Feindschaft

„Viel Feind, viel Ehr“ sagt ein Sprichwort. Auf den ersten Blick ist das ein merkwürdiges Wort, sollte man doch meinen, dass man Ehre auf einem anderen Weg als dem der Feindschaft erlangen müsste. Es scheint aber in diesem Wort eine Weisheit zu geben, die sich aus der praktischen Beobachtung menschlicher Beziehungen ergibt. Mit dem Ansehen eines Menschen, wahrscheinlich auch mit dem Zunehmen seiner Bedeutung und Macht geht auch die Bedeutung seiner Gegner einher. Ein harmloser, machtloser Mensch hat in der Regel keine Feinde. Er ist für niemanden gefährlich. Ein mächtiger, einflussreicher Mensch hingegen begibt sich in den Widerstreit mit anderen, sieht sich gegensätzlichen Meinungen ausgesetzt, muss mit internen und äußeren Widersachern rechnen. Es ist offensichtlich eine notwendige Folge von Macht und Anerkennung. Wer ein hohes politisches Amt anstrebt, kommt nicht umhin, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen, die ihm seinen Sieg übelnehmen können. Ein führender Meinungsmacher wird von anderen angefragt und bekämpft. Wer einen einflussreichen Posten hat, muss damit rechnen, dass andere nach Fehlern in seiner Amtsführung suchen und ihm den Posten streitig machen. Erst recht gilt das Könige oder Staaten, die miteinander im Krieg leben. Von der Bedeutung der Feinde aus lässt sich nach dem Sprichwort „Viel Feind, viel Ehr“ offensichtlich die Bedeutung einer Person bemessen. Man sucht sich schließlich Gegner auf Augenhöhe. In der Feindschaft liegt zugleich eine Selbstbestätigung. Die ganze Geschichte ist voll von solchen Feindschaften. Sie erzählen von Neid und Eifersucht und sind nicht selten ein Motor für Entwicklung und Veränderung. Im Augenblick sehen wir in Venezuela die politische Feindschaft zwischen Maduro und Guaido. Die Paare ließen sich beliebig ergänzen: Strauß und Honecker, Springer und Augstein, Merkel und Merz, Piech und Winterkorn, Schröder und Lafontaine, Trump und Clinton…

Bei der biblischen Feindschaft zwischen Saul und David war es so: Saul war eigentlich ein mächtiger König Israels. Er führte Israel zu neuer Größe und war ein erfolgreicher Feldherr. Dann wird allerdings berichtet, wie sich Saul einem Befehl Gottes widersetzt. Daraufhin wird er verworfen. Der Prophet Samuel wird gesandt, einen neuen König zu salben. Er kommt nach Betlehem und salbt den jüngsten Sohn des Hirten Isai. Der junge David kommt an Sauls Hof. Die beiden befreunden sich, David heiratet sogar seine Tochter. Nach dem Sieg über die Philister, bei dem David den Goliath besiegt, wächst die Eifersucht bei Saul. David ist beliebt. Er ist jung, sieht gut aus, kann schön singen. Die Eifersucht wird so groß, dass Saul David umbringen möchte. David bekommt einen Hinweis und flieht. Es beginnt eine lange, abenteuerliche Verfolgungsjagd. David kann Saul immer wieder entkommen. Umgekehrt bekommt David die Möglichkeit, Saul zu töten. Das geschieht sogar zweimal. Von der zweiten Begebenheit berichtet die heutige Lesung (1 Sam 26). Mit dem Tod Sauls wäre die Feindschaft zu Ende. Doch David verschont Saul. Er erteilt Saul damit eine Lehre. Er erinnert ihn an die Grundsätze des gemeinsamen Gottesglaubens: „Der Herr wird jedem seine Gerechtigkeit und Treue vergelten“, sagt er zu Saul. Das letzte Urteil steht Gott zu. David erkennt Saul weiterhin als rechtmäßigen König und Gesalbten an. Im Verschonen zeigt sich seine Überlegenheit. Er unterbricht die Logik der Feindschaft. Tatsächlich versöhnen sich Saul und David bei dieser Gelegenheit. David hat allerdings Angst, dass Saul sich nicht lange an die Versöhnung erinnern wird und ihm erneut nachstellt. Er flieht daher wieder. Saul verkörpert die Ungerechtigkeit, David die Gerechtigkeit. Das Königtum Sauls ist der Weisheit des Königtums Davids im letzten unterlegen.

Wie ist es also mit der Feindschaft? Kann sie wirklich grundsätzlich besiegt werden? Der amerikanische Schriftsteller Joseph Conrad erzählt dazu einmal eine Geschichte, die angeblich auf einer wahren Begebenheit fußt. Die Geschichte heißt „Das Duell“. Es geht um zwei französische Soldaten, die in Napoleons Armee dienen. Als junge Rekruten zerstreiten sie sich wegen einer Liebesgeschichte. Im soldatischen Kontext wird daraus schnell eine Frage der Ehre, die in einem Duell ausgefochten werden muss. Dieses Duell endet ohne Sieger. Die beiden werden in verschiedene Regimenter versetzt, geraten doch im Laufe der Jahre immer wieder aneinander. Jedes Mal setzen sie ihr Duell fort. Dies geht über Jahre so weiter. Als beide schon Generäle sind, begegnen sie sich das letzte Mal. Wieder fordern sie sich zum Duell. Dieses nimmt einen unerwarteten Verlauf. Nach mehreren Schüssen gelingt es dem einen schließlich doch, seinen Gegner zu stellen. Dieser liegt wehrlos vor ihm und bittet ihn nun, das Duell ein für alle Mal zu beenden. Doch der Angesprochene zögert. Er sagt: „Nun ist mir dein Leben in die Hände gegeben. Ich werde das Duell beenden, aber nicht, indem ich Dich töte, sondern indem ich dir das Leben lasse. Wir können dann endgültig Frieden schließen.“ Nach dem Duell trennen sich die beiden. Der Sieger schreibt seinem Gegner einen Brief, in dem er die Feindschaft endgültig begraben möchte. Doch er erhält eine ernüchternde Antwort. Für den Unterlegenen ist die Schmach zu groß. Er will sich nicht versöhnen. Die beiden werden sich nicht mehr duellieren, bleiben aber zeitlebens Feinde.

Ein solches Ergebnis ist ernüchternd, aber keineswegs unrealistisch. Ich glaube, es wäre falsch, das Evangelium von der Feindesliebe zu optimistisch zu lesen:

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen.

Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück.

Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen.

Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!

Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden (Lk 6,27-38).

Jesus fordert die Jünger auf, sich den Feinden gegenüber so zu verhalten, wie David es Saul gegenüber getan hat. Von Versöhnung ist im Evangelium allerdings nicht die Rede. Möglicherweise ergänzen wir diesen Aspekt in unserem Kopf, wenn wir das Evangelium hören. Es stimmt natürlich: Der Zustand der Versöhnung und des Friedens wäre das Beste. Im Evangelium geht die Gewaltlosigkeit nur von einer Seite aus. Es heißt nicht: Liebt Eure Feinde, dann werden sie euch ebenfalls lieben. Nicht der Friede ist der in Aussicht gestellte Zustand. Jesus erinnert vielmehr die Jünger daran, dass es ihnen darum gehen soll, gottesgemäß zu handeln. Wenn Gott barmherzig ist und wir uns Barmherzigkeit von ihm erwarten, dann gibt es keinen Grund, nicht ebenfalls barmherzig zu sein. Es ist vielleicht nicht der Friede und die Versöhnung, die als direkte Folge daraus entstehen. Es mag sein, dass eure Feinde weiter Feinde bleiben. Es ist vielmehr eine Saat, die durch das Verhalten der Jünger ausgesät wird. Wenn sie Zeugnis von der Barmherzigkeit geben, werden sie Nachahmer finden. Wie das Reich Gottes langsam wächst, so kann auch die Versöhnung nur langsam wachsen, wenn sie in Barmherzigkeit gesät wird. Die Feindschaft könnte langsam sterben. Es ist eine Art utopisches Programm. Wie wäre es, wenn das Wort „Viel Feind, viel Ehr“ nicht mehr richtig wäre? Wie wäre es, wenn es ausgetauscht werden könnte gegen ein „Viel Freund, viel Ehr?“. Es ist der alte Traum, das Unheil, dass die Feindschaft bringt aus der Welt zu schaffen. Dies alles beginnt immer wieder von vorn. „Wenn ihr nicht richtet, werdet auch ihr nicht gerichtet, wenn ihr nicht verurteilt, werdet auch ihr nicht verurteilt, wenn ihr euch die Schuld erlasst, wird sie auch euch erlassen werden. Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.“ Man könnte noch hinzufügen: Überschätzt aber Eure Feinde nicht. Schaut darauf, wie ihr Euch verhaltet und überlasst es einem anderen, für eine höhere Gerechtigkeit zu sorgen.

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