Friede der Gerechten und Ungerechten

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,28). Diese Worte Jesu an seine Jünger stehen im Zentrum des heutigen Evangeliums. Sie werden in einer bedrängenden Situation gesprochen – im Abendmahlssaal, kurz vor dem Gang zum Ölberg. Die Anspannung angesichts des bevorstehenden Leidenswegs ist bereits zu spüren. Wer wünscht sich in einer solchen Situation nicht die Ruhe des Herzens, einen Frieden, der im Inneren zu spüren ist?

Der Wunsch nach Frieden ist in unserer Gegenwart deutlich zu hören. Es ist der Wunsch nach dem Ende der Kriege, nach dem Ausgleich der gesellschaftlichen Spannungen, aber auch des ruhigen Herzens angesichts von Bedrohungen, Sorge und Krankheit in meinem eigenen Leben und Umfeld.

Als Papst Leo seine erste Ansprache auf der Loggia des Petersdoms gehalten hat, begann er mit der österlichen Botschaft des Friedens. Der Papst sagte: „Auch ich möchte, dass dieser Friedensgruß in eure Herzen eindringt, eure Familien erreicht, alle Menschen, wo auch immer sie seien, an alle Völker, die ganze Erde. Der Friede sei mit euch! Das ist der Friede des auferstandenen Christus, ein unbewaffneter Friede und ein entwaffnender, demütiger, beharrlicher Friede. Er kommt von Gott, von Gott, der uns alle bedingungslos liebt.“

Wir wünschen uns Frieden. Alle Menschen wünschen sich Frieden. So hat es der Heilige Augustinus vermutet, der ideelle Gründer des Augustinerordens, dem Papst Leo angehörte. Augustinus sah im Wunsch nach Frieden eine menschliche Grundkonstante. Allerdings blickte er skeptisch auf den „Frieden, wie die Welt ihn gibt“. Der Gedanke des großen Kirchenvaters war: Weil wir uns Frieden wünschen, sind uns zuweilen alle Mittel recht, diesen Frieden zu erreichen. Menschen sind sogar bereit, gegeneinander Krieg zu führen, um für sich Frieden, also einen Zustand der Sicherheit und der Ruhe zu finden. Der Friede der einen ist der Unfriede der anderen. So mögen sich alle im Ziel nach Frieden einig sein, aber nicht über die Wege, diesen Frieden zu erreichen. Augustinus unterscheidet daher einen „Frieden der Ungerechten“ (die den Frieden auf Kosten anderer erstreben) und einem „Frieden der Gerechten“.1

Als ich vor dem 1. Mai in Schwerin in eine der Kundgebung der Ostermärsche geriet, konnte ich diese Spannung hautnah erleben. Der Redner auf der Bühne forderte Frieden in der Ukraine. Er vertrat einen radikalen Pazifismus, nach dem der Friede nur durch das Schweigen der Waffen zu erreichen sei. Wer auch immer versuche, mit Waffen einen Frieden zu sichern, der wolle diesen Frieden in Wirklichkeit gar nicht, sondern er sei ein Kriegstreiber. In der Konsequenz beschuldigte er die deutsche Regierung, durch Waffenunterstützung in der Ukraine den Krieg anzuheizen und den Frieden zu verhindern.

Was sich der Redner wünschte, war gewissermaßen ein idealer Friede, ein „Friede der Gerechten“. Dieser ideale Friede ist vielleicht einer, den die Welt eben kaum zu geben vermag. Es wäre ein Friede, der aus Einsicht kommt, vor allem aber aus Umsicht. Wer für sich den Frieden möchte, muss ihn notwendigerweise auch anderen zugestehen wollen. Er müsste davon überzeugt sein, dass allen anderen der Friede ebenso am Herzen liegt, so dass im letzten alle ihre eigenen Bedürfnisse zurücknehmen müssten, um Platz für die Bedürfnisse der anderen zu haben. Wer „gerecht“ ist, hat einen Blick für den anderen, für ein Gleichgewicht der Interessen und Wünsche. Es ist ein Blick, der ihn dazu bringen würde, die eigenen Interessen und Wünsche nicht als erste Ziele zu betrachten.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Jesus im Evangelium den Frieden in einem Atemzug mit der Liebe nennt. Sie ist die Bedingung des Friedens, der über das Menschliche hinausgeht. Da die Liebe Gottes allen Menschen gilt und ihnen allen auch im gleichen Maße, hat Gott den Wunsch nach Frieden aller im Blick. Der Friede ist dann mit Verzicht auf den Eigennutz verbunden – zugunsten der anderen. Er setzt eine Liebe zum anderen voraus, eine Liebe die den anderen in seiner Freiheit und seinem Streben nach dem Glück wahr- und annimmt.

Mit Blick auf unsere Gegenwart dürfen wir nicht zu optimistisch sein, dass ein solcher Friede aus unserer eigenen menschlichen Kraft erreichbar sein wird. Die Welt wird ihn uns nicht geben können, es sei denn, diese Welt würde sich verändern.

Genau das ist eine Idee der Sendung Christi. Durch sein Opfer will er die Welt mit Gott versöhnen, also das durch die Sünde gestörte Verhältnis der Menschen zu Gott wieder in Ordnung bringen, damit die gegenseitige Liebe wieder eine Chance hat. Die Versöhnung ändert die Welt. Der wahre Friede wächst so aus der Beziehung zu Gott. Es soll ein Friede sein, in dem sich das Herz nicht beunruhigen muss. Ein solcher Friede kommt von Gott. Ohne den Glauben wird es ihn kaum geben können.

Beitragsbild: Skulptur vor der Basilika San Francesco in Assisi       

  1. Augustinus, De civitate Dei XIX, Kapitel 11-13 ↩︎

4 Kommentare zu „Friede der Gerechten und Ungerechten

  1. Ich bin genau auf diesem Ostermarsch in Schwerin mitgelaufen… vielleicht sind wir uns begegnet.

    Das sind interessante Gedanken. Ich stimme dir zu, es ist fraglich, ob diese Welt uns Frieden geben kann.

    Umso wichtiger ist es als Christ in dieser Welt aufzustehen und ein Signal zu geben. Wie du sagst, die Liebe ist der Weg aus diesem Kriegsschlammassel.

    Liebe ist stärker als Hass. Davon bin ich überzeugt und ich habe es unzählige Male in meinem Leben erlebt. Ob im Streit in der Familie, in kontroversen Diskussionen … oder … im Verteidigungsfall.

    Es ist eine Illusion mit Waffen Frieden schaffen zu wollen. Das stärkste Waffensystem und die größte Armee können niemals wahren Frieden schaffen. Im Gegenteil, machen wir uns nichts vor: Waffen sind zum Töten da. Und sie hinterlassen Verletzte und Tote und deren Angehörige. Und das sät neuen Hass.

    Ich glaube auch nicht daran, dass es in einem Krieg „die Bösen“ und „die Guten“ gibt. Natürlich ist es zu verurteilen, wenn ein Land ein anderes überfällt, aber genau in diesem Moment… in dem ich oder mein Land oder meine Familie oder mein Freund angegriffen wird – genau in diesem Moment (!) zeigt sich, ob ich die Botschaft Jesu verstanden habe und ob ich bereit bin meinen eigenen Hass, meine Verletzung, meine Wut zu überwinden. Ob ich wirklich daran glaube, dass Liebe die stärkste Antwort auf eine Verletzung ist. Keine leichte Aufgabe. Leicht dagegen für mich diese Worte zu sprechen, wenn ich nicht in der Situation des Angegriffenen bin. Trotzdem braucht es diese Worte. Jetzt.

    Auch ein Verteidigungskrieg bedeutet letztlich sich auf die Sprache des Angreifers einzulassen und dem Hass freien Lauf zu lassen.

    Herzliche Grüße aus dem Garten von
    Pettersson aus Pettersson‘s Schafstall

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  2. Ostermärsche — wären die nicht auf dem Roten Platz in Moskau angemessener gewesen als z.B. in Schwerin ?

    Hat der Papst die Möglichkeit, den russ. Präsidenten Putin zur Privataudienz in den Vatikan einzuladen — auch wenn Putin kein kath. Christ ist ?
    Oder wenigstens den Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, der gewissermaßen ein Amtskollege ist ?

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    1. Ein Ostermarsch in Moskau würde zweifelsohne zur Verhaftung führen. Vielleicht zum Tod. Auch in Kiew wird kein Widerstand gegen den Krieg geduldet.

      Insofern kann ich nicht sagen, ob im Krieg ein Ostermarsch angemessen wäre. Wenn man gewaltlos gegen Gewalt demonstriert, ist der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt wichtig. Wenn erst Krieg ist, ist es zu spät.

      Trotz allem gibt es die Mutigen, die ihr Leben für den Frieden riskieren. Ohne diese Menschen hätte es keinen Mauerfall gegeben. Die Apartheit wäre nicht abgeschafft worden. So gibt es etliche Beispiele, in denen Gewaltlosigkeit gesiegt hat und Tote vermieden wurden.

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  3. Als ich Ihren Text las, fiel mir spontan der Beitrag von Stefan Nold ein, „Krieg sei mit euch“, 22. Mai 2025, manova-news. Es geht im Artikel zwar um den Zustand der Evangelischen Kirche, die Katholische Kirche ist aber nicht minder zu betrachten.  Man kann heute nicht umhin, bei jedem christlichen Thema, bei jeder Betrachtung der Botschaft Jesu, den Zustand der beiden deutschen Amtskirchen im Kontext zu beschreiben und die Frage zu stellen, wie weit entfernen sich diese von der Botschaft Jesu? Es ist meines Erachtens ein großes Versäumnis, es nicht zu tun. Einfach ausblenden, kann keine Lösung sein. Stefan Nold blendet nicht aus. Drei meiner Familienmitglieder sind jetzt gleichzeitig aus der Evangelischen Kirche ausgetreten, jung wie etwas älter. Sie sind nicht ausgetreten, obwohl sie Christen sind, sondern WEIL sie Christen sind. Sie sind ausgetreten, WEIL ihnen die Botschaft Jesu wichtig und Wegbeschreibung ist.

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