Die kirchliche Statistik für 2024: Was lässt sich prognostizieren?

In diesen Tagen sind die kirchlichen Statistiken für das Jahr 2024 veröffentlicht worden. Beinahe zeitgleich haben die Deutsche Bischofskonferenz, die EKD (Evangelische Kirche Deutschlands) und auch unser Erzbistum Hamburg die Zahlen herausgegeben.[1] Der Befund ist ähnlich ernüchternd wie in den vorhergehenden Jahren: Sowohl die katholische Kirche als auch die evangelische verliert in großer Zahl Mitglieder. Dass die Gesamtzahl der (gemeldeten) Christen noch bei über 50% der Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt, ist nur noch unter Hinzuziehung der orthodoxen und freikirchlichen Gläubigen aussagbar.

Die katholischen Bistümer verzeichnete 2024 über 320 000 Austritte, die evangelischen Landeskirchen sogar 345 000. Berücksichtigt man die Sterbefälle, kommt etwa die gleiche Zahl noch einmal hinzu. Demgegenüber stehen auf katholischer Seite rund 123 000 Taufen und Kircheneintritte, auf evangelischer rund 125 000. Netto haben also beide Kirchen jeweils über eine halbe Million Mitglieder verloren. Die Zahl der Taufen und anderen kirchlichen Feiern zieht zwar nach dem Corona-Knick wieder an, hat aber noch längst nicht das Niveau von 2019 erreicht. Der durchschnittliche Gottesdienstbesuch ist katholischerseits auf 6,6% gesunken.

Eine Trendumkehr ist kaum zu erwarten. Es mag sein, dass die Zahl der Kirchenaustritte wieder sinkt. Die Altersstruktur der gemeldeten Christen lässt allerdings nicht erwarten, dass die Zahl der Verstorbenen in den nächsten Jahren abnehmen wird. Für die Kirchen ein zusätzliches Problem ist, dass mit den sogenannten „Babyboomern“ eine überdurchschnittlich große Gruppe an Kirchensteuerzahlern in diesen Jahren in den Ruhestand tritt. Die bereits mehrfach geschilderten Auswirkungen[2] sind: Weniger Gläubige, weniger Geld, weniger Priester und andere Mitarbeiter in der Pastoral.

Im vergangenen Jahr wurden 29 neue Priester in den Bistümern geweiht – ein historischer Tiefstand. Zehn Jahre zuvor waren es rund 70, vor zwanzig Jahren 120. Dies bedeutet, dass 2024 statistisch jedes der 26 deutschen Bistümer gerade einmal einen Neupriester aufzuweisen hat.

Wie gehen wir mit all diesen Zahlen um? Natürlich wird innerkirchlich diskutiert. Im Erzbistum Hamburg haben wir im letzten Jahr in einer großen Runde einmal alle unsere Zukunftsfragen zusammengetragen. Der Wunsch zumindest aus dem Kreis der Pfarrer war, dass wir in der Art und Weise, wie wir in einem Bistum seelsorglich weiter tätig sein können, gerne einmal „vor die Welle“ kommen möchten. Dies bedeutet, dass wir Strukturen und Arbeitsweisen nicht mit Blick auf die nächsten fünf Jahre sondern auf längere Sicht verändern möchten. Erzbischof Stefan Heße hat diese Gedanken aufgegriffen. Sein Vorschlag ist, über eine Neuordnung nachzudenken, bei der es für das gesamte Bistumsgebiet, das die Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und den Mecklenburger Teil von Mecklenburg-Vorpommern umfasst, auf Dauer nur noch wenige (vier bis sechs) Basisstationen gibt, an denen das verbliebene Pastorale Personal zusammengezogen wird. Diese Idee ist sehr radikal. Sie wirft viele Fragen auf. Sie findet aber auch Zustimmung. Wer sich ein wenig in die Alltagsmühlen der Pfarreien und des Generalvikariates begibt, weiß um die Schwierigkeiten, welche die Erhaltung des Status Quo mit sich bringt. Die ohnehin seit 2010 zusammengelegten 28 Großpfarreien tun sich in der Erfüllung des Alltagsgeschäfts und auch der Verwaltung zunehmend schwer. Man hat auf den Mangel an Personal mit der Entwicklung verschiedener Leitungsmodelle reagiert, so dass nicht mehr überall ein Pfarrer allein die Pfarrei leitet. In Mecklenburg haben wir in diesem Jahr den ersten Versuch eines pfarrübergreifenden Katechesekurses in Vorbereitung auf die Erstkommunion gemacht, weil in einigen der Pfarreien schlicht keine Mitarbeiter oder Ehrenamtliche mehr zur Verfügung standen. Mit viel Mühe und Aufwand werden Gottesdienstpläne entworfen, die auch die kleinen Standorte mit teils weniger als 10 regelmäßigen Gottesdienstbesuchern immer noch zu bedienen versuchen. Und gleichzeitig raubt die laufende Immobilienreform durch den immensen verwaltungstechnischen Aufwand bei der Umwidmung, Ertüchtigung und Abwicklung von Gebäuden viel Zeit und Kraft. Wir laufen wahrscheinlich deutschlandweit in eine beständige Überforderung von Priestern, Mitarbeitern und Gremien hinein. In einem großen deutschen Bistum ist man jetzt sogar so weit gegangen, den leitenden Pfarrern in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung zuzusagen, dass sie künftig nicht mehr für Beerdigungen oder Taufen zuständig sein sollen, weil sie die Zeit für die Organisation und Verwaltung brauchen.

Die Kernfrage ist ja: Wozu soll das weniger werdende seelsorgliche Personal eingesetzt werden, in der seelsorglichen Arbeit oder für eine Struktur? Stellt man diese Frage, ist die Antwort eindeutig: Natürlich für die „eigentlichen“ Aufgaben. Wenn man im nächsten Gedankengang dann logischerweise die bestehende Struktur in Frage stellt, und die eben noch enthusiastisch Antwortetenden damit konfrontiert, dass damit ihre Kirche und ihr Gemeindefest in Frage stehen und sie künftig in die benachbarte Kirche zum Gottesdienst fahren müssten, sieht die Welt schon anders aus. Alles soll sich verändern, aber möglichst, ohne dass sich etwas verändert.

Der Blick auf die Zahlen der Kirchenstatistik zeigt deutlich: Es wird sich verändern. Die bestehende Struktur der Flächenpastoral in Pfarreien als eigenständigen Rechtssubjekten, die spezialisierten großen Generalvikariate, die unzähligen Gremien – das alles wird über kurz oder lang zu Ende gehen. Die Frage ist nur, wie viel Zeit und Kraft wir für die Rückzugsgefechte einsetzen möchten.

Jetzt bin ich durchaus ein Freund organischer Veränderungen. Niemand kann die Zukunft sicher vorhersagen. Die Not ist häufig ein besserer Anlass für Veränderungen als es die pastorale Planung ist. Eine Grundidee, wohin es gehen wird, brauchen wir aber trotzdem. Daher scheint mir die im Erzbistum Hamburg nun aufgekommene Idee der Reduktion auf einige wenige „Zentren“ als Zielbild nicht verlockend, aber durchaus realistisch.

Dazu genügt eine nüchterne Rechnung: Schreiben wir einfach mal den derzeitigen Stand fort (ohne natürlich zu wissen, ob dies so geschehen wird): Bei 500 000 Mitgliedern weniger pro Jahr hätte sich die Katholische Kirche in Deutschland in 20 Jahren auf die Hälfte an Mitgliedern reduziert (dann 10-11 Millionen). Man darf vermuten, dass sich schon in 15 Jahren die Zahl der Kirchensteuerzahler auf die Hälfte reduziert haben könnte. Bei den Priestern wird die Zahl derjenigen, die im aktiven Dienst stehen (das sind derzeit in Deutschland ca. 11 500) schon in etwa 10 Jahren halbiert sein und dann bis 2060 auf etwa 1000 schrumpfen. Die Entwicklung bei den Pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird ähnlich verlaufen.

Alles Spekulation? Natürlich! Es kann viel passieren, aber ich rechne nicht mit Wundern. Zumindest bei der Zahl der Mitglieder, die wir durch Alter und Tod verlieren werden, können wir relativ sichere Vorhersagen treffen. Alles andere wird sich zeigen. Es könnte sein, dass der Trend sich abschwächt oder sogar langsam umkehrt, es könnte genauso sein, dass er sich noch verstärkt.

Bleiben wir für einen Moment bei der oben angestellten spekulativen Fortschreibung. Was würde das bedeuten? Überraschenderweise wird man sehen: Seelsorglich, also von den kirchlichen Kernaufgaben gesehen, bedeutet der kirchliche Schrumpfungsprozess kein unbeherrschbares Problem. Demnach wäre es so, dass wir in 20 Jahren im Verhältnis von Priestern zu Gläubigen in etwa auf dem Niveau ankommen, wie es weltkirchlich, in Asien, Lateinamerika oder Afrika völlig normal ist. Bei den derzeitigen Tauf- und Beerdigungsquoten könnte man davon ausgehen, dass statistisch jeder Priester im Jahr 30-40 Beerdigungen durchzuführen hätte (wobei dies ja längst nicht mehr nur Priester tun). Das ist, wie auch die absehbare Zahl der Taufen oder Trauungen machbar. Ebenso wäre es auch weiter möglich, in einigermaßen großen und zentralen Kirchen genügend Eucharistiefeiern anzubieten, so dass alle, die möchten, zu einer solchen kommen könnten.

Dies ist schlicht statistisch gedacht. Was nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, ist eine so kleinteilige und ausdifferenzierte Verwaltungs- und „Infrastruktur“. Insofern geht der „Hamburger Vorschlag“ in die richtige Richtung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Erfahrungsgemäß sind Strukturen langlebig und schwer veränderbar. Wir werden wahrscheinlich noch lange im derzeitigen Notfallmodus bleiben – solange, bis uns die reale Not zwingt, zu handeln. Es dürfte bis dahin nicht mehr lang sein.      


[1] DBK: Kirchenstatistik 2024: Deutsche Bischofskonferenz; EKD: Statistiken der EKD – EKD; Erzbistum Hamburg: Kirchliche_Statistik_2024.pdf; s. auch: 2024 verließen mehr Protestanten als Katholiken die Kirche – katholisch.de

[2] Wo bleibt das Geld? – Warum die deutschen Bistümer sparen – Sensus fidei

3 Kommentare zu „Die kirchliche Statistik für 2024: Was lässt sich prognostizieren?

  1. Was ist mir mein Glauben und Seelenheil wert? Was nehme ich auf mich, um meine Beziehung mit Jesus Christus zu leben? Auch wenn sich die Prognosen zunächst belastend und negativ anfühlen, so zeigen sie für mich doch in die richtige Richtung: ein Priester ist für das Seelenheil der ihm anvertrauten Menschen zuständig. Ohr und Rat,Trost und Orientierung, gemeinsames Gebet und Feier der Eucharistie, Spendung der Sakramente. Das ist für mich als Christ sehr wichtig. Ich weiß wovon ich rede! Das durfte ich erfahren! Verwaltung, Immobilien, Arbeitskreise, Sitzungen etc. können nicht seine eigentlichen Aufgaben sein. Jesus Christus hat seine Jünger losgeschickt, ohne Beutel und Hab und Gut, der Heilige Franziskus schickte seine Brüder genauso in alle Welt. Wenn das geistig seelische Angebot stimmt, dann kommen die Menschen. Sie finden zum „Heiland“. Davon bin ich sehr überzeugt.

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