Wenn etwas interessant gemacht werden soll, muss man es verstecken. Das ist die Logik des Geschenks. Die Verpackung verbirgt den Inhalt. Das Geschenk wird erst dadurch etwas Besonderes. Die Freude besteht nicht nur im Inhalt, sondern auch im Öffnen des Geschenks. Das langsame Lösen der Schleife oder des Geschenkbands, das vorsichtige Öffnen des Papiers – es gibt Menschen, die darin wahre Meister sind. Sie zelebrieren das Öffnen, auch, um sich die Spannung und Überraschung so lange wie möglich zu erhalten. Bei Spielen mit Kindern ist die Schatzsuche mit am beliebtesten. Es geht weniger um den Inhalt des versteckten Schatzes als um die Freude an der Suche. Der Reiz des Geheimnisvollen ist der eigentliche Inhalt, der an einem solchen Spiel Vergnügen bereitet. Und schließlich kennen sie diese Dynamik auch aus dem täglichen Leben. Eine vertrauliche Nachricht empfinden wir gerne als wertvoller und wichtiger als eine, die offizielle in der Zeitung steht. Sie verbreitet sich übrigens auch schneller. Das ist zumindest meine Erfahrung. Wenn Sie möchten, dass eine Botschaft sich verbreitet, ist es häufig effektiver, sie als vertraulich oder noch nicht offiziell zu kennzeichnen. Was am schwarzen Brett steht oder per E-Mail an alle versandt wird, erhält meist weniger Aufmerksamkeit.
Mit dieser Lust am Geheimen haben übrigens auch die Religionen immer schon gearbeitet. Im Altertum etwa waren Mysterienreligionen sehr beliebt. Sie kreisen, wie der Name schon sagt, um ein Geheimnis, einen Mythos oder eine Gründungsgeschichte, die geheim bleiben soll. Wer sie erfahren möchte, muss erst verschiedene Stufen der Initiation, also der Einweihung in die betreffende Religion durchlaufen. Ein volles Mitglied wird, wer am Ende eines längeren Weges das Mysterium offenbart bekommt. Die Gemeinschaft ist von außen gesehen damit so etwas wie ein Geheimbund, der aus seiner sichtbaren Gestalt heraus kaum zu verstehen ist. Sie erregt somit Neugier und wirbt neue Mitglieder genau mit dem Reiz des Geheimnisvollen. Viele Mysterienkulte der römischen Zeit sind bis heute nicht zuverlässig entschlüsselt worden. Sie wahren ihr Geheimnis auch über die Jahrhunderte hinweg.
Man kann das heutige Evangelium daher durchaus als Angriff auf die Mysterienkulte verstehen:
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. (Mt 10,26-33)
Jesus spricht davon, dass das geoffenbarte Wort, also dass, was er seinen Jüngern über Gott erzählt hat, nicht geheim bleiben soll. Alles was verhüllt war, soll ans Tageslicht gelangen. Das Geheimnis ist nicht einem esoterischen Kreis sondern allen Menschen zugänglich. Die Jünger werden sogar dazu aufgefordert, mit ihrem Wissen, ihrer Erkenntnis, ihrem Glauben nicht hinter dem Berg zu halten, sondern all dies öffentlich zu verkünden, auch wenn dies für sie Nachteile oder sogar Verfolgung bedeuten sollte. Jesu Lehre ist keine Geheimlehre, sondern eine Botschaft an die ganze Welt. So ist es bis heute. Was das Christentum lehrt, kann man überall erfahren und jenseits dessen, was in den offiziellen Schriften geschrieben oder im Gottesdienst und der Katechese gesagt wird, gibt es keine zweite Stufe, keine geheime Extralehre, keine Wahrheit jenseits der Wahrheit.
Vor kurzem ist der bulgarisch-amerikanische Künstler Christo verstorben. Er galt als ein Meister der Verhüllung, wobei dies längst nicht für alle seine Kunstaktionen zutraf. In Deutschland wurde er spektakulär bekannt, als er vor 25 Jahren den Berliner Reichstag verpackte. 100 000 Quadratmeter silbrig glänzender Stoff und 14 km Seil sorgten bei Millionen von Besuchern für einen unvergesslichen Eindruck. Auf einmal waren scheinbar die Verpackung und ihr Urheber der Star. Die Neugier zumindest war bei allen geweckt worden. Christo wurde zur Zeit der Kunstaktion in vielen Interviews nach der Absicht seiner Kunst gefragt. Er wies die Ansicht zurück, dass die Verhüllung selbst bereits ein Kunstwerk sei. Vielmehr sei es wichtig, so der Künstler sinngemäß, dass nach der Verhüllung auch wieder die Enthüllung folge. Auf einmal würden so die Besucher wieder neugierig auf das Gebäude selbst. Die Verpackung war also kein Mittel, um das Reichstagsgebäude aus dem Stadtbild wegzunehmen, sondern vielmehr, um es später wieder neu geschenkt zu bekommen. Für Christo stand gerade der Reichstag als Sinnbild für die europäische Teilung. Das Gebäude so zu inszenieren, bedeutete für ihn es zu veredeln, seine Bedeutung neu sichtbar zu machen und die Menschen anzuregen, sich mit dem Bauwerk und seiner Bedeutung neu zu beschäftigen. Christo verwies mit seiner Aktion auf die wahre Bedeutung des Verhüllens. Das Gebäude, also der Inhalt, war das Zentrale, der Stoff nur ein Mittel, auf diesen Inhalt wieder aufmerksam zu machen.
Jesus muss in dieser Art von seiner Lehre überzeugt gewesen sein. Sie selbst ist ihm so wichtig, dass es die Verhüllung nicht braucht. Sie selbst ist Offenbarung. Das griechische Wort dafür ist „Apokalypse“ und meint wörtlich übersetzt „Enthüllung“. Wer und wie Gott ist, tritt in Jesu Botschaft deutlich hervor. Natürlich hat auch das Christentum seine Verhüllungsmechanismen entdeckt. Es umgibt die Offenbarung zum Beispiel mit den Elementen des Gottesdienstes, die für Außenstehende nicht immer klar zu deuten sind. Es umgibt die Offenbarung mit einer sichtbaren Struktur, mit Gebäuden, Ämtern und Gremien, es umgibt die Offenbarung mit Gemeinschaften und sozialen Werken. Und nicht selten besteht auch bei uns die Gefahr, die Verhüllung oder Verpackung für das Eigentliche zu halten. All dies ist indes nicht mehr als ein Mittel, das auf den Kern der christlichen Botschaft hinweisen soll. Je besser die sichtbare Gestalt der Kirche auf ihren Inhalt verweist, desto besser ist sie, je mehr sie den Inhalt verunklart, desto schlechter. Der Streit darüber, in welcher Weise das am besten gelingt und welche Fehler in der äußeren Gestaltung begangen werden, begleitet die Kirche durch alle Zeiten. Im Kern geht es um die Beziehung zum dreieinen Gott, der sich in Christus geoffenbart hat. Diese Botschaft soll unter den vielen Gestalten und Stilen des Christentums in seiner geschichtlichen Gestalt weitergeben werden und anziehend werden.
Und beim nächsten Mal bitte etwas zu: „Mysterium fidei…“
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Es ist interessant, dass Sie darauf anspielen. In der Tat gibt es eine Theorie von Odo Casel aus den 20er Jahren, dass das „mysterium fidei“ (Geheimnis des Glaubens) während der Heiligen Messe analog zur Praxis in nichtchristlichen Kulten entstanden sei. Die Gemeinde würde laut Casel an dieser Stelle gemeinsam eine Kurzformel des christlichen Glaubens laut aussprechen, um das „Kultgeheimnis“ preiszugeben. Der Unterschied ist allerdings, dass dieses Geheimnis, also Tod, Auferstehung und Wiederkunft Christi keiner Arkandisziplin unterstand – es durfte freimütig auch außerhalb des Gottesdienstes bekannt werden, was für die Mysterienkulte nicht galt.
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Danke …davon wusste ich natürlich nichts. Ich dachte auch an die Enzyklika von Paul VI.
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