Where to go instead?

Der Sommer ist da. Die Sommerferien haben angefangen. Am Freitag war bei uns letzter Schultag. Und wie jedes Jahr fragt man sich gegenseitig nach den Reiseplänen für den Sommer. Die Suche nach dem Urlaubsziel scheint in den letzten Jahren immer schwieriger geworden zu sein. Der Urlaub ist teuer geworden. Einige selbstverständliche Urlaubsregionen wie unsere Ostsee sind davon betroffen – und trotzdem fast ausgebucht. Auch die Anreise wird immer mehr zu einem Entscheidungskriterium. Die Autobahnen sind voll, die Bahn immer wieder zuverlässig, der Flugplan bei vielen Airlines ausgedünnt. Und schließlich spielt auch das Klima eine Rolle. Einige, mit denen ich die letzten Tage gesprochen haben, sagten mir, dass sie mittlerweile den Mittelmeerraum im Sommer wegen der großen Hitze meiden.

Es gibt aber noch ein anderes Phänomen: Es ist vielerorts einfach voll. Es scheint so, als ob bestimmte Orte und Regionen so begehrt sind, dass man zu ihnen gar nicht mehr fahren mag. Im Internet haben die Reiseblogger daher eine neue Kategorie von Reisefilmen entwickelt mit Titeln wie „10 overcrowded places in Europe und where to go instead“ – „10 überfüllte Orte in Europa und wo man stattdessen hinfahren sollte“. Es wird fast davor gewarnt, nach Dubrovnik zu reisen, nach Venedig, Lissabon, Santorino oder zu den Cinque Terre in Italien. Diese Orte haben in den letzten Jahren eine solche mediale Aufmerksamkeit erfahren, dass ein normaler Besuch ohne lange Schlangen vor den Sehenswürdigkeiten, überfüllte Restaurants und übertriebene Preise im Sommer kaum noch möglich ist. „Where to go instead?“ – Wohin also sonst? Die Empfehlungen sind, auf andere schöne Orte auszuweichen, die noch nicht so überrannt sind: Split statt Dubrovnik, Padua statt Venedig, Porto statt Lissabon, Naxos statt Santorino oder Sizilien statt Cinque Terre. Fahren wir also lieber dorthin, wo es noch etwas normaler ist.

Es ist durchaus ein wenig amüsant, dass die Probleme einer reichen und konsumfreudigen Gesellschaft wie der unseren in einem alten Text wie dem des Evangeliums wiederzuentdecken sind. Dort ist an diesem Sonntag die Rede davon, wie Jesus ebenfalls den großen Menschenmassen ausweichen möchte, die zu ihm kommen um ihn zu hören, versöhnt und geheilt zu werden (Mk 6, 30-34). Doch der Versuch, zu entkommen, funktioniert nicht. Nach einer Fahrt auf dem See kommen die Menschenmassen am neuen Ankerplatz des Jesus-Bootes wieder zusammen. Der Bericht aus dem Markusevangelium ist sicher etwas idealisiert. Er zielt darauf, sich bildlich die große Anziehungskraft Jesu vorstellen zu können. Hier wendet sich das Volk in Scharen seiner neuen Lehre zu. Es entsteht ein Massenphänomen der Jesusbegeisterung, die dann später in Kontrast zur Verlassenheit Jesu bei seinem Leiden gesetzt werden kann. Dann ist nämlich keiner mehr da. Hier aber ist Jesus auf dem Höhepunkt seiner Popularität.

Die Frage „Where to go instead?“ ist im Evangelium keine Frage des Ortes, an den man reisen sollte. Es ist die Frage, wo die Wahrheit und die Gegenwart Gottes zu finden ist. Die Menschen kommen dorthin, wo sie sich Antwort und Weisung, Befreiung und Heilung erhoffen. Und es scheint bei Jesus zu sein, wie in anderen Zusammenhängen auch: Die Begeisterung hält an, solange die Menschen das hören und erfahren, was sie bestätigt und aufbaut. Sobald Jesus aber mit unangenehmen Themen oder Handlungen aufwartet, ziehen sie sich zurück. Im Johannesevangelium gibt es die Szene, in der sich nach der anstößigen Rede über das „Brot des Lebens“ viele der Jünger von Jesus distanzieren und ihn verlassen. Die Verbliebenen werden von Jesus gefragt: „Wollt auch ihr weggehen?“ Petrus antwortet ihm: „Zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,66ff.). „Where to go instead?“ – „There is no alternative!“ – Es gibt keine Alternative. Die Antwort zeugt von der festen Überzeugung des Jüngerkerns, bei Jesus die Wahrheit gefunden zu haben, selbst wenn diese manchmal schmerzt oder unangenehm wird. Diese Festigkeit in der Überzeugung bringen allerdings die meisten seiner Hörer nicht mit. Die großen Massen verschwinden wieder.

Wohin gehen die Leute? Es gibt zu jeder Zeit philosophische, politische zeitgeistige „Reiseziele“, die völlig übervölkert sind und andere daneben, die kaum noch besucht werden. Es gehört zu Zeichen unserer Zeit, dass dieser geistig-moralische Reisemarkt aufgebrochen wurde und sich polarisiert. Menschen machen sich auf den Weg, etwas Neues zu entdecken. Es bilden sich neue Moden heraus. Es gibt Philosophien und Ideologien die sich bevölkern und alteingesessene bewährte „Orte“, die zunehmend ausdünnen. Die Frage „Where to go instead?“ ist sehr aktuell. Das ist auf der einen Seite interessant, auf der anderen aber auch besorgniserregend. Die Frage ist doch: Findet ihr was, ihr sucht oder werdet ihr gerade betrogen? Führt euch eure Neugier zu dem hin, was gut und richtig ist, oder entfernt es euch davon? Verlasst ihr nicht allzu leichtfertig, was euch bislang feste Verankerung gegeben hat? Wo findet ihr wirklich „Worte des ewigen Lebens“ und wo wird einfach eurer eigenen Weltsicht geschmeichelt? Wo will man euch stärken und aufbauen und wo will man euch instrumentalisieren? Christlich können wir an dieser Stelle nur für den Weg Jesu werben. Es zeigt sich, dass Menschen in dieser Zeit auch wieder neu beim christlichen Glauben anfragen, nach Wahrheit und Orientierung suchen. Von der Massenbewegung des Evangeliums sind wir als Christen derzeit weit entfernt und vielleicht ist das auch ganz gut so. Schließlich ist das Christentum in seinen frühen Zeiten eher immer so etwas wie eine Alternative zum ideologischen Mainstream gewesen, ein Ort, den man besuchen sollte, wenn es einem woanders zu voll wird. Hier sind „Worte des ewigen Lebens“, die in Ruhe gehört und verstanden werden wollen. Und wir können hoffen, dass immer einige da bleiben, die das für sich erkannt haben.

Ein Kommentar zu „Where to go instead?

  1. Eine Alternative zum ideologischen Mainstream, die deutsche katholische Kirche? Sie ist der ideologische Mainstream! Das ist der Grund, weshalb in den letzten Jahren millionenfach Christen in Deutschland diesen „politische Verein“ verlassen haben. Diese Christen sind nicht über Nacht zu Nicht-Christen mutiert, haben wegen einiger Euro oder der endlich stattfindenden Aufarbeitung von Missbrauchsfällen die Kirche verlassen. Millionen von katholischen und evangelischen Christen stehen in Deutschland vor den Kirchen und werden nicht mehr hineingelassen. Nur noch einer immer kleiner werdenden Minderheit ist diese „ideologische Mainstream-Kirche“ egal. Sie bleiben. Sollen sie. Und anscheinend, wenn ich ihren Aufsatz hier richtig verstanden habe, finden Sie das alles bestens und in Ordnung? Ich habe noch keinen getroffen, der aus der katholischen Kirche ausgetreten ist und sich nicht mehr als Christ fühlt und bezeichnet. Das Christentum wächst weltweit. Zu den 2,6 Milliarden Gläubigen kommen pro Tag 82.000 „neue“ Christen hinzu. (Leider bleiben Christen auch die weltweit am meist verfolgteste Religionsgemeinschaft.) Ich verstehe ihren Aufsatz so, dass Sie die Türen der Kirche verschlossen halten möchten. Sie wünschen keine kritische Analyse des aktuellen Zustandes und machen einem mit Hilfe der Bibel diesen Zustand schmackhaft. Sehe ich das hier richtig? Aber die Millionen von Christen werden an ihre Tür klopfen, auch mit Hilfe der Bibel und des Glaubens, und Sie werden sich sehr anstrengen müssen, die Türen zuzuhalten. Ich bin mit meinem Schreiben an die Caritas leider noch nicht fertig. Es braucht Zeit. Ich werde Ihnen dieses Schreiben senden, damit sie verstehen, was ich meine. Das ist meine Art als Christin an Ihre Tür zu klopfen. Ich kann damit leben, wenn Sie die Türen verschlossen halten. Des Menschen Wille ist nun einmal sein Himmelreich.

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