Melchisedek [zu Fronleichnam]

In meiner Studienzeit kamen wir im Priesterseminar einmal auf einen alten Jesuitenpater zu sprechen und spekulierten darüber, wie lange er wohl schon Priester sei. Da sagte mein Gesprächspartner: „Der ist so alt, der war ja schon bei der Primiz vom Melchisedek“.

Das ist ein typischer Theologenwitz. Er setzt voraus, dass man weiß, was eine Primiz ist – nämlich die erste Heilige Messe eines neugeweihten Priesters. Und der Witz setzt voraus, dass man weiß, wer Melchisedek ist.

Melchisedek (korrekter wäre wohl Malkizedek, „König der Gerechtigkeit“) ist der erste Priester, der in der Bibel erwähnt wird. Das war zu Abrahams Zeit, also noch bevor es das Volk Israel, die Leviten (der jüdische Priesterstamm), den Tempel von Jerusalem und seine Opfer gegeben hat. Im Buch Genesis wird dieser Melchisedek als König von Salem dargestellt. Er bringt Abraham Brot und Wein und segnet ihn.

„Was hat das zu bedeuten“ – so haben sich die frühen Christen gefragt, als sie diese Stelle gelesen haben. Der Hebräerbrief deutet schon im Neuen Testament Melchisedek als ein Vorausbild Christi. Der Kirchenvater Ambrosius erklärt diesen Zusammenhang so[1]: Melchisedek ist ohne Abstammung, ohne Vater und Mutter, ohne Anfang und Ende. Er ist selbst ein Gerechter, ein König des Friedens, wie es auch Jesus ist. In ihm ist etwas Ewiges ausgesagt, Gottes Zuwendung von Beginn der Schöpfung an, wie sie in Christus, der aus Gott geboren wurde, in unübertrefflicher Weise sichtbar geworden ist. Die Zuwendung Gottes vom Beginn der Zeiten wird schon im Buch Genesis durch die Gaben von Brot und Wein ausgedrückt. Ambrosius schließt daraus, dass die Sakramente, die Heilszeichen von Gottes Gegenwart schon uralt sind, in gewisser Weise immer schon da waren.

Die Begegnung von Abraham und Melchisedek wird aus dieser Tradition heraus am Fronleichnamsfest gelesen, an dem das Sakrament der Eucharistie im Mittelpunkt steht. Es wird von Jesus eingesetzt und bezeugt seine bleibende Gegenwart bis zum Ende der Zeiten. Zugleich allerdings reiht es sich in die Geschichte Gottes mit seinem Volk ein. Gottes guter Wille, sein Beistand, seine Treue und Liebe zu uns Menschen hat sich in Zeichen immer schon offenbart. Was wir heute feiern, ist gewissermaßen etwas Uraltes, das mit der Schöpfung bereits begonnen hat.

Dieses Gute, das Gott für uns will, ist für alle Zeiten in unsere Geschichte eingeschrieben. Es vielleicht ganz gut, daran zu erinnern, gerade jetzt, wo viele angesichts der Kriege und angesichts der Verhärtung im politischen Geschehen der Welt so viel Schlechtes erfahren und sehen. Gerade jetzt, wo es eine Unsicherheit gibt, wie sich unsere Geschichte weiterentwickeln wird, wo viele Angst um den Frieden und Zusammenhalt auch bei uns haben. Die Folge der Sünde ist überall zu sehen. Dagegen steht Gottes Plan, die Macht der Sünde zu brechen. Das Sakrament der Eucharistie als Vergegenwärtigung von Kreuz und Auferstehung steht dafür. Es ist ein Hoffnungsbild der Versöhnung zwischen Gott und Mensch und der Menschen untereinander. So legen wir in dieses Zeichen die Nöte unserer Welt hinein. Wer das Sakrament empfängt, soll Zeuge Christi werden, sich auf das engste mit ihm verbinden und selbst zu einem Träger der Gerechtigkeit und des Friedens werden.

Abraham empfängt am Anfang unserer Glaubensgeschichte Brot und Wein und den Segen von Melchisedek. In diesem Segen liegt sein Auftrag für seine Familie und für seine Nächsten. Ambrosius deutet es so: Wir wechseln in diesem Zeichen die Ordnung. Von nun an soll unsere Bestimmung nicht von unserer Natur gegeben sein, sondern sie soll eine gnadenvolle, geistliche Bestimmung sein, die in der Lage ist, die Sünde zu überwinden und das Gute zu erkennen.  


[1] Ambrosius, Über die Mysterien, in Bibliothek der Kirchenväter, Bd. Ambrosius III, München 1917, 296f.

Ein Kommentar zu „Melchisedek [zu Fronleichnam]

  1. Danke für den schönen Beitrag.

    Wikipedia erwähnt übrigens auch einen zweiten Aspekt: Melchidesek verwendete Brot und Wein als Opfer – während nachfolgende Priester Opfertiere verwendeten. Weißt du warum die Priester ihre Praxis geändert haben?

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