Salz der Erde

Im Supermarkt sprach mich einmal ein älterer Herr an. Er war offensichtlich mit dem Einkaufen nicht so vertraut. Seine Frau hatte ihm zur Sicherheit mit dem Handy Fotos von den Dingen gemacht, die er einkaufen sollte. Er stand vor dem Regal mit dem Salz und zeigte mir ein Foto von einer Salzpackung. Genau dieses Salz würde seine Frau immer einkaufen. Er könne es nur gerade im Regal nicht finden. Ich sagte ihm, dass es völlig egal sei, welches Salz er kauft. Salz ist immer Salz. Aber er sagte mir, nein, genau dieses Salz müsse es sein. Nach kurzer Zeit hatten wir das Salz gefunden. Ich habe mir gedacht, dass das merkwürdig sei, mich aber eigentlich nicht weiter gewundert, schließlich ist in den letzten Jahren ein richtiger Kult um das Salz entbrannt und man findet mittlerweile die unterschiedlichsten Sorten. Im Wesentlichen ein Marketing-Gag, meine ich. Denn, wie gesagt, Salz bleibt immer Salz. Aber ich habe mich erinnert, dass Salz bei uns in Deutschland über Jahrhunderte ein sehr teures Gut war. Das „weiße Gold“ musste in Salinen aufwändig gefördert werden. Die Hanse war ganz wesentlich auch eine Handelsgemeinschaft, die das Salz im ganzen Ostseeraum beförderte. Von diesem Gedanken her ließe sich das Evangelium vom Salz der Erde leicht verstehen. So wie das Salz etwas Seltenes und Wertvolles ist, das man aber unbedingt zum Leben braucht, so sind auch die Christen für diese Welt etwas Seltenes und Kostbares, das die Welt zum Leben braucht. Und bei der zweiten Aussage Jesu über das Salz, dachte ich, irrt er sich einfach. Salz kann seinen Geschmack nicht verlieren. Es ist sogar eines der wenigen Lebensmittel, das kein Haltbarkeitsdatum hat, also niemals verdirbt. Also besteht doch eigentlich keine Gefahr, dass die Christen im übertragenen Sinn ihr Christsein verlieren. Mit diesen beiden Aussagen über das Salz, dachte ich, wäre eine Predigt über das „Salz der Erde“ eigentlich schon fertig, dachte ich. Aber ich habe mich geirrt.

Zum einen habe ich gelernt, dass das Salz durchaus seinen Geschmack verlieren kann. Jesus nimmt, wie eigentlich immer in seinen Gleichnissen die ganz konkrete Erfahrung der Menschen seiner Zeit auf. Damals gewann man in Israel das Salz durch Verdunstung aus dem Toten Meer. Dieses Salz war aber kein reines Salz, wie wir es heute im Supermarkt kaufen. Neben dem Salz enthielt es eine Menge von anderen Stoffen, die sich bei der Verdunstung ebenfalls ablagerten. Kalk zum Beispiel, andere Mineralien und organische Reste von Pflanzen. Wenn man dieses Gemisch nicht ordentlich lagerte, so dass Feuchtigkeit daran kam, konnte es passieren, dass das eingedrungene Wasser das eigentliche Salz aus der Mischung ausschwemmte und nur noch die restlichen Stoffe übrigblieben. Ein solches Salz hatte seinen Geschmack verloren. Es war zum Kochen nicht mehr geeignet, sondern man verwendete es, vielleicht wegen des Kalkes, als Baustoff und warf es unter anderem auf die Wege, um sie fester zu machen. Deshalb kann Jesus sagen: „Dieses Salz taugt zu nichts mehr, es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten.“ Das zweite, was ich gelernt habe ist, dass Salz damals keineswegs ein Luxusgut war, sondern etwas ganz Alltägliches. Man gewann es am Mittelmeer immer schon aus dem Wasser. Es war in großer Menge verfügbar. Es gibt römische Quellen, die belegen, dass man für einen Haushalt 10,5 Kilo Salz im Jahr pro Person brauchte. Heute sind es zwei bis drei Kilo. Man brauchte diese große Menge Salz, weil man damit Lebensmittel, Fleisch, Fisch, Eier und Gemüse konservierte, indem man sie in Salz einlegte. Salz war also nur zum Teil ein Gewürz, zum anderen Teil wurde es als Mittel gebraucht, um verderbliche Lebensmittel haltbar zu machen.

Wie es häufig geschieht, bekam diese Eigenschaft des Salzes auch einen religiösen Sinn. Das Salz steht für das Bleibende, das Konservierende, das immer Gültige. Es stand im Judentum für das Heilige. Weil alles von Gottes ewiger Güte erhalten wird, bedeutet, Salz in sich zu haben, Gottes Heiligkeit in sich zu haben. Deshalb wurden die Opfergaben im Tempel vorher gesalzen, als Zeichen dafür, dass sie für das Heilige bestimmt sind und vor Gott ewige Bedeutung haben sollen. Das Gegenteil von Salz war der Sauerteig. Was mit ihm in Berührung kommt, verdirbt schneller. Daher durfte sich im Bereich des Heiligen, im Tempel oder am Passah-Fest kein Sauerteig befinden. Wenn Jesus also sagt: „Ihr seid das Salz der Erde“ bedeutet das: Ihr sollt Gott auf der Erde bezeugen. Ihr gehört zum Bereich des Heiligen, deshalb, so Jesus an einer anderen Stelle, sollen sich die Jünger vor dem Sauerteig der Pharisäer hüten, der sie im Sinne der Heiligkeit unrein macht.

Soweit die religiöse Deutung. Damit ist man natürlich noch nicht am Ende. Denn natürlich können Sie sich fragen: was bedeutet das eigentlich konkret? Zugegeben, das Prinzip der Heiligkeit ist heute nicht mehr so vertraut oder man verbindet es mit den Heiligen, Menschen, die dieses Prinzip so intensiv verkörpert haben, dass es für normale Menschen kaum erreichbar ist. Aber etwas von dieser Heiligkeit ist in jedem von uns. Es ist allerdings meist versteckt. Mir ist ein Bild in den Sinn gekommen, dass vielleicht weiter hilft. Das Salz bleibt ja immer Salz. Wenn Sie einen Eintopf kochen, von dem Sie mehrere Tage essen, werden Sie feststellen, dass er jeden Tag salziger wird. Das hat ja den ganz einfachen Grund, dass im Laufe der Zeit das Wasser immer mehr verdunstet, der Salzanteil aber gleich bleibt. Das Salz kommt immer mehr zum Vorschein. Ich habe die Vermutung, dass es in einem menschlichen Leben ganz ähnlich ist. Das Salz, sofern es vorhanden ist, kommt mit den Jahren immer mehr zum Vorschein.

Ich erinnere mich an die Beerdigung einer Frau, die im hohen Alter gestorben war. Ihre drei Töchter, die selbst mittlerweile schon Großmütter waren, haben mir sehr eindrucksvoll von den letzten Jahren ihrer Mutter erzählt. Sie sagten: Es stimmt, unsere Mutter konnte immer weniger, sie war durch das Alter und durch Krankheiten stark eingeschränkt. Sie konnte ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Aber trotzdem blieb sie der Mittelpunkt unserer Familie. Wenn ihre Enkel kamen, dass gingen sie als erstes zu ihr. Manchmal nur, um neben ihr zu sitzen. Und sie kamen jedes Mal glücklich zurück. Diese Frau muss wunderbar gewesen sein und sie wurde im Alter immer wunderbarer. Je mehr sich ihr äußeres Leben einschränkte, desto mehr zeigte sich von ihrer Güte, ihrer Freundlichkeit und der Liebe, die sie für ihre Familie hatte. Bei ihr zu sein bedeutete einfach, sich in die Sonne zu setzen und von dieser Güte umgeben zu sein. Viel mehr war nicht möglich. Viel mehr war aber auch nicht nötig. Das Salz, dort wo es da ist, bleibt. Es mag sein, dass es mit vielem anderen vermischt ist und das es an schlechten Tagen nicht zu schmecken ist. Aber im Grunde ist das Heiligkeit: Das Ewige, Lebensnotwendige zu kultivieren. Von Gott zu empfangen und ihm immer ähnlicher zu werden, trotz aller Unvollkommenheit und allen Brechungen. „Ihr seid das Salz der Erde“, das ist mehr als eine Feststellung, es ist eine Lebensaufgabe.

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