Vergeblichkeit

Wer Kohelet ist, wissen wir nicht genau. Das biblische Buch, das nach ihm benannt ist, gibt der Forschung immer noch Rätsel auf. Wann es genau geschrieben wurde, ist nicht klar. Es gehört zu den sogenannten Weisheitsbüchern. In ihnen geht es nicht um geschichtliche Erzählungen von Gott. Sie sind auch keine Prophetenschriften, in denen eine bestimmte Person den Auftrag erhält, Gottes Botschaft an das Volk weiterzugeben. Die Weisheitsbücher behandeln häufig die Fragen des guten Lebens. Sie reflektieren den Lauf der Welt und das Handeln der Menschen. Sie sind philosophische Bücher. Das gilt besonders für Kohelet. Er wird zu Beginn des Buches vorgestellt als „Davidsohn, der König in Jerusalem war“. Das ist wohl eine Erfindung. Einen König Kohelet hat es nicht gegeben. Es gibt vielmehr einen Hinweis darauf, wie Kohelet sich versteht: Als König – das heißt eben auch als Weisen, als Deuter und Lenker des Volkes. Wir sollen uns Kohelet also als einen König vorstellen, als einen Mann mit Macht und Reichtum, der seine Betrachtungen über die Welt anstellt. Und sein Fazit ist ernüchternd: Windhauch, alles ist Windhauch. Das heißt: alles ist wertlos.

Denn es kommt vor, dass ein Mensch, dessen Besitz durch Wissen, Können und Erfolg erworben wurde, ihn einem andern, der sich nicht dafür angestrengt hat, als dessen Anteil überlassen muss. Auch das ist Windhauch und etwas Schlimmes, das häufig vorkommt. Was erhält der Mensch dann durch seinen ganzen Besitz und durch das Gespinst seines Geistes, für die er sich unter der Sonne anstrengt? Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger, und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe. Auch das ist Windhauch. (Koh 2,21-23).

Die Anstrengungen des Lebens, der Besitz, das Streben nach Ruhm, jeder Versuch, sich etwas zu erarbeiten – das alles ist Windhauch. Es hat keinen Bestand. Es ist nur scheinbar wichtig. Im Grunde stimmt Kohelet ein großes Lied der Vergeblichkeit an.

Ernest Hemingway hat mit seiner Erzählung „Der alte Mann und das Meer“ eine moderne Version davon geschrieben. Er schildert das Abenteuer des alten Fischers Santiago. Er hat seit 84 Tagen nichts gefangen. Seine Anstrengungen sind umsonst geblieben. Sein Gehilfe Manolin, zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis hat, hat von seinen Eltern das Verbot bekommen, weiter mit Santiago hinaus zu fahren. Er soll sich einen anderen, erfolgreichen Fischer suchen. Santiago erzählt Manolin, dass er am 85. Tag wieder hinaus auf den Golf fahren möchte. Er ist überzeugt davon, dass seine Pechsträhne jetzt zu Ende gehen wird. Er macht sich am frühen Morgen allein auf den Weg. Tatsächlich beißt ein Fisch an, sogar ein sehr großer. Es ist ein Marlin, ein Raubfisch, der bis zu fünf Meter groß werden kann. Nun beginnt der Kampf des Fischers mit dem Fisch. Zwei Tage lang versucht Santiago, den Fisch zu töten. Der Fisch zieht ihn weit auf das Meer hinaus und der alte Mann muss all sein Können und Geschick aufbieten, um in diesem Kampf nicht zu unterliegen. Am dritten Tag ist der Fisch erschöpft und Santiago kann ihn töten. Weil der Marlin so groß ist, gelingt es nicht, ihn in das Boot hieven. Santiago bindet ihn außen am Boot an und macht sich auf den Rückweg. Doch der tote Fisch zieht Haie an, die hier eine leichte Beute wittern. Der Kampf des alten Mannes geht weiter. Es gelingt ihm, einige der Haie in die Flucht zu schlagen. Am vierten Tag erreicht Santiago am Ende seiner Kräfte den Hafen. Er versucht, den Fisch an Land zu holen, aber das einzige was er findet, ist ein Gerippe. Die Raubfische waren stärker. Am Ende ist alles umsonst. Die Anstrengungen, der Kampf, die Hoffnung auf einen großen Erfolg – alles was bleibt, ist ein Gerippe. Hemingway sieht darin ein Bild des Lebens. Das Mühen ist umsonst. Am Ende bleibt dem Menschen nicht mehr, als er vorher hatte. Alles ist Windhauch.

Wie soll ich mit einer solchen Botschaft umgehen? Soll ich die Anstrengungen einstellen? Wenn es im Leben nichts zu gewinnen gibt, warum soll ich es erst versuchen? Es scheint so, als ob Jesus im Evangelium die gleiche Geschichte wieder erzählt (Lk 12,13-21). Diesmal geht es um einen Bauern, der eine große Ernte gemacht hat. Er meint, mit dieser Ernte seinen Lebensabend bestehen zu können. Aber Jesus warnt ihn, seine Hoffnung auf seinen Besitz zu setzten. Was nützt der Besitz? Er kann wieder genommen werden. Am Ende des Gleichnisses heißt es „So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.“ Reichtum ist offenbar etwas anderes, als das, was wir darunter verstehen. Das sagt auch Kohelet. Am Ende des Buches heißt es: „Fürchte Gott und achte auf seine Gebote! Das allein hat der Mensch nötig“ (Koh 12,13). Es gibt einen Reichtum, aber dieser Reichtum ist verborgen. In „Der alte Mann und das Meer“ wird das auf erstaunliche Weise deutlich. Am Ende des Fanges bleiben nur Gerippe. Aber am Ende des Fanges bleibt auch ein Mensch, der sich nicht aufgegeben hat. Der Leser lernt den Fischer Santiago so kennen, dass er voller Bewunderung für dessen Leben, seine Fähigkeiten, seine Ausdauer und seine Persönlichkeit ist. Wer wollte sagen, dass dieser Mensch keinen Reichtum hätte? Das ist ein Hinweis auf das, was das Evangelium immer wieder betont. Der Reichtum des Menschen ist, vor Gott wertvoll zu sein. Sein Ansehen ist nicht von anderen Menschen abhängig, sondern davon, wie Gott ihn ansieht. Hinter den Dingen des Lebens, die einem so erstrebenswert scheinen, liegt etwas, das tiefer und wichtiger ist. „Konzentriert euch darauf“ – das ist die Botschaft Jesu. Euer Bemühen ist nicht vergeblich, aber schaut gut, worauf ihr euer Bemühen setzt. Es mag sein, dass der Wind vieles verweht. Aber ihr selbst bleibt stehen, weil euer Leben Fundament hat und Festigkeit, je tiefer es in der Liebe Gottes wurzelt.

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