Diversity

Wussten Sie, dass wir am 28. Mai, also vor knapp zwei Wochen den „diversity day“ hatten? Dieser Tag wurde von einer Arbeitgeberinitiative ins Leben gerufen. Die Veranstalter sagen dazu:  „Ziel der Initiative ist es, die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt in der Arbeitswelt in Deutschland voranzubringen.“ Unter „Vielfalt in der Arbeitswelt“ wird dabei verstanden, dass das Augenmerk auf die unterschiedlichen Lebensalter, Herkünfte, Religionen gerichtet werden soll, die unterschiedlichen Geschlechter und sexuellen Ausprägungen und die Einbeziehung von Behinderten in der Arbeitswelt. Zur Unternehmensführung gehört heute ein „diversity management“, das einer möglichen Diskriminierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen vorbeugen und ein produktives Arbeitsklima in Ergänzung aller unterschiedlichen Arbeitnehmer schaffen soll.

„Diversity“ ist eines der großen gesellschaftlichen Schlagworte unserer Zeit. Übersetzt heißt es eigentlich nur „Verschiedenheit“. Im Kern geht es um die Auflösung bestimmter Normen und Konventionen, die einzelne Bevölkerungsgruppen strukturell benachteiligen. Es geht um ehemals selbstverständliche Vorstellungen wie die, dass es typische Männer- oder Frauenberufe gibt, dass Führungskräfte älter und erfahrener sein sollten als ihre Mitarbeiter, dass Migranten eher Arbeiter als Akademiker sind, dass Behinderte keiner „normalen“ Berufstätigkeit nachgehen können. Allen Menschen sollen alle Möglichkeiten offenstehen. Das ist ein guter und optimistischer Ansatz. Der „diversity“-Gedanke geht aber noch weiter. In seiner radikaleren Form möchte er gesellschaftliche Normen insgesamt aushebeln. Ein umstrittenes Feld ist dabei etwa die Vorstellung, dass die Einteilung von Menschen in ein Schema „männlich / weiblich“ ebenfalls nur eine gesellschaftliche Konvention ist und es stattdessen eine undefinierte Zahl geschlechtlicher Identitäten gibt. Die „diversity“ wird so im Kern zu einem Aufruf zur ungehemmten Individualität. Dieser Aufruf ist verbunden mit einem Verbot, nämlich dem Verbot, diese Individualität als „unnormal“ oder „gesellschaftsuntauglich“ zu kritisieren.

Bei so viel „diversity“ darf man allerdings fragen, wo dann die „unity“, also die Einheit zu finden ist. Auch die größten Individualisten können nicht daran vorbeisehen, dass sie immer in eine Gemeinschaft eingebunden sind, die Familie, die Nachbarschaft, die Arbeitswelt, die Gesellschaft. Für das Zusammenleben braucht es Ideen und ein Fundament. Sonst kommt es zu einem Auseinanderdriften der Gesellschaft, die sich nur noch in kleinen Subkulturen organisiert. Die letzten Wahlen sind dafür ein deutliches Anzeichen. Die Schnittmengen zwischen den einzelnen Gruppen werden immer geringer, die Spannungen nehmen zu, die Gesellschaft spaltet sich. Der Bundespräsident fragte damals in seiner ersten Rede nach seiner Wahl schon etwas verzweifelt: „Was ist eigentlich der Kitt, der unsere Gesellschaft im Kern zusammenhält?“ Die Sorge ist berechtigt, das Bild ist falsch. Kitt dient schließlich nur zum Abdichten der Risse. Wenn nur noch Kitt etwas zusammenhält, dann ist die Konstruktion fehlerhaft.

Die Verfechter von „diversity“-Konzepten nennen als Kitt die  „Toleranz“. Aber „Toleranz“ sagt nicht viel aus. „Toleranz“ bedeutet nur, dass ich bereit bin, den anderen in Ruhe zu lassen und sein Dasein zu akzeptieren. Das schafft vielleicht einen gewissen Frieden, aber noch keine Gemeinsamkeit. Andere Gruppen suchen nach anderen Grundlagen für die Gemeinschaft. Ist das „Grundgesetz“ eine solches Fundament, oder die gemeinsame Sprache? Sind es die Menschenrechte, der Humanismus oder die abendländische Tradition?

Vielleicht hilft ein Blick auf das heutige Fest. Etwas reißerisch ausgedrückt, erklären die Bibeltexte auf ihre Weise das „diversity management“ Gottes. Vom Heiligen Geist wird ja behauptet, dass er beides bewirken kann: Die Vielfalt und die Einheit. Das Sprachenwunder in der Apostelgeschichte ist dafür ein Beispiel. Die ursprüngliche Einheit der Menschen war zerfallen. Das zeigte sich in den vielen verschiedenen Sprachen. Die Menschen konnten sich untereinander immer schlechter verständigen. Als Petrus aber zu den Volksgruppen in Jerusalem spricht (und zwar in seiner Sprache, Aramäisch), können ihn trotzdem alle verstehen. Die Diversität ist nicht aufgehoben – die Menschen hören Petrus alle in ihrer eigenen Sprache. Aber zugleich ist die Diversität überwunden, denn der Geist hat auf einer tieferen Ebene die Einheit wiederhergestellt.

Ganz ähnlich sagt es Paulus im Korintherbrief (1 Kor 12, 3-13), wenn er von den Gaben des Geistes spricht. Wie eben jeder Mensch anders ist, so sind jedem Mensch auch unterschiedliche Fähigkeiten gegeben, so gibt es unterschiedliche Dienste und Kräfte. Jeder und jede ist anders, aber alle hängen miteinander zusammen, so wie ein Leib viele Körperteile hat. Aber die Körperteile sind aufeinander angewiesen und miteinander verbunden. Hinter allen steht der eine Geist, hinter allen steht der eine Gott.

In der Kirche ist das tatsächlich eine Erfahrung. Der Glaube an Gott verbindet die Christen. Vor diesem Verbindenden treten andere Unterschiede zurück. So gehört es zu meiner Kirchenerfahrung, dass Altersunterschied, Sprache, Nationalität, Krankheit oder Behinderung keine entscheidende Bedeutung haben. Aber das reicht noch nicht. Ein Kritiker würde sagen: ‚Dass ihr Christen euren Glauben als gemeinsame Basis habt, ist ja schön. Eure Trennlinien laufen dann zwischen denen die glauben und denen die nicht glauben. Seid ihr bereit, diese „diversity“ der Religionen und Weltanschauungen mit einzubeziehen, oder zieht ihr hier eure Trennlinie?‘

Das ist eine schwierige Frage. Aber auch die ist beantwortet worden, sogar auf ganz offizieller Bühne im II. Vatikanischen Konzil. Gottes Geist zielt auf die Einheit und Gemeinschaft aller Menschen. Er macht, bildlich gesprochen, nicht an der Kirchentür Halt. Sosehr die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden notwendig ist, um ein Beispiel für diese Einheit zu geben, so sehr sind die Zeichen des Heils auch außerhalb der Kirche zu finden. Alle Menschen haben ihren Ursprung in der Liebe und im Lebenswillen Gottes. Und allen ist die Möglichkeit gegeben, für diese Liebe Gottes bewusst oder unbewusst Zeugnis zu geben. Die Liebe wird zur Norm des menschlichen Zusammenlebens. Das ist mehr als eine blasse Toleranz. Sie bedeutet eine tiefe Anerkennung jedes Menschen, also auch des Menschen, den wir aufgrund seiner Meinungen oder seines Verhaltens verabscheuen. Vor der Diversität steht die tiefe Einheit einer Menschheitsfamilie, die den gleichen Ursprung hat. Das ist der Auftrag eines christlichen „diversity managements“, die Anerkennung und das Verständnis, die Würde und das Lebensrecht jedes Menschen zu fördern. Wer so lebt, wird zum Werkzeug des Geistes, der zugleich die Einheit bewirkt und die Vielfalt hervorbringt.         

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