Über Übersetzungen – wie finde ich die „richtige Bibel“?

Was ist eigentlich von der neuen Einheitsübersetzung zu halten? Diese Frage diskutierten wir vor einiger Zeit in einer Runde von Priestern. 2016 war die neue katholische Bibelübersetzung erschienen. Im letzten Jahr wurde sie verbindlich für die Lesungen in den Gottesdiensten eingeführt. Seitdem hören und lesen wir die Lesungstexte und Psalmen in leicht veränderter Form. Für diejenigen, die intensiv mit der Bibel zu tun haben, bedeutet das eine gewisse Umstellung. Oft gelesene Stellen sind ihnen so vertraut, dass auch kleine Änderungen auffallen. In unserem Gespräch waren wir unterschiedlicher Meinung. Wir waren uns darin einig, dass uns die alte Übersetzung von 1979 gute Dienste geleistet hatte. Sie war damals entstanden, um eine zeitgemäße, das bedeutet vor allem, eine gut lesbare, in verständlichen Sätzen geschriebene Fassung der Heiligen Schrift zu haben. Zudem waren das Neue Testament und die Psalmen in ökumenischer Zusammenarbeit übersetzt worden. Die Hoffnung war, so eine deutsche Bibelfassung zu bekommen, auf die sich Katholiken und Protestanten verständigen können. Im Bemühen um eine verständliche Sprache hatten die Übersetzer von damals einige Zugeständnisse gemacht. Der griechische bzw. hebräische Urtext war an einigen Stellen etwas freier übersetzt worden. Zudem hatte man z.B. Satzstellungen verändert, um den Text näher an das aktuelle Deutsch anzugleichen. Exegeten, also Bibelfachleute, waren mit dem Ergebnis nie so ganz einverstanden. Sie haben immer schon für eine etwas originalgetreuere Übersetzung plädiert, um mehr an Feinheiten des Urtextes kenntlich zu machen. Außerdem war es einigen ein Anliegen, auch im Deutschen den „sound“ der biblischen Autoren besser hörbar zu machen. Aus diesen und anderen Gründen kam es schließlich in jahrelanger Arbeit zur „Einheitsübersetzung 2016“. Dass es regelmäßig neue Bibelübersetzungen gibt, ist nichts Ungewöhnliches. Die biblische Forschung entwickelt sich immer weiter, so dass neue Erkenntnisse in eine Übersetzung einfließen. Außerdem verändern sich auch Sprache und das Sprachempfinden. Die evangelischen Christen geben regelmäßig neue Versionen der „Lutherbibel“ heraus. Die letzte Fassung stammt von 2017.

In unserem Gespräch über die Einheitsübersetzung 2016 begrüßten einige die Änderungen. Sie sagten, der Text sei doch etwas näher an den Urtext herangerückt und wissenschaftlich auf dem Stand der Forschung. Andere bemängelten die Neufassung. Der Text sei nun etwas schwieriger zu lesen, weil es sich vom heutigen Sprachgebrauch entfernt habe. Biblische Texte seien oft ohnehin schwer genug zu verstehen. Einer aus unserer Runde empfahl uns sogar die sogenannte „Volxbibel“. Diese Version der Heiligen Schrift ist eine Nacherzählung im heutigen Alltagsdeutsch. Sie klingt ziemlich profan, manchmal auch derb. Das Entscheidende sei doch, dass die Botschaft des Textes verstanden werde und manchmal helfe eine ganz einfache Übersetzung dabei besser. Statt „Jesus antwortete“ könne es ja heute durchaus heißen „Und Jesus so:…“. Tatsächlich ist das mit den Übersetzungen so eine Sache. Wer sich intensiver damit beschäftigt, wird schnell die Unterschiede bemerken. Ein gutes Hilfsmittel für mich ist die Seite www.bibleserver.com. Auf dieser Homepage findet man verschiedene deutsche und internationale Übersetzungen. Einzelne Stellen lassen sich so sehr leicht vergleichen. Dazu folgt nachher noch ein Beispiel. Bevor ich allerdings auf die Unterschiede in den Übersetzung eingehe, möchte ich kurz ein paar Hinweise geben, warum das Übersetzen häufig so schwierig ist. In der Tat kann man ja fragen, warum es nicht eine „richtige“ und für alle verbindliche deutsche Übersetzung gibt.       

Die Schwierigkeiten beginnen mit dem Urtext. Man muss nämlich zuerst fragen, was dieser Urtext eigentlich ist. Für das Alte Testament ist die Sache noch relativ einfach. Als heilige Schrift der Juden stand der Wortlaut des Kernbereiches, des sogenannten „Tenach“ (fünf Bücher Mose, Geschichtsbücher, Prophetenschriften, Psalmen und einige weitere Schriften) bereits lange vor Christus fest. Der Text wurde wortgetreu von einer Abschrift zur anderen weitergeben. Im Neuen Testament ist dies komplizierter. Wir haben keine Originale, d.h. es gibt nicht die Urschrift des Lukasevangeliums, des Römerbriefes oder der Offenbarung des Johannes. Was es gibt, sind Abschriften der einzelnen Bücher, die für den Gottesdienst in den christlichen Gemeinden verwendet wurden. Die Forscher haben alle diese Schriften (die sogenannten „Textzeugen“) gesammelt und akribisch untersucht. Dabei haben die frühesten und die umfangreichsten Sammlungen aus dem 2. oder 3. Jahrhundert natürlich eine besondere Bedeutung. Allerdings sind nicht alle Abschriften gleich. Vergleicht man die verschiedenen Abschriften z.B. des Markusevangeliums, gibt es Unterschiede. Zum einen gibt es klassische Kopierfehler: Es fehlen an einigen Stellen Worte oder Satzzeichen, grammatische Formen im selben Satz variieren in einigen Abschriften. Manchmal sind die Textzeugen auch unvollständig. Es fehlen ganze Absätze oder Erzählungen. Im Markusevangelium ist z.B. der Schluss (Mk 16, 9-20) in den ältesten Abschriften nicht überall vorhanden. Man vermutet, er sei eine spätere Hinzufügung, die dazu diente, den Lesern nochmal eine Art „summary“ über Geschehnisse nach der Auferstehung Jesu zu geben. Die Forscher haben also versucht, alle vorliegenden Versionen miteinander zu vergleichen. Im Kern entsprechen sie sich, aber es gibt, wie gesagt, immer wieder Abweichungen. Der „Urtext“ ist also schon der Versuch einer Rekonstruktion, also der Urschrift durch Vergleich vieler Abschriften möglichst nahe zu kommen. Der Stuttgarter Bibelforscher Eberhard Nestle hat hier entscheidende Arbeit geleistet und 1898 eine historisch-kritische Ausgabe des Urtextes erarbeitet, die bis heute in über zwanzig Neuauflagen je nach Stand der Forschung weiter bearbeitet wurde. Ein Blick in die Urtextausgabe offenbart ein kleines Wunderwerk. Zu jedem Satz des neuen Testamentes ist genau vermerkt, in welchen Textzeugen es Abweichungen zum vorgelegten Text gibt. Insgesamt sind dazu etwa 500 bekannte alte Abschriften untersucht worden. Sobald neue entdeckt werde, werden diese eingearbeitet.

Hat man also die Rekonstruktion des Urtextes, beginnt die Übersetzungsarbeit. Der Text muss aus einer alten Sprache, Griechisch, Hebräisch oder Aramäisch in eine neue übertragen werden. Die alten Sprachen haben eine andere Grammatik, eine andere Wortstellung, Wortbedeutungen, die manchmal nicht einfach mit einem bestimmten Wort wiedergegeben werden. In einzelnen Wörtern sind bildliche Vorstellungen enthalten, andere wecken Assoziationen mit bestimmten außertextlichen Inhalten. Es gibt Wortspiele und rhetorische Figuren, die in einer modernen Sprache nicht mehr abzubilden sind. Zudem spielt das Umfeld eine zentrale Rolle. Wie ein Hörer im Griechenland des 3. Jahrhunderts etwa einen Paulusbrief verstanden hat, können wir nur mühsam erahnen. Was uns heute kompliziert erscheint, kann für ihn ganz einfach zu verstehen gewesen sein. Jetzt haben die meisten europäischen Sprachen den Vorteil, dass etwa der griechische Satzbau in ihnen ganz gut wiederzugeben ist und durch das griechisch-lateinische Spracherbe nicht nur Grammatik, sondern auch Wortstämme oder relativ feste Bedeutungen von Worten in unseren Sprachen weitergegeben wurden. Trotzdem bleibt es kompliziert. Für den kirchlichen Bereich gibt es eine weitere Erschwernis. In der westlichen Kirche waren die biblischen Texte seit der Antike häufig in ihrer lateinischen Übersetzung der sogenannten „Vulgata“ weitergegeben worden. Die lateinische Übersetzung war die Übersetzung für die Gottesdienste und das Gebet. Auch die Vulgata wird immer wieder modernisiert und überarbeitet. Für katholische Übersetzungen gilt der Grundsatz, dass sie nicht nur nah am Urtext sein sollen, sondern zugleich den Urtext und den „sound“ der Vulgata weitergeben sollen, um eine kirchliche Tradition in der Liturgie weiterzuführen. Die Übersetzer der neuen Einheitsübersetzung mussten also Übersetzungstraditionen mit berücksichtigen. Andere Texte z.B. des Messbuches (im Original Latein) zitieren, etwa in den Gebeten, Übersetzungen der Vulgata. Diese Bezüge sollen erkenntlich bleiben. Zudem sollten auch möglichst große Teile der bewährten alten Einheitsübersetzung übernommen werden, damit nicht plötzlich ein ganz anders klingender Text entsteht. In der lutherischen Tradition ist es ähnlich. Jede neue Übersetzung der „Lutherbibel“ soll auf der einen Seite verständlicher werden (im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs), zugleich auf der anderen Formulierungen und Klang der Lutherübersetzung aus dem 16. Jahrhundert wiedergeben.

Die Resultate solcher Übersetzungen sind damit sehr unterschiedlich. Ich möchte ein Beispiel geben. Ein auch konfessionell wichtiger Satz im Matthäusevangelium ist Mt 16,18. Die alte Einheitsübersetzung gibt den Vers so wieder:

Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.

In dieser Fassung ist der Vers den meisten wohl sehr vertraut. Eine Wort-für-Wort-Übertragung aus dem Griechischen wäre etwa so:

Und ich aber dir sage, dass du bist Petros und über (oder „auf“) diesen den Felsstein (oder „Felsen“) werde ich errichten (oder „bauen“) meine die Kirche (oder „Versammlung“ oder „Gemeinde“) und Tore des Hades (oder „Unterwelt“) nicht werden überwältigen diese.

Abgesehen von der anderen Satzstellung und Grammatik fällt auf, dass viele der Worte in ihrer Bedeutung variieren können. Ein Übersetzer muss also auswählen. Interessant ist, dass die alte Einheitsübersetzung von „Mächten der Unterwelt“ spricht. Das ist schon eine Interpretation. Die im Original stehenden „Tore des Hades“ werden als zu überwindender Widerstand gedeutet und personalisiert. Wie sollten auch Tore aktiv etwas tun (nämlich etwas überwältigen)? Die Vulgata übersetzt hier übrigens wortgetreu mit „portae“ – also „Türen“ oder „Tore“. Das griechische Original spielt auf die griechische Vorstellung vom Hades, dem Totenreich an. Dieses war durch mächtige Tore verschlossen.

In der neuen Einheitsübersetzung heißt es jetzt:

Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.     

Man ist also mit den „Pforten der Unterwelt“ an das Original herangerückt. Damit ist allerdings die Frage wieder aufgeworfen, was mit den „Pforten“ gemeint ist. Es geht sicher nicht darum, dass Türen die Kirche zerstören möchten. Das Bild ist für den heutigen Leser „schief“. Die Metapher stimmt logisch nicht.

Die Lutherübersetzung schreibt:

Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.

An dieser Übersetzung sind zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen ist hier von den „Pforten der Hölle“ die Rede. Luther hatte das griechische „Hades“ also bereits interpretiert und die Vorstellung vom Totenreich zum besseren Verständnis für die Hörer seiner Zeit mit der christlichen Vorstellung von der Hölle verbunden. Zum anderen übersetzt Luther bewusst mit „Gemeinde“. Das ist ein Politikum. Das griechische Wort „ekklesia“ (wortgleich im Lateinischen übernommen), ist in der lateinischen Tradition immer das Synonym für „die Kirche“. Luther sucht am griechischen Text nach einer anderen Übersetzungsmöglichkeit. Es ist nicht die Kirche (als Institution), die hier auf Petrus gegründet wird, sondern die „Gemeinde“, also eine Gemeinschaft von Gläubigen. Die Übersetzung ist möglich, vom Wort bedeutet „ekklesia“ „die Herausgerufenen“. Allerdings war die Übersetzung mit „Kirche“ völlig selbstverständlich.

Beide Übersetzungen (Luther und alte EÜ) sind also nicht falsch, enthalten aber beide auch Interpretationen. Eine ziemlich nah am Urtext stehende Übersetzung, die „Elberfelder Bibel“ gibt die Stelle so wieder:

Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und des Hades Pforten werden sie nicht überwältigen.  

Hier taucht wortgetreu der Hades auf, in protestantischer Tradition auch die „Gemeinde“. Eine andere Übersetzung, die „Gute Nachricht“ bemüht sich um möglichst große Verständlichkeit und gibt den Text in etwas freierer Form weiter. Dort heißt die Stelle:

Darum sage ich dir: Du bist Petrus; und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen! Nicht einmal die Macht des Todes wird sie vernichten können.

Hier werden die „Tore des Hades“ wieder interpretiert. Sinngemäß sagt Jesus also zu Petrus: Auf dich werde ich die Kirche bauen und sie wird so stark sein, dass auch der Tod (als feindliche Macht) ihr nichts anhaben kann. Die Interpretation macht Sinn, ist aber in puncto Textgenauigkeit schwierig. Zuletzt noch die Version der Volxbibel (wie gesagt, eine Nacherzählung, keine Übersetzung):

Ich will dir jetzt was sagen: Du bist Petrus, das heißt übersetzt Felsen. Denn du bist wie ein Stahlbetonboden, auf dem ich meine ganze Sache aufbauen werde. Und die wird so stabil sein, dass keine Macht, noch nicht mal die Hölle, sie zerstören kann.

Was ist also die richtige Bibelübersetzung? Die Frage kann nicht beantwortet werden. Alle Übersetzungen versuchen ihr Bestes, um Urtext, Sprachverständlichkeit und Übersetzungstradition in einen guten Einklang zu bringen. Wer eher eine besonders urtextnahe Übersetzung haben möchte, sollte die „Elberfelder Bibel“ lesen. Wer eher sinngemäß und gut verständlich die Bibel lesen möchte, wird eher zur „Guten Nachricht“ greifen. Die beiden großen Übersetzungen der Einheitsübersetzung und der Lutherbibel bilden für beides einen guten Kompromiss.  

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