große Verheißung des Neuanfangs schon viele Menschen bewegt hat. Schaut man aber auf die Geschichten der Menschen, die der Verheißung gefolgt sind, sieht man, dass sie häufig sehr traurige Anlässe für ihre Ausreise hatten. Viele waren im Grunde Flüchtlinge, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen einen dramatischen Schnitt wagten und etwa in den USA oder in Südamerika versuchten, sich eine neue Existenz aufzubauen, in einem freien Land, mit dem Versprechen von Reichtum und Besitz auch für die, denen der Wohlstand hier in Europa unerreichbar war.

Sieht man die heutigen Fernsehsendungen genauer, erkennt man, dass es auch den neuen Auswanderern unserer Tage im Grunde ganz ähnlich geht. Meist haben sie in ihrem Leben gerade eine Krise erlebt. Sie haben ihre Arbeit verloren, eine Beziehung ist auseinandergegangen, oder sie fühlen sich in ihrem Leben an einem toten Punkt. Statt sich im Altgewohnten weiter abzuarbeiten, lockt sie nun die große Verheißung. Wie wäre es, noch einmal ganz neu anfangen zu können, das alte Leben hinter sich zu lassen und an einem Ort, an dem mich keiner kennt als neuer Mensch zu leben? Doch zeigen dann die Fernsehgeschichten, dass das alles nicht so einfach ist. So weiß der Strand und so schön die Palmen sind, die Auswanderer haben es doch schwer. Denn natürlich hat sich mit der Umgebung noch lange nicht der Mensch selbst verändert. Die Auswanderer haben mächtig zu kämpfen mit der Sprache, mit neuen Formen der Bürokratie, vor allem aber mit sich selbst. Sie haben sich und ihre Schwierigkeiten in das neue Land mitgenommen. Das Auswandern allein ist noch keine Garantie dafür, nicht auch an neuem Ort wieder zu scheitern.

Schaut man auf die Geschichte der christlichen Taufe, lassen sich ganz ähnliche Vorstellungen erkennen. Die Taufe trägt in sich genau diesen Aspekt des Neuanfangs: Man stieg in das Wasser als Zeichen der Reinigung. Der alte Mensch mit seinen Sünden sollte abgewaschen werden. Man begann neu, bekleidet mit einem neuen, daher noch weißen Gewand. Die Taufe war gerade in den ersten Jahrhunderten das Zeichen einer Lebenswende. Aus der häufig als sündig und verdorben verstandenen Welt heraus wollte man in den Raum der Kirche und damit in den Raum der göttlichen Gnade hinübergehen. Von nun an sollte die Sünde keinen Raum mehr bekommen. Der Mensch sollte, wie der Epheserbrief sagt, als neuer Mensch leben können (Eph 4,22). Wenn man so will, war auch die Taufe ein Auswandern, nicht in ein neues Land, sondern in einen neuen Zustand und auch (als volles Mitglied) in eine neue Gemeinschaft. Doch den Täuflingen erging es wie den Auswanderern. So schön der Glaube und auch die kirchliche Gemeinschaft vielleicht auch waren, allein die Taufe beseitigte nicht die Probleme. Der Mensch blieb auch nach der Taufe er selbst. Seine Schwächen und auch seine Anfälligkeit für das Böse, seine inneren Kämpfe hörten nicht einfach auf. Das neue Testament ist voller Ermahnungen an die Getauften, sich in ihrem Verhalten nun auch der Taufe würdig zu erweisen. Sie kämpfen mit der Wirklichkeit des Versagens und der Sünde auch in der eigenen Gemeinschaft der Kirche. Der innerliche Ortswechsel allein garantiert nicht die Veränderung zum Guten. Es bleibt der alltäglich Kampf um das Gute.

Deshalb kann es sinnvoll sein, einmal auf die Taufe Jesu zu schauen. Denn das eben beschriebene Taufverständnis passt nicht auf Jesus. Die Menschen, die damals zu Johannes kamen, erhofften sich von der Taufe die Vergebung der Sünden, die Begnadung durch Gott und die Wiedereingliederung in das Volk Israel. Alles drei hatte Jesus nicht nötig. Er ist von Anfang an Sohn Gottes, Mitglied seines Volkes. Er braucht die Bekehrung und die Reinigung von den Sünden nicht. Bei seiner Taufe geschieht etwas anderes: Der Himmel öffnet sich und eine Stimme vom Himmel, die Stimme Gottes, offenbart ihn vor den Menschen als Gottes geliebten Sohn. In der Taufe wird also lediglich sichtbar, wer Jesus schon vorher gewesen ist. Sie ist ein Ort der Verkündigung, an dem gezeigt wird, wer und wie der Mensch, der hier getauft wird, ist. Die Taufe wird hier nicht ethisch verstanden oder soziologisch (als Ritus der Eingliederung), sondern ontologisch, das bedeutet, vom Sein des Menschen her. In unserer Taufe geschieht das, natürlich anders als bei Jesus Christus, ähnlich. Es soll deutlich werden, wer wir sind: Geliebte Kinder, von Gott bejaht und gewollt, im Innersten gut geschaffen und geliebt. Und je mehr diese Wirklichkeit in unserem später Leben zum Vorschein kommt, desto mehr wird sie auch Auswirkungen auf unser Handeln, Denken und Tun haben. Die Kirche ist dann die Gemeinschaft, in der dieses Gut- und Gewollt-Sein des Menschen zum Ausdruck kommen soll, im Umgang miteinander, im Beten und im Gotteslob und in den Werken der Barmherzigkeit. Das Fest der Taufe Jesu kann mich daran erinnern, dass mir dieses Versprechen gegeben ist, geliebtes Kind zu sein, ein hoffnungsvoller Fall, bestimmt zum Guten und trotz all meiner Schwierigkeiten und Verfehlungen würdig und zur Liebe begabt.

Durch die Taufe wird nicht alles anderes. Aber alles erhält ein positives Vorzeichen, eine Vergewisserung, eine Bestimmung, eine Berufung und ein Ziel. Und in seinen guten Momenten ist dann auch das Christsein ein innerer Ort der Schönheit und Stimmigkeit, an dem ich gerne und gut zu Hause sein kann.

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