Wie hoffnungsvoll sind Sie? Die derzeitige Welt- und Stimmungslage verbreitet derzeit wenig Optimismus. Das Gefühl, sich in einer Abwärtsspirale zu befinden, beherrscht häufig die Diskussion. Irgendwie läuft es nicht mehr. Die Zukunft verheißt wenig Gutes. Angesichts der großen Fragen von Krieg und Frieden, von Klimawandel, demografischen Prognosen, wirtschaftlicher Rezession und politischer Unsicherheit, ist die am weitesten verbreitete Hoffnung vielleicht die, dass es nicht ganz so schlimm kommen möge wie befürchtet. Dies gilt auch für die kirchliche Situation, die hier an Hoffnungsmangel mit der weltlichen Situation mithalten kann. Jetzt geht dieses Weihnachten das unter dem Leitwort „Pilger der Hoffnung“ stehende Heilige Jahr zu Ende. Für die Kirche habe ich an anderer Stelle bereits nach Hoffnungszeichen gesucht.[1] Hier soll es um das Weihnachtsfest als Fest der christlichen Hoffnung gehen.
Was ist eigentlich Hoffnung? 2010 brachte der Regisseur Christopher Nolan seinen Film „Inception“ heraus. In ihm geht es um einen amerikanischen Agenten, der versucht, das Verbrechen dadurch zu bekämpfen, dass er seinen Gegner ihre Geheimnisse entlockt, verborgene Passwörter, Pläne oder Geheimnisse, die allein im Gedächtnis zu finden sind. Der Agent bedient sich dazu einer raffinierten Methode. Mittels einer ausgefeilten Technik steigt er in die Welt des Traumes hinab, dringt in das Unterbewusste seiner Gegner vor. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass der Agent dabei selbst ein Getriebener ist. Er wurde des Mordes an seiner Frau angeklagt und musste aus seinem Heimatland fliehen. Nun versucht er, sich als Traumjäger zu bewähren und nimmt selbst die gefährlichsten Missionen an, weil er eine große Hoffnung hat: Irgendwann rehabilitiert zu sein und nach Hause zurückkehren zu können. Er möchte seine Kinder wiedersehen. Der Antrieb seines Handelns ist diese große Hoffnung. Die Heimkehr ist sein Ziel, der er alles unterordnet.
Als Papst Benedikt XVI. seine Enzyklika über die christliche Hoffnung veröffentlicht[2], beschreibt er die Hoffnung auf eine ganz ähnliche Weise: „Gegenwart, auch mühsame Gegenwart, kann gelebt und angenommen werden, wenn sie auf ein Ziel zuführt und wenn wir dieses Ziels gewiss sein können; wenn dies Ziel so groß ist, dass es die Anstrengung des Weges rechtfertigt.“ Der hoffnungsvolle Mensch hat also ein Ziel, auf das hin er sein Handeln und Leben ausrichtet. Die Hoffnung ist dabei eine Lebenskraft, die ihm ermöglicht, die Härten und Rückschläge seines Weges zu überwinden.
Man könnte von einem „Idealismus“ sprechen, den es braucht, um Menschen anzutreiben. Im gesellschaftlichen Bereich tauchen solche Idealismen immer wieder auf, man denke an die Friedensbewegung, die emanzipatorischen Bewegungen oder an die heutige ökologische Bewegung. Der Idealismus muss dabei nicht immer liberal-progressiv sein. Auch nationalistisches Gedankengut, der Einsatz gegen die Abtreibung oder der Ausstieg aus der Europäischen Union kann die idealistische Kraft der Hoffnung freisetzen. Häufig sind die Bewegungen der Hoffnung solche, die sich aus meinen persönlichen Lebenszielen ergeben, einem Wunsch nach beruflichem Erfolg, nach Anerkennung, Partnerschaft oder Familie.
Die christliche Hoffnung erscheint hier zunächst nur als Spielart dieser idealistischen Lebensausrichtung. Das christliche Leben folgt einer Hoffnung, die sich auf das Ganze des Lebens bezieht, eine Suche nach dem ewigen Leben, der sich das irdische Leben unterordnet. Es ist die österliche Perspektive, die das Leben prägen soll und die Verheißungen des Lebens in Fülle, wie sie das Johannesevangelium, die Paulusbriefe oder auch die Offenbarung prägen. Es scheint von außen so, als richte sich das Leben nach einer fernen Verheißung hin aus, der man eben glauben kann oder nicht. Es gab Epochen, in denen das Christentum in dieser Weise verstanden wurde, als ein Bußweg zur Vorbereitung auf die himmlische Herrlichkeit. Gegen diese geistliche Denkfigur hatte Luther Protest erhoben. Sie kehrte in der Barockzeit wenig später aber mit Macht zurück.
Ein solches Verständnis der Hoffnung ist unvollständig. Papst Benedikt weist darauf hin, dass es ein Irrweg der Hoffnung ist, das Ziel durch technische Mittel zu erreichen, wie es etwa der Kommunismus vorschlug. Man muss nur auf ein Ziel hinarbeiten, dann stellt es sich auch ein. Hoffnung ist aber kein Automatismus. Benedikt schreibt, vielleicht auch mit einem Seitenblick auf kirchliche Reformbestrebungen: „Der rechte Zustand der menschlichen Dinge, das Gutsein der Welt, kann nie einfach durch Strukturen allein gewährleistet werden, wie gut sie auch sein mögen. Solche Strukturen sind nicht nur wichtig, sondern notwendig, aber sie können und dürfen die Freiheit des Menschen nicht außer Kraft setzen. Auch die besten Strukturen funktionieren nur, wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können. Freiheit braucht Überzeugung; Überzeugung ist nicht von selbst da, sondern muss immer wieder neu gemeinschaftlich errungen werden.“[3] Mit anderen Worten: Die Hoffnung darf nicht substanzlos werden.
Papst Benedikt zitiert dazu Hebr 11,1.[4] In der gängigen Übersetzung heißt der Vers: „Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht.“ Was hier als „Grundlage“ widergegeben wird, heißt im Lateinischen „substantia“. Der Glaube ist also mehr als eine Grundlage. Er ist etwas sehr Handfestes, etwas, das eben schon da ist. Benedikt schreibt unter Berücksichtigung einer Auslegung des Verses bei Thomas von Aquin: „Der Begriff der ‚Substanz‘ ist also dahin modifiziert, dass in uns durch den Glauben anfanghaft, im Keim könnten wir sagen – also der ‚Substanz‘ nach –, das schon da ist, worauf wir hoffen: das ganze, das wirkliche Leben. Und eben darum, weil die Sache selbst schon da ist, schafft diese Gegenwart des Kommenden auch Gewissheit: Dies Kommende ist noch nicht in der äußeren Welt zu sehen (es „erscheint“ nicht), aber dadurch, dass wir es in uns als beginnende und dynamische Wirklichkeit tragen, entsteht schon jetzt Einsicht.“ Die Hoffnung gründet also in etwas, das bereits da ist. Wer hofft tut dies, weil er etwas erfahren hat. Es ist bezeichnend, dass die Hoffnung in der christlichen Ikonographie als Person mit einem Anker dargestellt wird. Der Anker hat dem Menschen bereits einen sichern Platz im Leben gegeben. Er ist unterwegs zu etwas, das er bereits kennt.
Im Film „Inception“ ist der Agent deswegen auf die Begegnung mit seinen Kindern aus, weil er diese Begegnung kennt.
Ein anderes Beispiel: Thomas Mann hat in seiner Novelle „Tonio Kröger“ das Portrait eines hoffenden Menschen beschrieben. Er zeichnet in den ersten Kapitel Tonio als Schüler, der die beglückende, liebende Erfahrung der Gemeinschaft mit einem Mitschüler macht, Hans. Tonios weiterer Lebensweg ist bestimmt von einer unbestimmten und vielleicht unbewussten Hoffnung auf Wiederbegegnung mit Hans oder Wiederbelebung dieser kindlichen Erfahrung. Er verliebt sich in ein Mädchen, das Hans äußerlich sehr ähnlich ist. Er unternimmt als gereifter junger Mann eine sehnsüchtige Heimreise in seine Heimatstadt, um vor dem Haus, in dem Hans wohnte, Halt zu machen. Er hofft auf das, was ihm schon begegnet ist.
Wer schon einmal eine intensive Glaubenserfahrung gemacht hat, kann diesen Gedanken gut nachvollziehen. Wo die Seele einmal im Gebet oder in der Betrachtung einen Ankerpunkt in der Gottesbegegnung geworfen hat, bleibt sie dieser Erfahrung verbunden, manchmal auch dort, wo die religiöse Biografie durch lange Unterbrechungen der Glaubenspraxis geprägt ist. Etwas pathetisch gesagt, ist ein christliches Ritual wie die Heilige Messe im besten Sinn die Bereitstellung eines solchen Ankerplatzes, eine geistliche Heimkehr, auch wenn sich das religiöse Erlebnis natürlich nicht bei jedem Mal einstellen kann. In dieser Weise kann auch das familiäre Weihnachtsfest ein biografisches Ankern in einer ursprünglichen Erfahrung sein, weswegen es bei vielen durch gleichbleibende Riten geprägt ist.
Christlich müssen wir daher sagen: Die Hoffnung ist nicht bloß österlich, sie ist auch weihnachtlich. Sie streckt sich aus nach dem was kommen wird, aber nur, weil sie bereits etwas erfahren hat. Heilsgeschichtlich hat die Menschheit die Erfahrung mit der realen Gottesbegegnung im Leben Jesu Christi bereits gemacht. Ohne diese Erfahrung bliebe die Hoffnung substanzlos oder unbestimmt.
[1] Hoffnungszeichen für die Katholische Kirche – Sensus fidei
[2] Spe salvi (30. November 2007)
[3] Spe salvi, Nr. 24
[4] Spe salvi, Nr. 7
Hoffen hat eine weitere Dimension: Loslassen.
Hoffen und glauben sind in dieser Hinsicht eng miteinander verwandt – wir verlassen uns auf Gott und geben Kontrolle und Machtstreben auf.
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Wie gut funktioniert das mit „Kontrolle und Machtstreben aufgeben“ in der Praxis, in den Religionsgemeinschaften ?
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Gute Frage. Nächste Frage?
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Zur Heuchelei hätte ich noch eine Frage, aber die hebe ich mir für später auf.
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Warum warten?
Ich finde an den Fragen erkennt man einen Menschen häufig noch besser als an den Antworten.
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Ja, manche hinterfragen alles, um es zu verstehen; andere hinterfragen nichts.
Die Frage nach der Heuchelei hebe ich mir für einen passenden Moment auf.
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Das Urteil „Heuchler“ erfordert sehr viel Menschenkenntnis. Ich persönlich bin da sehr vorsichtig. Ich habe in meinem Leben sehr viele Menschen getroffen. Ich wurde oft überrascht. Nicht selten musste ich ein vorschnell getroffenes Urteil revidieren. Erst als ich lernte, dass es mir nicht zusteht Urteile zu sprechen, konnte ich mich selbst mit meinem Schatten erkennen und annehmen. Danke für das Gespräch.
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Wenn man Fragen stellt um Dinge und Sachverhalte zu verstehen, fällt man längst kein Urteil.
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Macht/streben= Kontrolle beibehalten meistens geleitet durch Gefühle wie Unsicherheit, Angst.
Loslassen, heißt nicht verlieren.
In Wahrheit=
– Kontrolle schafft Distanz
– Loslassen schafft Verbindung.
Machtstreben ist auch ein Versuch, unangenehme Gefühle wie Neid, Scharm, Angst nicht zuzulassen.
Die Verbindung zu Gott, lässt mich diese Gefühle aushalten, ohne etwas zu tun (Loslassen). Verbindung zu einer Religionsgemeinschaft bedeutet auch Loslassen und andere Gefühle wie Dankbarkeit, Hoffnung, Mitgefühl, und stark sein allein und in einer Gruppe zuzulassen.
Unterschied
Heuchelei/ so tun, als wäre man besser, als man ist.
Unvollkommenheit/ scheitern, es bemerken daraus lernen. Z.B. nicht immer eine Antwort liefern können.
Christsein ist keine Perfektion,sondern ein Weg!
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