Ein besonderer Fall von Entbürokratisierung

Im Januar habe ich versucht, einen internationalen Führerschein zu beantragen. Das ist laut Homepage der KFZ-Stelle ganz einfach. Man kann sich das Formular für den Antrag herunterladen. Das habe ich gemacht. Auf dem Formular stand, dass ich zur Beantragung neben meinem Führerschein und einem Passfoto auch eine aktuelle Meldebescheinigung vorzulegen habe. Diese zu bekommen, war kein Problem. Der Antrag zur Meldebescheinigung funktioniert online bei der Meldebehörde. Allerdings erfordert dies, dass ich dort ein online-Konto anlege. Dazu brauche ich eine datensichere DE-Mailadresse. Auch die war leicht digital zu beantragen. Ich müsse lediglich meinen Ausweis in mein Datenlesegerät legen und den Scan absenden. Da ich nicht über ein Datenlesegerät verfüge, blieb mir nur die Möglichkeit, meinen Ausweis an einer zertifizierten Stelle vorzulegen. Bei der Suche nach einer zertifizierten Stelle merkte ich, dass mein Mail-Anbieter kein Angebot in Schwerin angab. Die nächste Stelle befand sich in Grevesmühlen. Ich bin dann an einem Montag dorthin gefahren, bekam meine DE-Adresse und dann auch meine Meldebescheinigung. Damit ausgestattet fuhr ich zur KFZ-Stelle, um festzustellen, dass ich ohne einen online gebuchten Termin nicht vorgelassen würde. Also fuhr ich zwei Wochen später wieder hin. Ich legte meine Dokumente vor und erfuhr dann von der Mitarbeiterin, dass sie die Meldebescheinigung gar nicht benötige. Der Ausweis würde ihr ausreichen.

Es kann sein, dass ich im Umgang mit Behörden einfach nicht besonders geschickt und erfahren bin, aber mir scheint, dass auch andere schon solche Erfahrungen gemacht haben. Jedes Anliegen hat einen Bearbeitungsweg, der aus der Binnenlogik der Behörden klar ist. Es ist aber für jemand von außen gefühlt alles so kompliziert.

Irgendwie haben menschliche Rechtssysteme einen Hang zur Überregulierung. Im Evangelium ist vom Tempel die Rede. Er ist nach dem jüdischen Verständnis der damaligen Zeit der ausgewiesene Ort der Vermittlung zwischen Gott und dem Volk. Dazu gehörten auch die Opfer. Für bestimmte Anliegen schrieb das jüdische Gesetz ein solches Opfer vor, etwa um Gott zu danken oder ihn zu bitten, an bestimmten Festtagen oder bei bestimmten Lebensereignissen. Wer mit Gott versöhnt sein wollte, brachte ein Opfer dar. Zu bestimmten Zeiten konnte man sein Opfer zum Tempel bringen. Jetzt konnten Sie aber nicht einfach eine Ziege oder ein Schaf, ein Rind oder eine Taube aus ihrem Besitz einfach zum Tempel mitnehmen. Die Opfertiere wurden von den Priestern begutachtet. Sie mussten bestimmte Kriterien erfüllen, um als Opfer zugelassen zu werden. Besser also, Sie kauften ein vorgeprüftes Opfertier direkt bei ausgewiesenen Händlern am Tempel. Diese konnten allerdings nicht mit dem eigenen Geld bezahlt werden. Im Tempel galt eine eigene Währung, da man heidnisches, unreines Geld aus dem Heiligen Bezirk ausgeschlossen hatte. Sie mussten zunächst ihr Geld wechseln. Gehen wir auch davon aus, dass mit dieser gesetzlichen Heilsbürokratie auch ein finanzieller Zusatzaufwand verbunden war, schließlich brauchen Wechsler, Händler, die Priester und die Tempelverwaltung auch ihren Anteil. Vor diesem Hintergrund bekommt das Wort „Heilsökonomie“ noch einmal einen besonderen Klang.

Als Jesus im Tempel aufräumt, also die Händler und Wechsel vertreibt und infolge dessen Ärger mit den Autoritäten bekommt, haben wir es mit einem besonderen Fall der Entbürokratisierung zu tun. Sie geschieht nicht, weil hier jemand ist, dem das geschäftige Treiben, die Auflagen und Verfahren im Tempel zu viel sind. Es geht bei Jesus um etwas Grundsätzlicheres. Im Johannesevangelium wird Jesus als Gottes Wort vorgestellt, als Licht, das die Finsternis erleuchtet. Mit seinem Auftreten gibt es also nur noch einen Weg der Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen, nämlich, sich zum Glauben an Jesus zu bekennen. Die Opfer des Tempels, ja sogar der Tempel selbst stehen damit in ihrer Bedeutung in Frage. Das Evangelium setzt die Szene der Tempelreinigung ganz an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu. Wer also um die wahre Bedeutung Jesu wissen möchte, kann es hier schon sehen. Das Tempelthema taucht dann am Ende des Evangeliums, bei der Kreuzigung wieder auf. Diese geschieht bei Johannes am Tag vor dem Passchafest, dem Fest der Befreiung des Volkes. Zu diesem Festtag bringen viele Pilger ihre Opfertiere zum Tempel. Jesus stirbt am Tag und zur Stunde, an dem im Tempel die Opfertiere in Vorbereitung für den Festtag geschlachtet werden. Statt der vielen Opfer, so deutet Johannes damit an, gibt es nur noch dieses eine. Der wahre Tempel, der Ort, an dem Mensch und Gott versöhnt werden, steht nicht mehr in der Stadt, sondern ist vor die Tore an den Ort der Kreuzigung gezogen. Die endgültige Versöhnung und Befreiung findet dort statt. Nach drei Tagen wird dieser Tempel dann in der Auferstehung wieder aufgebaut, also erneuert. So sagt es Jesus schon bei der Tempelreinigung.

Die Christen haben keine Tieropfer mehr gekannt. Sie haben lediglich in der Eucharistie dieses eine Opfer wieder präsent gemacht. Der Glaube an Tod und Auferstehung, der Glaube an Jesus Christus wird zur einzigen Bedingung der Gottesgemeinschaft. Dass sich um die Eucharistie mit der Zeit wieder ein Regelwerk und auch eine eigene „Ökonomie“ gebildet hat, gehört zu den erstaunlichen, vielleicht auch sehr menschlichen Entwicklungen der weiteren Geschichte. Insofern darf das Evangelium der Tempelreinigung auch als kritische Anfrage gelesen werden.

Papst Franziskus hat immer wieder daran erinnert, dass eine zu bürokratische Kirche ihr eigentliches Ziel, die Evangelisierung, leicht behindern kann. Es geht darum, Gottes rettendes und heilendes Wirken zu verkünden und sichtbar zu machen, gerade dort, wo es den Menschen fern geworden ist. Das sind die Ränder, von denen Franziskus spricht. Für diesen zentralen Gedanken ist aber irgendwie wenig Platz. Im Augenblick habe ich eher den Eindruck, dass wir in der Kirche hier bei uns eher versuchen, mit mehr Bürokratie auf die Krisen der Zeit zu antworten. Ich nehme das auch ganz persönlich als Reflexion für mich und für unsere Pfarrei mit. Wo wird es für Außenstehende zu kompliziert, wo stehen wir der Evangelisierung im Weg? Das Evangelium betont die zentrale Rolle des Glaubens an Jesus Christus. Es ist ein Anstoß in der Fastenzeit, die eigene Ordnung zu überdenken und hinderliche Schranken abzubauen. Gott hat ein weites Herz, das er am Kreuz offenbart. Wir sollten angesichts dessen nicht zu kleinlich werden.

Beitragsbild: Innenraum der St. Jakobi-Kirche in Lübeck, die für einige Zeit Händlern als Verkaufsfläche zur Verfügung gestellt wurde (Aufnahme von 2023)

2 Kommentare zu „Ein besonderer Fall von Entbürokratisierung

  1. Lieber Georg,

    Danke für Deine Predigt. Sie hat mir bei meiner Vorbereitung geholfen. Man merkt, dass Du gut studiert hast.

    Zum Glück hatte ich nicht so ein Heckmeck mit meinem Internationalen Führerschein. Der Personalausweis ist wie eine Meldebescheinigung. Ich lebe zwar im Ausland, bin aber mit meinem ersten Wohnsitz in Nütschau gemeldet. Ist nicht alles ganz korrekt, aber besser so. Hier in Südafrika ist auch nicht alles ganz korrekt. Behörde ist hier Alptraum.

    Ich wünsche Dir einen guten Sonntag,
    Br. Benedikt

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    1. Lieber Benedikt,
      vielen Dank für Deine Nachricht und Deine Grüße. Ich hoffe, es geht Dir in Südafrika gut. Im Augenblick setzt ja langsam der Herbst ein… Du hast völlig recht. Mit der Bürokratie ist es in den meisten Ländern viel schlimmer als in Deutschland. Bei uns funktioniert ja doch vieles sehr gut – man muss es aber erstmal durchschauen…
      Herzlichen Gruß,

      Georg

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