Aus wohlmeinenden Bekundungen sollen in den nächsten Tagen konkrete Vorschriften werden. Derzeit läuft die Abstimmung über die Schutzkonzepte für die Durchführung von Gottesdiensten während der andauernden Corona-Krise. Ich möchte Ihnen gerne einen Einblick in die laufende Diskussion geben. Viele fragen sich nämlich, warum der normale Betrieb in den Kirchen immer noch nicht wieder aufgenommen wurde. Die einen meinen, das sei auch gut so. Die Zeiten ohne öffentliche Gottesdienste sollten ihrer Meinung nach besser aus Schutzgründen noch verlängert werden. Andere halten die Öffnung der Kirchen für die Liturgie längst für überfällig. Die Einschränkung von Freiheitsrechten dürfe nicht über einen so langen Zeitraum fortbestehen. Zudem sei es doch eigentlich logisch, dass in dem Augenblick, wo Baumärkte oder Schulen geöffnet werden, auch die Kirchen wieder in den „Normal-Modus“ schalten müssten. Schließlich gelte bei allen Betätigungen im öffentlichen Raum auch eine Eigenverantwortlichkeit. Wer selbst krank sei oder besonders schutzbedürftig, müsse für sich einfach Zurückhaltung üben. Hier in Mecklenburg spitzt sich die Diskussion weiterhin zu. Die Zahl der gemeldeten Ansteckungen ist zum Glück sehr niedrig – also sollte es doch auch größere Freiräume geben dürfen als in Gebieten, die durch die Ausbreitung des Virus besonders belastet sind.
Die unterschiedlichen Positionen finden sich auch bei den Entscheidungsträgern in den Bistümern. Man möchte auf alle Fälle vermeiden, ein zu hohes Risiko einzugehen, gleichzeitig aber den Bedürfnissen der Gläubigen nach der gemeinschaftlichen Feier des Glaubens in der Liturgie entgegenkommen. Daher ist man in Abstimmungen mit den Ministerien der Bundesländer und anderen zuständigen Stellen, um Sicherheitskonzepte zu erarbeiten. Die Sache ist kompliziert, auch weil die Einschätzungen zur Infektionsgefahr unterschiedlich sind. Einig ist man sich (von dem, was ich überblicken kann) darin, dass allgemeine Regelungen etwa zur Handhygiene oder die Abstandsregelung eingehalten werden sollen. Das ist aber noch nicht viel. Je nach Risikoeinschätzung, besonders bei der Gefahr von sogenannten Schmierinfektionen, kommt man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Ein sehr vorsichtiges Schutzkonzept würde z.B. verlangen, dass die Sakristeien nur vom Priester betreten werden dürften, dass Kirchenbänke nach dem Gottesdienst desinfiziert werden müssten, oder dass die Kommunion in der Heiligen Messe gar nicht oder nur auf Abstand, etwa mit einer Zange gereicht werden könnte. Diese Fragen werden tatsächlich diskutiert. Bevor man allerdings auf die Einzelmaßnahmen kommt, gibt es einige grundsätzliche Erwägungen, die auch nicht unbedingt allgemein geteilt werden:
Es scheint so zu sein, dass ein Gottesdienst in einer Kirche tatsächlich ein höheres Risiko birgt als ein Ladenbesuch. Theater oder auch Gaststätten bleiben zur Zeit ja geschlossen, weil man verhindern möchte, dass sich viele Leute über einen längeren Zeitraum gemeinsam in einem geschlossenen Raum aufhalten. Studien haben gezeigt, dass gerade Veranstaltungen dieses Typs (Gottesdienste, Karnevalsfeiern, volle Tribünen in Fußballstadien) an vielen Stellen zu einer schnellen Verbreitung des Virus geführt haben. Auch wenn Abstandsregelungen eingehalten werden, bleibt eine von vielen „Tröpfchen“ durchsetzte Raumluft ein Risiko. In den Fokus ist hier vor allem das gemeinsame Singen geraten, da gerade hier viele Aerosole aus dem Mundraum freigesetzt werden. Zudem werden Gottesdienste im Normalfall von einer im Vergleich zur Bevölkerung überdurchschnittlichen Anzahl von Angehörigen der Risikogruppen, d.h. vor allem älteren Menschen besucht. Wie mir Mitbrüder berichteten, ist dies aus ihrer Einschätzung an einigen Stellen so stark der Fall, dass sie einen regulären Gottesdienstbetrieb unter Ausschluss der Risikogruppe gar nicht aufnehmen können. Gerade die Aktiven, die sich sonst auch zur Übernahme von liturgischen Diensten oder von Ordnerdiensten bereiterklären, gehören fast vollständig der Risikogruppe an. Das gleiche gilt auch für eine große Zahl von Priestern.
Unter diesen Voraussetzungen wird über ein Bündel von Einzelmaßnahmen diskutiert. Ich möchte Ihnen dazu einen kleinen Einblick geben:
- Die Teilnehmeranzahl: Hält man die Abstandsregel von mindestens 1,5 Metern zum nächsten Gottesdienstteilnehmer ein, bleiben in den Kirchen etwa 20% der bisherigen Sitzplätze erhalten. Offen ist noch, ob nur die Abstandsregel oder auch eine Höchstzahl der Gottesdienstbesucher angegeben wird. Ist ersteres der Fall, sind große Kirchen im Vorteil. In vielen kleinen Kirchen blieben nur sehr wenige Plätze übrig, so dass sie in der nächsten Zeit wahrscheinlich noch nicht „bedacht“ werden können. Eine Alternative wären Freiluftgottesdienste. Wenn allerdings hier ebenfalls eine Höchstanzahl gilt, bringen auch sie nicht den Effekt, größere Zahlen von Besuchern integrieren zu können. Es bleibt die Frage, wie man mit Gottesdienstteilnehmern umgeht, die nicht mehr in die Kirche kommen dürfen, weil alle zugelassenen Plätze besetzt sind. Es braucht voraussichtlich einen Ordnerdienst, der den Zugang regelt und zugleich verhindert, dass es vor den Kirchen zu größeren Menschenansammlungen kommt. Überlegt wird, ob abgesprochene Gruppengottesdienste einen Ausweg bieten können, bei denen eine feststehende Zahl von Gläubigen, z.B. aus einem Familien-, Senioren- oder Freundeskreis zum Gottesdienst kommt. So könnte man reihum zumindest den Kerngemeinden den Gottesdienst ohne größere Schwierigkeiten ermöglichen.
- Die Zahl und Art der Gottesdienste: Ein diskutierter Ausweg ist, die Zahl der Gottesdienste zu erhöhen, um die potentiellen Besucher auf mehrere Zeiten und Orte zu verteilen. Dazu könnten auch nicht-eucharistische Gottesdienste zählen, so dass an einem Sonntag nicht nur Heilige Messen, sondern auch Andachten, Kindergottesdienste oder Wort-Gottes-Feiern stattfinden könnten. Viele Gemeinden stehen dort allerdings nicht nur vor logistischen Herausforderungen, sondern haben ohnehin schon einen Mangel an Priestern, pastoralen Mitarbeitern oder Ehrenamtlichen, die für die Durchführung von Gottesdiensten zur Verfügung stehen. Wegen des schwierigen Faktors „Kommunion“ in der Heiligen Messe wird von einigen auch vorgeschlagen, generell zunächst mit anderen Gottesdienstformen zu beginnen und die Feier der Heiligen Messe zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu ermöglichen.
- Das Singen: Das Singen ist, wie oben beschrieben, ein besonders heikler Punkt. Einige Bundesländer werden wahrscheinlich ohnehin das Tragen eines Mundschutzes im Gottesdienst vorschreiben – damit hat sich ein gemeinsames Singen ohnehin erledigt. Die Vorstellung einer „vermummten Gemeinde“, die auch liturgische Antworten nur durch den Stoff hindurch nuscheln kann, ist nicht gerade attraktiv. Kann so wirklich ein würdiger Gottesdienst gefeiert werden?
- Ein- und Ausgang: Um die Abstandsregel auch zwischen den Gottesdiensten einzuhalten, müssen, dort wo es möglich ist Ein- und Ausgang zur Kirche getrennt werden. Der Eingang wird ohnehin nur unter Vorschriften erfolgen können: Einige Bundesländer planen wohl eine verpflichtende Registrierung aller Gottesdienstteilnehmer mit Name, Anschrift und Telefonnummer, um später Infektionsketten nachverfolgen zu können. Hierbei muss der Datenschutz gewahrt bleiben. Zudem könnte die Desinfektion der Hände vorgeschrieben werden. Das Problem ist ein logistisches: Wieviel Infektionsmittel ist auf dem freien Markt zu diesem Zweck zu bekommen? Dies gilt auch bei vorgeschriebenen Desinfektionen von Türklinken oder sogar Kirchenbänken.
- Einheitliches Vorgehen?: In unserem Erzbistum Hamburg hatte man bislang versucht, diözesan einheitliche Regelungen zu treffen. Es zeichnet sich aber ab, dass die Vorschriften in Hamburg, Mecklenburg und Schleswig-Holstein unterschiedlich sein werden. Insgesamt dürfte eine gewisse Uneinheitlichkeit in diesem Fall akzeptabel sein. Schwieriger wird eine solche Verschiedenheit zwischen den Gemeinden. Wenn eine Pfarrei allein etwa den Gottesdienstbetrieb vor den anderen wieder aufnimmt, zeigen Erfahrungen eine rege Reisetätigkeit, so dass Mitglieder umliegender Gemeinden kommen und den ohnehin engen Rahmen überlasten. Diese Einheit wird schwer herzustellen sein, da einige Gemeinden schon jetzt ankündigen, gerne erst später wieder sonntägliche Eucharistiefeiern einzuführen, während andere lieber heute als morgen starten wollen.
Die sind nur einige wesentliche Punkte, die zur Zeit in der Diskussion sind. Klar ist jetzt schon, dass zukünftige öffentliche Gottesdienste unter den geltenden Sicherheitsbestimmungen nur in sehr eingeschränkter Atmosphäre möglich sind. Das „Hochfahren“ des liturgischen Lebens erweist sich als komplizierter als zunächst gedacht. Wahrscheinlich werden sich ab Mai erste Erfahrungen sammeln lassen.
Zu Kommentieren ist ja eigentlich nichts. Mir fiel zu dem Text, sehr verehrter Herr Propst Dr. Bergner allerdings ein: Was würde Jesus dazu sagen?
Kaum vorstellbar, dass er das abnicken würde…
Weder in St. Anna, noch in St. Martin oder in St. Andreas ist die Raumhöhe so gering oder die Raumtemperatur so hoch, dass bei einer sparsamen Sitzplatzbesetzung Aerosole irgendeine Rolle spielen könnten … da also einen Mundschutz aufzusetzen ist mehr als lächerlich (wie auch der Weltärztepräsident Montgomery diese Maßnahme schon genannt hat).
Noch viel lächerlicher ist allerdings der Vorschlag auch die Sitzbänke zu desinfizieren. Werden die in der Straßenbahn etwa desinfiziert? Die Übertragung des Virus erfolgt – das ist Konsens – über Tröpfcheninfektion. Da müsste also jemand – kein jemand, sondern ein Erkrankter ! – meine Sitzfront angeniest haben und das ziemlich kurz vorher, denn irgendwann sind die Viren sonst weg -, dann muss ich mich mit einem derart angeniesten Popo auf die Bank setzen und dann müsste ein anderer sozusagen mit der Hand auf dieser Bank langstreichen und sich dann an den Mund fassen, damit dann vielleicht eine Infektion möglich sein sollte….
Vorstellbar? Nein!
Ich weiß, dass Sie sich das nicht ausgedacht haben.
Und darum mache ich mich auch nicht etwa lustig. Aber wenn Sie nur irgendwelche Möglichkeiten sehen, die Gremien in Hamburg mal in Richtung medizinisch sinnvoller Maßnahmen zu lenken, weg von solchem Aktionismus, damit wir endlich wieder Gottesdienst feiern können (wegen des Abstands könnte auch vielleicht der Schweriner Dom „ausgeliehen“ werden , das ist z.B. bei der Feier zur Seligsprechung Niels Stensens schon mal geschehen), da sind m.W. 2000 Sitzplätze – mit Sicherheitsabstand könnten also 150 – 200 Gläubige gleichzeitig dort sitzen, dann würden wir ein Stückchen vorwärts kommen.
Wie heißt es immer: Kreativ sein.
BITTE!
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Vielen Dank für den Hinweis auf den Schweriner Dom – die Spur werde ich einmal verfolgen. Ich hoffe, dass wir keine Maximalzahl an Teilnehmern bekommen wie in Thüringen. Dort dürfen nicht mehr als 30 Leute gleichzeitig in der Kirche sein. Den Mundschutz will von uns niemand. Allerdings ist es zur Zeit wahrscheinlich, dass die Landesregierung das in die Auflagen schreibt…
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Der Mundschutz macht wahrscheinlich viel Sinn. So sehen es zumindest die HNO Aerzte in der Kieler Uni Klinik. Dafür sprechen auch die Erfahrungen in Jena. Herr Dr. Montgomery ist Radiologe…Auch bleibt Abstand das Gebot der Stunde. Wir sind am Anfang der Pandemie und haben in den vergangenen Wochen viel Glück gehabt, weil die meisten Menschen die Belastung der Beschränkung ertragen haben. Ich bin angesichts der Oeffnungen sehr skeptisch und neige dazu lieber vorsichtiger zu sein. Im Elsass war ein evangelikales Treffen einer der Gründe für die hohen Infektionen, die das Gesundheitssystem in der Region Est an den Rand gebracht haben.
Und leider schuetzen hohe Raeume nicht… die Troepfchen mit den Viren finden auch dort und selbst draußen ihren Weg.
Da ich seit 26 Jahren in der Krankenhausseelsorge arbeite, weiß ich recht gut, welche Folgen gute oder schlechte Hygieneregeln haben. Das gilt nicht nur für Coronazeiten. So haben die Niederlande viel weniger gefährliche Krankenhauskeime, weil dort bestimmte Regeln mit mehr Disziplin eingehalten werden.
Ansonsten fand ich den Kommentar von Bischof Feige auf katholisch.de sehr gut.
Gereon Lemke, Pfarrer an den Unikliniken in Kiel
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„Der Mundschutz macht wahrscheinlich viel Sinn.“
Der Satz hat es in sich!
Von welchem Mundschutz reden Sie? Der einzige Mundschutz, der Sinn hätte, sind die FFp Masken und die reichen nicht einmal für das Krankenhauspersonal! Krankenhauspersonal und ambulant im Gesundheitswesen arbeitende Personen (auch zum Beispiel Seelsorger, die in Heimen etc. tätig werden sollten) brauchen dringend funktionstüchtige und damit einen Sinn erfüllende Masken. ABER DIE GIBT ES BEI WEITEM NICHT GENUG!!!
Und das was hier so „Mundschutz“ genannt wird, schützt bestenfalls den Mund vor Sonnenbrand! Er schützt nicht den Träger, bei falscher Benutzung kann der ihm sogar schaden, kann im günstigsten Fall VIELLEICHT andere (wenn korrekt aufgesetzt, korrekt abgenommen, mehrmals am Tag gewechselt und regelmäßig sterilisiert) schützen.
Auch wenn Sie in der Krankenseelsorge arbeiten, bin ich der festen Überzeugung dass der Weltärztepräsident mehr davon versteht, außerdem würde er sich in seiner Funktion wohl hüten, etwas zu behaupten, was ein „seit 26 Jahren in der Krankenhausseelsorge“ tätiger Pfarrer widerlegen könnte.
Unabhängig davon halte ich Sensus fidei nicht für das zuständige Forum, um diese Art Diskussionen zu führen. Aber weil ich seit deutlich längerer Zeit als 26 Jahre in einem zuständigen Beruf arbeite, wollte ich es nicht unwidersprochen lassen.
Verzeihen Sie bitte, Herr Propst Bergner.
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Nun wie gesagt, dass sehen HNO-ÄRZTE anders…und wenn hier eine Debatte über das Thema Öffnung stattfindet, kann ich diese Meinung durchaus in den Diskurs einbringen.
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